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Diese Stille bereitete Epheriel eine Heidenangst. Er vernahm keinen Mucks, nicht einmal sein Herz konnte er schlagen hören, obwohl es wie verrückt in seinem Brustkorb hämmerte. Der Junge versuchte, irgendwas in der endlos scheinenden Finsternis zu erkennen, aber es war zwecklos. Schwarz, schwarz war das einzige, was er sehen konnte. Vorsichtig probierte er, seine Umgebung zu ertasten, doch seine Arme gehorchten ihm nicht, bewegten sich keinen Zentimeter. Sein gesamter Körper fühlte sich fremd an, so, als ob er bloß eine leere Hülle wäre. Panisch riss Epheriel seinen Mund auf, wollte schreien, doch es kam kein Ton heraus. Ihm war, als würde ihm etwas oder jemand die Kehle zudrücken und die Luft abschnüren. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Noch nie in seinem kurzen Leben musste der Meermann solche Angst durchleben. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, sein Kopf bestand nur noch aus einem Gewirr von Erinnerungen, möglichen Erklärungen für diese missliche Lage und seinen Zukunftsplänen, die er, wie ihm schien, wohl nie verwirklichen könnte. Nach einer Weile des Widerstandes ließ Epheriel sich in die Finsternis fallen, er wehrte sich nicht weiter dagegen. Langsam glitt er weiter in die Stille, während die Dunkelheit Besitz von ihm ergriff und ihn verschlang.


Ganz plötzlich fing jede Faser seines schlanken Körpers an zu kribbeln, als würden leichte Stromschläge durch seinen Körper gejagt werden. Erst war es bloß ein dumpfes pulsieren, doch innerhalb kürzester Zeit entwickelte es sich in heftiges Pochen. Das junge Fabelwesen konnte förmlich spüren, wie ihm das Blut wieder in seine Gliedmaßen floss und das Gefühl in seine Finger zurückkehrte. Auch das Atmen fiel ihm nach ein paar Mal husten nicht mehr so schwer wie zuvor. Seine Kehle ähnelte zwar einer Dünenlandschaft, aber es ließ sich aushalten. Doch auch nach mehreren Augenblicken war es ihm nicht möglich, etwas zu sehen oder hören. Epheriel war sich sicher, dass er seine Augen geöffnet hatte, zur Sicherheit allerdings kniff er sie noch einmal zusammen und riss sie auf, doch nur Dunkelheit. Vorsichtig wagte er es, sich ein Stück nach vorne - oder zumindest was für ihn in jenem Moment vorne war - zu bewegen. Langsam und mit gleichmäßigen Zügen schwamm er, bis - thump!

Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb Epheriel seine Stirn. Irgendetwas versperrte ihm den Weg. Mit großer Vorsicht bedacht legte er seine flache Hand auf die für ihn unsichtbare Barriere. Was er zu fühlen bekam war glatt und kalt. Langsam und nun mit beiden Händen tastete er sich an der Wand nach oben. Es dauerte nicht lange bis der Meermann mit seinen Fingerspitzen die Wasseroberfläche durchbrach, allerdings ging die Wand noch ein Stück weiter, weshalb Epheriel seine Arme nach oben streckte und versuchte einen Rand zu erwischen, bekam aber nichts zu fassen. Da ihm einfach nichts Besseres im Moment einfiel, probierte er es trotzdem noch ein paar Mal, doch das Szenario wiederholte sich bloß. Entnervt gab er auf, da sich nun auch sein Bauch zu Wort meldete. Stress und Hunger wirken sich nicht unbedingt positiv auf die Stimmung aus. Wie lange war er überhaupt ohnmächtig gewesen? Wann hatte er zuletzt gegessen? Während er diesen Gedanken nachhing, vernahm er aus einiger Entfernung leise Stimmen. Epheriel verkrampfte sich unwillkürlich. Die Stimmen wurden immer lauter. Zitternd fuhr der Junge mit einer Hand an die Stelle an seinem Hals, an der ihm von dem einen Luftatmer dieses Piecks-Dings reingedrückt worden war, mit der Erwartung eine geschwollene, schmerzende Hautpartie vorzufinden. Doch zu seiner Verblüffung spürte er etwas merkwürdig Glattes unter seinen Fingern. Es schien dünn zu sein, doch in der Mitte hob es sich leicht, und es passte sich den Bewegungen der Haut an, wie er staunend feststellte.

Da Epheriel so sehr damit beschäftigt war, an dem kleinen Rechteck an seinem Hals herumzuzupfen, merkte er erst, dass drei Personen den Raum, in welchem er sich befand, betreten hatten, als einer von ihnen das Licht anschaltete. Kurz blendete es den Meermann, allerdings gewöhnten sich seine Augen schnell an das Licht, weil es nicht sonderlich grell war. Augenblicklich preschte Epheriel von der durchsichtigen Wand in die Mitte dieses, wie er mit schnellen Blicken feststellte, aus exakt vier eben solchen Wänden bestehende Gefäß. Seine Augen verfolgten jede einzelne Bewegung der drei ihm unbekannten Gestalten, die sich zielstrebig auf ihn zubewegten. Da jene allerdings noch ein gutes Stückchen von ihm entfernt waren, betrachtete er seine Umgebung genauer. "Eigentlich sieht's hier gar nicht so unheimlich aus ...", murmelte er, als er seinen Blick über die in hellem Beige gestrichenen und mit bunten Fotos verzierten Wände, dem weißen Fliesenboden und den überall platzierten Pflanzen streifen ließ.

Mittlerweile waren die Personen vor dem Tank zum Stehen geblieben. Eine von ihnen stieg Stufe um Stufe eine Eisenleiter zum Rand des Beckens hoch, auf welchem sie sich problemlos bewegen konnte, da er breit genug und mit einer Reling versehen war. Epheriel schlug sein Herz bis zum Hals. Was sollte er nur tun? Abhauen war keine Option, da er, wie er bereits festgestellt hatte, gefangen war. Es schienen nicht die gleichen Leute vom Schiff zu sein, weshalb er sich für die zweite Option entschied: Einschüchtern. Er wusste nicht ob es klappen würde, allerdings war es ihm einen Versuch wert. So schnell würde er sich nicht geschlagen geben.

Mit langen, eleganten Zügen schwamm der Meeresbewohner auf den Menschen, der ihn unentwegt zu beobachten schien, – was in diesem Fall wohl auf Gegenseitigkeit beruhte, da Epheriels Augen sich auf den, wie er durch die schwindende Distanz erkennen konnte, jungen Mann fixiert hatten – zu. Drohend fletschte er seine Zähne und ließ seine Schwanzflosse unruhig zucken, um ihm eindeutig zu signalisieren, dass er nicht gerade erfreut war, sich in dieser Situation zu befinden. Umso mehr freute er sich, als er feststellte, dass sich der Mann tatsächlich von ihm entfernte. Seine Freude hielt allerdings nicht lange, da sich der Fremde ziemlich schnell wieder näherte – was mit einem Knurren aus Richtung Wasser kommentiert wurde – und sich diesmal sogar hinsetzte. Eigentlich hätte Epheriel den Schwarzhaarigen durch dessen Unvorsichtigkeit mit Leichtigkeit ins Wasser ziehen oder anderweitig verletzen oder erschrecken können, – und er hätte nichts lieber getan, als ihn wie einen alten Seesack ins kühle Nass plumpsen zu sehen – wäre da nicht dieser verführerische Duft in der Luft, der sich langsam seinen Weg in Epheriels Nase bahnte. Augenblicklich wurden seine Gesichtszüge weicher, seine Flosse peitschte nicht mehr durch das Zucken auf die Wasseroberfläche und das Knurren stoppte. Naja, nicht ganz – es verlagerte nur ein wenig seinen Entstehungsort. Die Röte schlich sich auf seine Wangen, als der Junge sich bewusstwurde, wie hungrig er wirklich war. Er wollte sich den Menschen so nicht zeigen – nicht verletzlich und nicht von ihnen abhängig.

Sein Gegenüber schien den betrübten Blick bemerkt zu haben, denn er lächelte verständnisvoll, ohne ein einziges Zeichen von Hohn, wie der Meermann verblüfft bemerkte. „Du warst ziemlich lange ohnmächtig, da ist es wirklich kein Wunder, dass du Hunger hast“, fing der junge Erwachsene an zu reden. Epheriel überraschte die sanfte Stimme zutiefst. „Er wirkt viel netter als die übrigen Zweibeiner, die ich getroffen oder von denen ich erzählt bekommen habe. Sein Lächeln ist irgendwie süß …“, erwischte er sich selber denken. Schnell verbannte er diese Gedanken in die hintersten Winkel seines Gehirns. Er durfte unter keinen Umständen unvorsichtig werden … auch wenn er zugeben musste, dass seine Gedanken nicht ganz falsch waren. „Ich weiß nicht, was du gerne – oder überhaupt – isst, weshalb ich dir ein paar Fische mitgebracht habe“, fuhr der Sitzende fort, als er mit der linken Hand hinter seinen Rücken fuhr.

Quälend langsam, wie es Epheriel jedenfalls vorkam, zog er einen metallenen Eimer hervor, aus dem der Geruch, der Epheriel das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, zu kommen schien. Vorsichtig hielt er dem Fabelwesen einen Fisch hin. Epheriel begutachtete diesen kurz, und zu seiner Freude war es tatsächlich eine Makrele – ein seltenes Festmahl für ihn. Sie sind so schwer zu fangen, da sie besonders schleimig sind – sogar für Fische. Sein Verstand riet ihm dazu, die Makrele nicht anzunehmen, da die Luftatmer irgendwelche Betäubungsmittel hätten hinzufügen können. Sein Herz – und knurrender Magen – schienen jedoch regelrecht zu schreien, sich diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen zu lassen und sich sattzufressen. Er haderte kurz mit sich selbst, doch dann gewann Instinkt über Verstand. Kurzerhand schnappte er sie sich, schwamm ein kleines Stück weg und biss herzhaft hinein. „Scheint als hätte ich das Richtige ausgesucht“, lachte der Spender dieser Mahlzeit amüsiert. „Guten Appetit!“

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 08, 2019 ⏰

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