Ihr kennt doch sicherlich das Prinzip von Ying und Yang. Zwei Kräfte, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch nicht ohne einander auskommen können. Licht und Dunkelheit zum Beispiel. Wie sollte es Licht geben, wenn die Dunkelheit nicht existieren würde? Hass und Liebe? Wärme und Kälte? Bei diesen Beispielen könnte man davon ausgehen, dass sie Gegenteile sind, was sie auch praktisch sind. Doch dennoch ziehen sie sich an und sind abhängig voneinander. So auch Mary und ich. Mary ist meine beste Freundin und Tag für Tag frage ich mich, wieso sie überhaupt mit mir befreundet ist. Ich bin eine ziemliche Chaotin und bekannt dafür ein loses Mundwerk zu haben. Ich bin nicht wirklich gemein, aber ich mache sicherlich viele Witze auf Kosten anderer. Ich meine das nicht wirklich böse, sondern möchte eher lustig wirken, aber ich gebe zu, dass ich manchmal über das Ziel hinausschieße. Allerdings hat das etwas Gutes: Ich bin selbstbewusst und zwar so selbstbewusst, dass ich meine, dass ich nie auch nur mit einer Wimper in irgendeiner Situation gezuckt hätte. Was mir auch jemals passiert ist, habe ich mit offenen Armen empfangen und versucht das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. Etwas, das sicher auch Mary nicht schaden würde. Mary ist nett und zwar so nett, das nur dieses folgende Beispiel richtig demonstrieren kann, wie nett sie ist: Einmal krabbelte eine riesige, eklige Spinne auf ihrem nackten Bein und ich denke ich befinde mich im Recht zu sagen, dass jede nicht ansatzweise so nette Person wie Mary entweder 1. lauthals geschrien und hysterisch geworden wäre oder 2. alles versucht hätte die Spinne irgendwie loszuwerden sei es z.B. durch ihren Tod. Die Spinne krabbelte also ihr Bein hoch und schon sammelten sich die ersten Schweißperlen auf Marys Stirn (man muss dazu wissen, dass Mary eine sehr ausgeprägte Spinnenphobie hat. Sie bekommt schon einen Schock, wenn sie nur das Bild einer Spinne auf ihrem Handy anschauen muss). Mary fängt also an zu zittern und man wartet nun gespannt auf ihr nächstes Handeln. Denn jeder weiß, dass Mary nichts von den beiden vorigen Optionen wählen wird. Mary wäre nicht Mary, wenn sie nicht wie folgt vorgegangen wäre: Behutsam (und mit erhöhtem Blutdruck) nimmt sie die hässliche Spinne in ihre Hände, öffnet die Terassentür und setzt die Spinne auf einem größeren Blatt aus. Danach ist sie aber fast heulend ins Badezimmer gerannt und hat sich wirklich fast zehn Minuten die Hände mit Seife gewaschen und danach alles desinfiziert. So weit geht ihre Abscheu gegenüber diesen Vielbeinern und trotzdem hat sie so gehandelt, denn wie gesagt: Mary ist einfach nett. Und schön und liebevoll und über alle Maßen beliebt an unserer Highschool. Mary ist in so vielen Clubs und Komitees und engagiert sich sozial, dass ich denke, dass sie es sein wird, die die Welt aus ihrer humanitären Misslage retten wird. So stellt man sich die Frage, weshalb ein solches Mädchen ausgerechnet meine beste Freundin ist? Meine Theorie ist ja, dass sie das Ying zu meinem Yang ist, aber wahrscheinlich sieht sie etwas in mir, dass nicht einmal ich sehen kann. Wie dem auch sei, ich bin überglücklich sie in meinem Leben zu haben, denn sie macht es viel erträglicher. Die Wahrheit ist, so schlimm wie ich mich beschreibe, bin ich eigentlich gar nicht. So selbstbewusst wie ich mich gebe, bin ich nicht immer gewesen. Mein Vater ist ein ziemlich reicher Geschäftsmann hier in San Diego und ich deswegen wahrscheinlich sogar die Reichste der Middleton Private High School. Ich und mein älterer Bruder Beau bekommen so ziemlich alles, was wir uns wünschen. Uns wird quasi alles von den Lippen abgelesen. Wir wohnen in einer Villa mit sechs Bädern, von denen ich die meisten in meinem 17- jährigen Leben noch nie betreten habe und ich weiß nicht mal, wieso wir so viele Badezimmer haben. Pool, Privatjet, Pferde, Autos: alles check. Was mir das viele Geld meines Vaters jedoch nicht geben kann, ist meine Mutter: Sie ist als ich zehn war an Blutkrebs verstorben und hat mich, Beau und meinen Vater alleine zurückgelassen. Für uns alle war der Tag, an dem sie gestorben ist das Ende unseres unbeschwerten Lebens. Mein Vater stürzte sich auf seine Arbeit und versuchte in dieser seinen Schmerz zu verarbeiten. Beau und ich waren auf uns alleine eingestellt. Am Anfang heulten wir uns so ziemlich jede Sekunde aneinander aus und fanden Trost. Es blieb dennoch eine große Narbe in meinem Herzen, die sich noch weiter vergrößerte als Beau entschied für ein paar Jahre auf ein Sportinternat in Connecticut zu gehen. Er wohnt erst seit einem Jahr wieder bei uns und davor habe ich ihn einfach zu selten gesehen, um mit ihm wieder über Mum zu sprechen. Wenn überhaupt reden wir nur sporadisch miteinander und gehen ab und zu mit Dad essen. In einem Jahr ist Beau sowieso wieder von der Bildfläche verschwunden, um in Yale zu studieren. Wie dem auch sei, als Beau damals auf dieses Internat ging, war ich auf mich alleine gestellt. Kein Vater, kein Bruder, keine Familie und mit meinen Nannys konnte ich auch nicht reden, da ihr Englisch nicht gerade das beste war. Selbst die Therapie, zu der mich mein Vater schleppte, konnte keine Verbesserungen hervorrufen, im Gegenteil: der komische Psychologe durchlöcherte mich mit komischen Fragen, die mir eher Angst machten als mir zu helfen. Mit zehn seine Mutter zu verlieren ist ein wirklich harter Brocken, doch es war nicht unbedingt der Tod, der mir Angst machte. Vielmehr war die Leere und die lieblose Atmosphäre im Haus das Problem. Meine Mutter hatte eine deutliche Lücke hinterlassen, die mich fast erdrückte. All die Liebe, die sie uns geschenkt hatte, war weg. Ich wusste, dass sie nun von ihren Schmerzen erlöst war, doch dass sie uns tatsächlich verlassen hatte, machte mich wütend. So wütend, dass ich gemein wurde, andere Mitschüler hänselte und beleidigte. Ich konnte mit meinem Schmerz nicht umgehen, den ich aber dennoch irgendwie entladen musste. Irgendwann hatte ich gar keine Freunde mehr. Das Mitleid und das Verständnis aller war nach ein paar Wochen schon weg und niemand erkannte, wie schlecht es wirklich um mich stand. Eines Tages wurde es dann alles zu viel. Ich versteckte mich auf der Schultoilette und fing an zu weinen. Ich versuchte auch gar nicht mehr dieses Weinen zu unterdrücken, sondern ließ meiner Trauer freien Lauf. Ich hatte gedacht, dass niemand auf der Toilette war, weil gerade Unterricht war, doch auf einmal hörte ich eine Stimme.
"Hey... wieso weinst du denn?"
Ich hörte abrupt auf zu weinen. Ich wollte nicht, dass mich jemand so zu Gesicht bekam. Vielleicht würde diese Stimme ja wieder gehen und mich alleine lassen, so wie es jeder bisher getan hatte.
"Hey, ich weiß, dass du noch da drin bist. Ich sehe deine Füße. Und deine Unterhose."
Ich lief sofort rot an und öffnete die Tür, um diesem Mädchen zu sagen, dass sie verschwinden sollte. Erst als ich schon die Tür geöffnet hatte, fiel mir auf, dass ich meine Hose die ganze Zeit nicht geöffnet hatte, weil ich ja nur auf dem Klodeckel gesessen bin. Aber nun war es schon zu spät. Ich erblickte ein kleines schwarzhaariges Mädchen mit langen Locken und einem roten Band im Haar. Sie hatte die tiefsten schwarzen Augen und die längsten Wimpern, die ich je gesehen hatte. Was aber am erstaunlichsten war, war ihr Grinsen: es war nicht wirklich ein Grinsen, aber auch kein Lächeln oder eine Grimasse. Irgendwie hatte dieses Mädchen es geschafft, in diesem Gesichtsausdruck etwas Freundliches, Verständnisvolles, aber auch Belustigendes hinzulegen. Sie strahlte und ich wusste gleich, dass ich sie mochte.
"Hi. Ich bin Mary Ann. Aber bitte nenne mich nur Mary. Ich mag es gar nicht, wenn man mich Ann nennt, was aber nicht heißt, dass ich den Namen Ann hässlich finde, falls du das denkst. Ich mag ihn, ich mag es nur nicht, wenn man mich so nennt. Und wie heißt du?"
"Cara."
Und seitdem sind Mary und ich beste Freundinnen. Ying und Yang.
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Wenn sich Amor verliebt...
RomanceCara ist sich sicher, dass sie nie etwas tun würde, das ihre beste Freundin Mary verletzen würde. Doch als Noel neu an ihre Schule kommt, ist sich die schüchterne Mary sicher, dass das Liebe auf den ersten Blick ist. Sie bittet Cara ihn mit ihr zu v...