Kapitel 3

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12. Juli 1916

An: Leonie Gruber, Schneidergasse 3, Passau

Von: Simon Gruber

Liebste Leonie,

gestern war es soweit. Wir mussten unseren Bunker verlassen und am Angriff auf Fort Souville teilnehmen.

Es war so schlimm wie noch nie. Diesmal warfen die Franzosen auch Handgranaten. Direkt neben mir traf eine einen Kameraden und er wurde in Stücke gerissen.

Seine Gliedmaßen waren überall verstreut. Sein Beine lagen hier und sein Kopf dort. Es war schrecklich.

Wie durch ein Wunder konnte ich mit einem Streifschuss von dort entkommen. Zurück im Lager wurde ich öffentlich degradiert, weil ich dem Befehl, das Fort anzugreifen, nicht gehorcht hatte.

Doch das ist mir egal. Jeder rettet nur noch seine eigene Haut. Gestern ist ein Oberfeldwebel desertiert. Gerüchten zufolge ist er zum Feind übergelaufen.

Obwohl ich gar nicht von Feinden reden will. Die Schwiegereltern meiner Mutter waren aus Frankreich. Mein Vater hat dort studiert. Das sind genauso Menschen wie ich und du. Aber der Kaiser sieht nur seinen eigenen Vorteil und schickt uns gewissenlos in den Tod, während er in Berlin sicher sitzt.

Doch auch ihn wird das Schicksal ereilen. Es holt uns alle. Die einen früher, die Anderen später.

Mittlerweile werden uns die ganzen Ausmaße dieses Kampfes bewusst. Die Franzosen rücken immer weiter vor. Angriffe laufen ins Leere und wir verlieren eine Stellung nach der anderen. Keiner glaubt mehr an den Sieg. Weder wir, noch die Befehlshaber.

Nur der oberste Befehlshaber glaubt noch an den Sieg. Kronprinz Wilhelm. Doch er ist verblendet, von der Macht. Er will nicht wahr haben, dass sein schöner Plan in Trümmern liegt.

Gerade ist wieder eine Granate eingeschlagen. Sie hat niemandem getroffen, aber das ist egal.

Sobald wir einen Knall hören, zucken alle zusammen oder rollen sich in Embryo Stellung zusammen.

Letzte Nacht ist außerdem ein Soldat durchgedreht. Er ist mit aufgepflanztem Bajonett durchs Lager gerannt und hat wahllos Leute erstochen.

Uns geht es nicht besser. Jeder ist kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Tag und Nacht explodieren die Granaten. Keiner schläft. Jeder wartet nur auf den nächsten Einsatz.

Ich liege nur noch wach. Einzuschlafen traue ich mir nicht.
Ständig zucken meine Gliedmaßen. Der Arzt sagt, das komme von dem Streifschuss. Ich glaube ihm nicht. Ich glaube, ich werde langsam verrückt.

Keine Zeit mehr. Wir haben einen Einsatz.

Flüsse aus Blut. Ich sehe sie überall. Flüsse aus Blut.

Dein Simon.

300 Tage Hölle - Die Schlacht um VerdunWo Geschichten leben. Entdecke jetzt