Victoria's Secret

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„Danke für's Frühstück, Momma", rufe ich dem hüpfenden Pferdeschwanz hinterher, der noch bevor ich den Satz vollkommen ausgesprochen habe, um die Ecke verschwunden ist. Während ich mir in aller Seelenruhe meine Jacke anziehe, ist sie schon wieder in den Tiefen ihrer Praxis verschwunden. Notfelle retten, wie sie immer so schön sagt. Ja, meine Ma blüht in ihrem Job als Klein- und Haustierärztin richtig auf. Das einzige was fehlt, ist das „Hund, Katze, Maus"- Kamerateam und ihre live-Übertragung aus der Etage unter unserer Küche. Sollte ich ihr vielleicht mal vorschlagen.

Der Weg zur Schule verläuft ohne Komplikationen. Obwohl es regnet, sitzt mein Makeup 1A. Ein Hoch auf's Bus-Kind-Dasein.

In den gewohnt nach Pubertät-stinkenden Fluren des „Schiller-Gymansiums" ( unser Jahrgang taufte es Schülerintern auf „Chiller-Gym" um, da bei uns im Vergleich zu anderen Schulen am meisten Stunden ausfallen - Augen auf bei der Schulwahl, Freunde! ) hallen meine Absätze der Leder-Booties herrlich majestätisch. Ich schreite förmlich über den Linoleumboden. Klock, klock, klock. Nichts und niemand kann mich aufhalten. Mit großen Victoria-Secret-Catwalk-Schritten biege ich um die letzte Ecke, bin fast am Klassenraum der 12b. Heute ist mein Tag und ich werde mit dem Blitzlicht des Fotografen um die Wette strahlen. Pah, nicht mal Benne und Patri - HÄH WA-WAS?!

Klock, klock, klock - Stopp.

Ich halte inne. Bin unfähig weiter zu laufen und reibe mir geistesgegenwärtig die Augen. UNMÖGLICH.

Da stehen doch tatsächlich Benne und Patricia Lettmann kichernd (!) nebeneinander. Er - der mir vor nichtmal 24h seine Liebe gestanden hat - berührt nahezu beiläufig mit seiner linken Hand ihre unnatürlich schmale Hüfte. Die Rechte nutzt er für's Gestikulieren. Benne erzählt irgendwas, was weiß ich, und Bitchtricia lacht. Sie lacht. Laut und sexy und schmeißt ihre Po-langen Balayage-Haare, für die sie wahrscheinlich Hunderte von Euro bei irgendeinem Promi-Friseur gelassen hat, von links nach rechts. Ihre Hand berührt seine Brust, sie lehnt sich nach vorne, ihre Stirn berührt kurz seine Schulter. Ja, sie bekommt sich vor lauter Lachen gar nicht mehr ein. Was für eine Heuchlerin. Niemals, aber wirklich never ever, hat Benne etwas dermaßen Lustiges erzählt, pah. Blöde Kuh. Bitchtricias (fake-)Lachen hat sich wieder in ihr charakteristisches Tucken-Kichern verwandelt. Benno wandert mit seiner Hand in die Richtung ihres Nacken und flüstert in ihr Ohr. Sie wird leicht rot ( und ich staune, wusste nämlich bis gerade nicht, dass das trotz 3 Tonnen Mac-Foundation überhaupt möglich ist ) und nickt. Benne zwinkert Bitchtricia zu und manövriert noch in derselben Kopfbewegung seinen Blick auf mich.

Eigentlich hätte ich mir das denken können, stand wahrscheinlich einige Minuten wie angewurzelt mitten im Flur. Nur konnte ich nicht denken, nein. Noch immer habe ich mich keinen Zentimeter bewegt und erst jetzt fällt mir auf, dass ich tatsächlich mitten in meinem Super-Model-Walk verharrte. Schnell ändere ich die Position meiner Beine, versuche auf cool zu machen. Doch Benne's Blick brennt wie Feuer. Demonstrativ schiebt er seine Hüfte noch ein Stück näher an die Bilderbuch-Tussi von Mitschülerin.

Mir ist es nicht möglich, den Blick von dieser Szene abzuwenden. Ich bin noch immer verdattert, was gerade passiert und so glotze ich stumpf weiter in die viel zu perfekte Visage von Bitchtricia, wie sie meinem Gerade-eben-Ex etwas erzählt.

Wie in einem schlechten Film stehen wir jetzt also auf dem Schulflur. Es klingelt. Der Unterricht beginnt und wir werden mit unserer Parallelklasse zum Fotografen gerufen. Alle machen sich auf den Weg. Bitchtricia greift nach ihrem Louis Vuitton-Shopper und Benne löst seinen Blick von mir, wirft sich den Rucksack auf den Rücken und trabt hinter ihr her. Einen Blick bekomme ich noch zugeworfen, dann verschwindet er in der Masse von Teenagern.

Meine Synapsen sind durchgebrannt und es ist erst drei Minuten nach Acht. Noch immer stehe ich wie gelähmt im Flur und kann keinen klaren Gedanken fassen. Wie auch? Ich war psychisch auf alle Eventualitäten vorbereitet - nur nicht darauf, dass Mr. Ich-liebe-Dich innerhalb von ein paar Stündchen sich an Bitchtricia Lettmann ran wirft.

Genau die Mitschülerin, die bei Traumberuf in der fünften Klasse „Erbin und Tochter" angegeben hat und ihr Abitur voraussichtlich nur schafft, weil ihr Daddy, den Arsch voll Geld und der Schule eine Sternwarte besorgt hat. Eine verdammt nochmal richtige Sternwarte. Dabei kann seine eigene Brut nichtmal Australien von Großbritannien unterscheiden ( Erdkunde, 8. Klasse bei Frau Schnettker und ich werde es nie vergessen) und ist auch ansonsten nicht die hellste Kerze auf dem Kuchen. Nur schön ist die Olle.
Ich schnaube verächtlich.

„Ähh, Honey? Alles okay?! Du siehst ja aus als wäre ein Ufo direkt vor deinen Augen gelandet und überhaupt, Freddie mensch, wir müssen doch zum Shooting!!" Rosa war also auch mal endlich da. Es grenzt an ein Wunder, dass sie heute sogar fast pünktlich ist. Doof nur, dass sie trotzdem die Vorführung des Jahres verpasst hat.

Dankbar, dass sie mein Mini-Kopfkino von Benne und Bitchtricia allein in der Sternwarte bei Vollmond beendet hat, sprudelt auch schon mein morgendlicher Schock-Zustand aus mir heraus. Ich höre gar nicht mehr auf zu reden, Rosa untermalt meine dramatische Schilderung des Unglaublichen an den passenden Stellen mit „No way!", „dieses Flittchen" und „seriously?!".

Als ich fertig bin, geht es mir ein bisschen besser, denn das Rauslassen der Emotionen hat definitiv geholfen. Nur ist Rosa jetzt auf 180. Sie kann es einfach nicht fassen, wie „childish" Benne sich verhält und dass er auch noch ausgerechnet die hirnamputierte Luxusgöre als meine Nachfolgerin auserkoren hat, setzt dem ganzen die Krone auf.

Ich kenne Rosa aber auch gut genug, dass ich weiß, dass es ihr vor allem um eins geht: Mit dieser bekloppten Überraschung am Morgen hat mich der Idiot verletzt. Beziehungsaus hin oder her, er wollte mir einen reinwürgen und es hat funktioniert. Und genau das ist der Knackpunkt: diese Genugtuung gönnen wir ihm nicht.

Während ich mich noch über mich selbst ärgere, dass mir dieses Kindertheater so nah geht, schmiedet Rosa Rachepläne. Ihre Augen glitzern leicht beängstigend unter dem braunen Pony hervor und ich bin mir bei dem Anblick sicher, dass die Turteltauben gleich Federn lassen werden. 

Und so gehen wir, ordentlich verspätet, aber bestimmten Schrittes los.

Von Liebe, Träumen und HundekeksenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt