Okay, Mrs Miller hat uns doch nicht gefoltert. Und umgebracht hat sie uns auch nicht. Aber angeschrien, ja, das hat sie.
"Cara und Mary, wie können Sie es wagen zum ersten Schultag so spät zu kommen? Eine ganze halbe Stunde! Eigentlich könnten Sie ja gleich nachhause gehen!" Ihre wilden Locken wackelten umher, während sie ihren Kopf schüttelte.
"Naja, Mrs. Miller ich möchte ja nicht unbedingt penibel sein, aber um genau zu sein, waren es 25 Minuten. Wären es 30 Minuten gewesen, ja dann haben Sie recht. Dann sollte man lieber nachhause gehen."
Mrs. Miller verengte die Augen.
"Cara Turner, heute sind Sie ja mal besonders witzig. Eigentlich sollte ich Sie suspendieren für den heutigen Tag. Nicht weil Sie zu spät gekommen sind, sondern weil Sie so frech sind."
"Ach Mrs. Miller, das war doch nur ein Witz."
Ich rollte mit den Augen.
"Sehen Sie, Mary hatte Probleme mit ihrem Auto und ich habe versucht ihr zu helfen."
Mary nickte eifrig. Wie schon gesagt, sie ist extrem schüchtern.
"Hören Sie mal zu. Mir ist es völlig egal, weshalb Sie zu spät sind und sollte der Präsident sie höchstpersönlich davon abgehalten haben, pünktlich zur Schule zu kommen. Kommen Sie in diesem Schuljahr noch einmal zu spät, fliegen Sie aus diesem Kurs. Verstanden?"
Wir nickten eifrig und setzten uns hin. Übrig waren leider nur noch drei Plätze in der vordersten Reihe, so als seien sie extra für uns reserviert worden. Aber ich kann es meinen Mitschülern nicht übel nehmen, dass sie sich auf die hinteren Plätze gesetzt haben. Wer will schon vor der Nase der Lehrerin sitzen?
Mrs Miller unterrichtet Französisch. Sie ist eigentlich die typische Französischlehrerin, die man sich immer vorstellt. Klein, dunkle lockige Haare und sehr zierlich. Sie hat einen extremen Akzent. Am Anfang habe ich sie kaum verstanden, aber mittlerweile habe ich mich an ihre Aussprache gewohnt. Sie ist vor 20 Jahren in die Staaten ausgewandert und hat einen Amerikaner geheiratet - Mr. Miller, der ein Zimmer weiter Geschichte unterrichtet. Ich finde es manchmal skurril, wenn er in unser Klassenzimmer kommt und sich mit seiner Frau unterhält. Vor allem Mrs. Miller finde ich skurril. Normalerweise ist sie immer sehr seriös, doch sobald ihr Mann bei uns vorbeischaut, spricht sie eine Oktave höher und säuselt. Ich muss zwar sagen, dass mein Französisch zwar nicht das beste ist, aber aufgrund unseres Ferienhauses an der Cote d'Azur habe ich schon so manches Französischvokabular aufschnappen können und ich meine mal bei einer der vielen Konversationen von ihnen gehört zu haben, wie Mr Miller seiner Frau sehr aufgeregt berichtet hat, dass das "Spielzeug" angekommen wäre. Die zwei haben keine Kinder und da das vor ein paar Monaten passiert ist und es nicht so aussieht als wäre Mrs Miller schwanger, tja... Sagen wir es mal so, dass die nicht ganz so hellen sich vorstellen wie die zwei wirklich mit Spielzeugen spielen und die hellen sich vorstellen wie sie mit Spielzeugen "spielen". Aber genug von Mrs. Miller.
Croissant, Baguette, Croissant, Baguette, vive la France, bla bla bla. Man, Französisch ist echt nicht mein Fach, in diesem Kurs verstehe ich wirklich nur Bahnhof. Man sollte meinen, dass ich wenigstens das Grundlegendste könnte, aber nein Cara ne parle pas francais. Ich war schon unzählige Male in Frankreich, wo wir schon wie erwähnt ein Ferienhaus an der Cote d'Azur hatten. Das Haus ist einfach ein Traum und es liegt direkt an der Strandpromenade. Es reicht schon völlig aus auf unserer Terrasse zu sitzen und den Klängen des Meeres zu lauschen und schon fühlt man sich so als sei es das Paradies. Als ich klein war, habe ich diese Momente dort unheimlich gemocht und genossen. Einfach den Sonnenuntergang betrachten und sich von seinen unzählig schönen Farben blenden und verzaubern lassen. Doch der Traum platzte als meine Mutter verstarb. Als meine Mutter erkannte, dass sie es nicht schaffen würde, war es ihr letzter Wunsch ihre letzte Lebenszeit mit uns in unserem Strandhaus zu verbringen. Sie meinte, dass dieser schöne Ort die triste Atmosphäre in unserem Leben entnehmen würde. Wahrscheinlich dachte sie aber nur, dass es für mich und Beau einfacher wäre ihr Leiden zu verdrängen, wenn bei uns das Urlaubsgefühl auftreten würde. Und so war es auch. Ich wusste mit zehn bereits, wie schlecht es um sie stand, aber das Meer und die Sonnenuntergänge schafften, dass ich es vergaß. Mein Vater hatte sich zum ersten Mal in seinem Leben vier Wochen Urlaub gegönnt, damit wir die restlichen Stunden als Familie zusammen verbringen konnten. Es waren die schönsten Wochen meines Lebens. Bis sie auf einmal weg war. Die Beerdigung war sehr schlicht gehalten, so wie es meine Mutter gewollt hatte. Wir hatten uns Lilien als Dekoration ausgesucht und eine einzelne Sonnenblume auf den Sarg gelegt - ein Symbol, das zeigen sollte, wie wichtig unsere Mutter für uns gewesen war und wie wichtig sie es für immer bleiben sollte. Unsere Sonne, die plötzlich erlischt war und die uns in unserer Trauer zurückließ. Nach ihrem Tod wurde dieses Traumhaus am Meer ein Wahrzeichen unseres Verlustes. Wann immer ich dort war, hatte ich das Gefühl sie zu spüren, sie zu riechen. Ich hielt es einfach nicht aus. Ich musste aber jedes Jahr mindestens einmal dorthin, denn auf einem Friedhof in der Nähe dieses Hauses wurde sie damals begraben, so wie sie es wollte und ich besuchte ihr Grab seitdem regelmäßig.
"Mademoiselle Turner, je vous en prie, faites attention. Je sais bien quand vous dormez."
Mrs Millers schrille Stimme riss mich aus meinen Gedanken und meine Melancholie entwich einem Anflug von Panik. Was hatte sie gesagt?
" Ah, oui Madame oui, je..., je..", mehr brachte ich nicht raus.
Doch Mrs Miller schüttelte nur den Kopf und nahm Henry, unseren Klassenstreber dran, der die Frage mit Bravour beantwortete. Na toll, offensichtlich bin ich ein hoffnungsloser Fall und die einzigen französischen Wörter, die ich kenne, scheinen Croissant, Baguette und naja.. Spielzeug zu sein.
"Alles in Ordnung mit dir, Cara?"
Marys behutsame Stimme riss mich erneut aus meinen irgendwie selbstzerstörerischen Gedanken. Oh man, hoffentlich höre ich mich nicht allzu komisch an. Alles, was ich sage, hat eigentlich einen ironischen Touch, auch wenn ich mich momentan eher in den düsteren Ecken meines Gehirnes befand.
"Ja, mir geht's gut. Jedenfalls so gut, wie man sich fühlen kann, wenn man sich gerade im Französischkurs befindet."
Es war offensichtlich, dass ich mich irgendwie rausreden wollte, denn Mary merkte immer punktgenau, wann es mir nicht gut ging. Doch diesmal wollte ich nicht, dass sie sich Sorgen machte und dann fiel es mir ein. Der gutaussehende Typ von heute morgen. Ich wollte ihr erzählen, wie ich von ihm schwärmte, und dass er seit langem der erste Typ ist, der mich interessiert. Auch wenn ich nur drei Minuten mit ihm geredet hatte, wir waren auf der selben Wellenlänge. Doch gerade als ich das Gespräch eröffnen wollte, öffnete sich die Tür und hereinschaute ein strahlend weißes Lächeln eines unfassbar hübschen Jungen.
"Ah na endlich", sagte Mrs Miller, während der Junge in das Klassenzimmer eintrat.
"Darf ich euch diesen jungen Mann vorstellen: Noel Johnson. Noel, bitte setzen Sie sich auf diesen freien Platz neben Cara."
Noel schaute mich an und fing an zu schmunzeln und setzte sich hin.
"Hi, Cara."
"Hi, Noel.", sagte ich und lief ein wenig rot an. Mist, jetzt wusste er doch meinen Namen.
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Wenn sich Amor verliebt...
RomansaCara ist sich sicher, dass sie nie etwas tun würde, das ihre beste Freundin Mary verletzen würde. Doch als Noel neu an ihre Schule kommt, ist sich die schüchterne Mary sicher, dass das Liebe auf den ersten Blick ist. Sie bittet Cara ihn mit ihr zu v...