Tag 1 - der Schlussstrich

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"Es ist - uhm - 3:53 Uhr, der Kaffee ist wie immer abflusstauglich und mein Bart sieht schlimmer aus als meine Arschbehaarung. Letzteres bitte aus dem Protokoll streichen. Mein zwölfter Versuch startet, einen Namen hab' ich ihm noch nicht gegeben. Die Idee ist zu blöd um zu klappen. Ich nenne sie also einfach 'Hans die gescheiterte Wurst'. Wie auch immer. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen und ich warte nur noch darauf, dass der Kaffee besser wird, dann versuche ich mein erneutes Glück." Nelson stellte den Voicerecorder auf seinen Eichenschreibtisch. Ein prächtiges Teil, passte zu ihm. Er rieb sich die Augen, doch die Müdigkeit wich nicht. Er hatte durchgearbeitet und hatte Kopfschmerzen. Noch ein letztes mal nippte er am Kaffee, würgte und kippte den Rest aus dem Fenster, dann rieb er die Hände aneinander und trat ins nebenan liegende Labor. Die Labortür schwang auf und sein Chef stand im Türrahmen. "Chefchen, was verschafft mir die Ehre Sie um diese göttlich gepriesene Uhrzeit in meinem bescheidenen Labor begrüßen zu dürfen?"
"Halt die Luft an, Nelson. Wir sollten einige Worte wechseln.", sagte Thomas.
"Ohoo woher kommt dieser Ernst, mein Freund? Setz dich, bitte.", er schob Thomas einen Stuhl hin und hockte sich selbst auf einen der herumstehenden Hocker.
"Ich hoffe ich störe dich gerade nicht."
"Nein, nicht doch. Ich war nur gerade dabei, mich ein zwölftes mal zum Affen zu machen."
"Ach ja? Heute schon? Ich dachte du willst deine Arbeit erst am Freitag einreichen."
"Naja, weißt du, die Arbeiten waren weniger aufwändig als gedacht. Ich habe diesen 'Hitzewellengenerator' aus einigen Heizelementen zusammengeschweißt und werde einfach einen Spiegel damit bestrahlen, bis er mir auf die Eier schmilzt. Mehr ist es im Grunde nicht."
"Das hört sich an, als hättest du aufgegeben."
"Verdammt, nein. Ich bin einfach erledigt. Du kennst meine vorherigen Entwürfe. Einer war gefährlicher als der andere. Ich änderte jedes mal die Richtung und versuchte einen anderen Ansatz, während die Welt mir Grußkarten mit Adressen von Psychiatern schickte. Der einzige, der an mich glaubt, bist du. Daher haben sie dich auch schon im Visier. Der Druck belastet mich und die Ideen gehen mir aus. Ich habe nicht aufgegeben, ich bin lediglich gefickt, um es auf gutdeutsch zu sagen."
"Bitte, achte auf deine Wortwahl. Wie auch immer, in einem Punkt hast du recht; es färbt auf mich ab. Der Senat sitzt in meinem Nacken, aber das weißt du. Jetzt haben sie mir aber ein Ultimatum gestellt und ich bin gezwungen zu handeln."
"Lass mich raten: entweder du oder ich?"
"Falsch entweder du oder wir beide."
"Hm. Das ist der Moment an dem Freundschaften zerbrechen."
"Deswegen bin ich hier. Ich werde das nicht hinter deinem Rücken regeln, aber ich werde auch meine Karriere nicht in den Wind schießen."
"Nein, schon klar. Du hast Familie und brauchst deine Stellung. Ich hab' verkackt, keine Frage. Wie lange hab' ich noch hier?"
"Bis Ende des Monats, dann ist der Geldhahn zugedreht. Ich habe schlecht geschlafen und die Mails gecheckt, bin so schnell es ging hergekommen. Du weißt, dass ich immer noch an dich glaube, aber so wie du im Moment an die Dinge herangehst, funktioniert das nicht. Du schluckst Unsummen an Geldern und hast den Glauben an dich selbst verloren. Jetzt führ' deinen Fehlschlag durch und komm dann nochmals zu mir ins Büro. Bis dahin: denk über dich selbst ein wenig nach."
"Na klar..."
Thomas drückte ihm auf die Schulter und ging durch die selbe Tür hinaus, durch die er gekommen war. Es war also vorbei. Nelson stellte sich ans schmierige Fenster und lehnte seine Stirn dagegen. Er hatte nicht aufgehört an einen Erfolg zu glauben. Er hatte lediglich aufgehört daran zu glauben, dass er es sein wird, der den Erfolg erreicht.
Er ließ die Heizkörper warm laufen. Sie waren geradewegs auf einen Spiegel ausgerichtet. Nelson zwängte sich in den Schutzanzug, den er der Hitze wegen bestellt hatte und lehnte sich mit dem Rücken an den kühlen Spiegel. Es wird schief gehen, aber vielleicht verreckte er wenigstens. Das wäre ein Teilerfolg. Zugegeben, ganz so simpel war der Versuch doch nicht. Die Hitze sollte nämlich nicht gleichmäßig sondern als gebündelter Impuls auf den Spiegel schießen. Er musste nur einige Zeit warten und dann den Bluetooth-Knopf in seiner Hand drücken. Er durfte nicht zu lange warten, sonst würde das Ding ihn komplett rösten, aber zu früh wäre es auch nicht angemessen. In seinem Kopf zählte er runter.
10... 9... 8... 7... 6... 5... 4... "ach Scheiß drauf, das hier ist kein Raketenstart". Sein Daumen zuckte und der Raum erhellte sich. Nelson sackte auf die Knie. Sein Visier war beschmiert und der Rauchmelder fiepte wie bekloppt. Er fühlte sich komisch und konnte sich nur schwer bewegen. Hatte es doch geklappt? Wie ein Baby krabbelte er einige Meter nach vorne und drehte sich auf den Rücken. Sein Gliedmaßen klebten förmlich aneinander, es war als sei er in einen Honigtopf gefallen. Mit seiner Hand wischte er die Grütze von seinem Visier und versuchte etwas im Rauch zu erkennen. Sein ganzer Anzug war mit einer silbrig-schwarz verkohlten Schicht überzogen, die langsam verhärtete. Er stand auf und kämpfte sich mit schwerem Atem zum Fenster und riss es auf. Der Rauch zog langsam ab. Der Rauchmelder war immernoch am eskalieren. Das Labor wurde langsam wieder sichtbar: die noch glühende Hitzequelle, tausende Spiegel, die an der Wand lehnten und etliche Geräte, die er im Laufe der letzten Jahre dort angesammelt hatte. Die Spiegelmasse war auf dem Boden und der Wand verteilt. Sie tropfte von der Decke und hinterließ schaurige Gebilde, wie die zähflüssige Masse im Tropfen auskühlte und so hängen blieb. Sein Kopf platze langsam von dem nervtötenden Geräusch des Rauchmelders. Er griff sich ein Handtuch und streifte den verklebten Anzug ab. Mit zusammengekniffenen Augen und einem leicht feuchten Handtuch vor dem Mund boxte er den Rauchmelder von der Decke und schlenderte in Richtung Büro seines Chefs.
"He du Pfeife! Man sollte dich echt einweisen. Was auch immer du da unten veranstaltest, lass es gut sein, bevor hier einer draufgeht!" Das war Trevis.
"Deswegen arbeite ich auch um 4 Uhr morgens, da um diese Uhrzeit niemand im Gebäude ist. Abgesehen natürlich von solchen Wichsern wie dir, die von ihrer eigenen Frau bon der Bettkante gestoßen wurden, damit sie ihren Lover zu sich einladen können."
"Pass auf wie du von meiner Frau redest, du Loser. Ich habe immerhin geheiratet und habe Erfolg mit dem was ich tue."
"Na wenn du meinst. Meld' dich wieder, wenn du eine Glühbirne wechseln kannst, du Flachpfeife."
Trevis winkte ab und ging in sein Labor zurück. Nelson hatte ins schwarze getroffen. Er grunzte, wie jedes mal, wenn er Trevis laufen sah. Denn diese Gangart hätte es mit jeder Tunte aufnehmen können, so schwul wie er lief. "Achte auf deinen Hüftschwung!", rief er hinterher. "Gott, wie ich ihn hasse", murmelte er vor sich hin und nahm die letzten Treppen in die nächste Etage. Lange musste er ihn nicht mehr ertragen. Er klopfte an Thomas' Tür und trat ein. Thomas schlief auf seinem Stuhl.
"Hey, Tom, wach auf bitte."
"Nelson! Wie liefs?", er schmunzelte traurig.
"Trevis ist immer noch ein Arsch, also hat es wohl nicht geklappt."
"Trevis darf seinen Job behalten, also bleib mal auf dem Boden."
"Ja ja, fick dich auch. Also was muss ich unterschreiben?"
Thomas reichte ihm einige Papiere. "Nur diese hier. Und hier -", er reichte ihm noch ein Formular. " hier steht alles drauf, was du noch dem Institut wiedergeben musst, damit das Inventar stimmt, ja? ich hoffe du hast noch alles, was du ausgeliehen hast."
"Das meiste davon, ja.", Nelson musterte die Liste. Eigentlich hatte er von der langen Liste nur eine handvoll Dinge, die noch funktionierten. Er hoffte die Uni nahm auch den Schrott wieder und schluckte es. Mit dem Kugelschreiber setzte er seine Unterschrift auf jeden Strich unter dem "Arbeitnehmer" stand und lehnte sich dann zurück.
"Dass du es weißt, Nelson -"
"Bitte spar's dir, Tom. Du hast mit dem nichts am Hut. Ich danke dir, dass ich eine Chance bekommen habe meine Träume zu verfolgen, aber irgendwann muss man aufwachen. Mit Träumen kann man kein Geld verdienen."
"Mhm.", er blickte schweigend auf den Papierstapel. "Was wirst du jetzt machen?"
"Vielleicht melde ich mich bei der Stadt und sammle den Müll auf der Straße ein. Ich könnte unter meinem Fenster hier anfangen, damit hätte ich zumindest ein Jahr lang was zu tun."
"Oder du stellst dich auf eine Bühne und erzählst den Leuten von dieser gequirlten Kacke, die du Tag ein Tag aus redest."
Beide mussten bei dem Gedanken ein Lachen unterdrücken.
"Ich komme die Tage nochmal vorbei und hole meine Sachen. Ich werd' doch nicht bis zum Ende des Monats meine Zeit hier mit aufräumen verbringen."
"Wieso aufräumen?", fragte Thomas verwundert und hob eine Augenbraue.
"Schau dir das Labor an. Da kannst du renovieren."
"WAS?" Er sprang von seinem Stuhl auf. "Was hast du gemacht?"
"Gearbeitet und dabei das Labor ein wenig dreckig gemacht."
Thomas schlug verärgert auf den Tisch und das Gebäude erbebte.
"Warst du das?", wunderte sich Nelson.
Das Beben wurde heftiger und der Boden bildete Risse. Durch die Fenster schoss grelles Licht herein. Es wurde heller und heller, bis die Scheiben platzten und Nelson die Augen verdecken musste. Das Beben riss ihn zu Boden und ein Fiepen, das den Rauchmelder hätte auslachen können, brachte sein Trommelfell dem reißen nah.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 18, 2018 ⏰

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