Kapitel 9

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PoV. Jonas

Ich wusste dass ich tot war. Ich hatte die Kugel gesehen... gespürt dass sie mich traf...Sauber mitten ins Herz. Und doch... ich war weder in irgendwelchen Paradiesen, noch in schwarzen Höllen gefangen. Und ich hatte anscheinend noch irgendeine Art von Bewusstsein. Um genau zu sein, ich stand in dem berühmt berüchtigten Tunnel. An beiden Seiten des Tunnels flackerten Bilder entlang, wie in einem Film. Ich beobachtete sie, da ich anscheinend hier nicht sehr viel anderes machen konnte. Sie zeigten unterschiedliche Szenen aus meinem Leben. Hier wo ich gerade stand war ein kleines Baby zu sehen, welches fröhlich quietschend auf einer Decke herum rollte. Meine Mutter kam ins Bild und hob mich fröhlich lachend hoch. Die Traurigkeit traf mich wie einen Faustschlag. Ich hatte mich nicht mehr von ihr verabschieden können. Was würde sie jetzt ohne mich machen? Jetzt gab es nurnoch sie und meine kleine Schwester. Ach Lilly... Was wirst du ohne deinen großen Bruder machen? Ich hatte mein Versprechen gebrochen. Nachdem unser Vater abgehauen ist, hatte ich ihr versprochen, dass ich niemals gehen würde. Ich würde nie mitbekommen wie sie größer wurde. Nie ihren ersten Freund einschüchtern, das er ihr unter keinen Umständen wehtun soll. Ich würde sie nicht vor der großen, beängstigen, grausamen und verstörenden Welt da draußen beschützen können. Eine einsame Träne rann über meine Wange und hinterließ eine brennend heiße Spur, bevor sie auf den Boden tropfte. Bevor ihr noch weitere folgen konnten, drehte ich mich um und lief weiter den Gang entlang.

Immer mehr Erinnerungen kamen wieder hoch, die ich fast vergessen hätte. Kindergarten, Grundschule, Realschule, Gymnasium...

All die Menschen, alle Freunde die ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. All die kleinen, großen, lustigen oder auch traurigen Ereignisse meines Lebens zogen an mir vorbei. An manchen dieser Bilder ging ich schnell vorbei, an anderen blieb ich lange stehen und sah sie mir mehrmals an. Sie wiederholten sich stetig und ich wurde nicht müde. Ich hätte noch stundenlang weiter in meinen Erinnerungen wühlen können, jedoch ich hatte eine Kleinigkeit vergessen. Ich war nur fast 18 Jahre alt...Dementsprechend hatte ich nicht unendlich viele Erinnerungen. Diese Tatsache wurde mir gerade schmerzlich in Erinnerung gerufen, als ich aus vollem Lauf mal wieder gegen ein festes Hindernis lief. In diesem Fall war es eine Wand, welche mir den Weg versperrte. Auf dieser Wand war in groß meine letzte Erinnerung abgebildet.

Ich sah Felix und mich noch einmal in die Bahn steigen und durch die Nacht fahren...

Aussteigen, mit Hanna weiterlaufen.

Im Aufenthaltsraum warten.

In die Technikräume laufen.

Sah Hanna und Joshua noch einmal reden.

Sah wie die Türen sich nicht öffnen ließen.

Wie sich alle wegen der Stimme aus den Lautsprechern krümmten.

Hanna und Joshua erklären.

Felix knackt die Türe.

Das Paar rennt.

Die große Türe wird gesprengt.

Und dann wie einer nach dem anderen zusammensackt, getroffen von den tödlichen Geschossen.

Doch ab diesem Punkt passiert etwas neues. Die Projektion teilt sich. Neben dem unsinnigen Blutvergießen im Technikraum, taucht ein neues bild auf. Hanna und Joshua, wie sie Hand in Hand aus dem Gebäude liefen. Beide haben mittlerweile ein Schwert in der Hand, welche zu meinem Entsetzen Blutgetränkt waren und Hanna hält eine Schusswaffe in der Hand. Neben dem Haupteingang der Schule liegen zwei blutüberstöhmte Männer. Ich vermute daher das Blut an den Klingen. Hinter den Beiden rennen zwei weitere Männer aus dem Gebäude, welche jedoch sofort von mehreren Männern in Armeekleidung erschossen werden. Hanna und Joshua werden von diesen Armee Menschen in Schutz genommen, genauso wie sämtliche Schüler der Schule, die verschreckt hinter den Großen Bussen stehen, welche sie vermutlich schützen sollen. Ich seufzte erleichtert auf. Hanna war in Sicherheit. Wenn die Männer wirklich wie ich vermutete von der Armee waren, dann konnte dem Paar jetzt nichts mehr passieren.

Im Technikraum sah ich gerade, wie mein lebendiges Ich als letzter zusammenbrach. Das Mädchen in der Türe grinste zufrieden und drehte sich um. Das Bild folgte ihr, während sie durch die leeren Gänge schlenderte. Ich sah an der Seite einen kleinen Turnbeutel liegen, und kurz danach die Leiche eines Mannes, welcher von zwei Wurfdolchen niedergestreckt worden war. Auf ihrem Weg kam das Mädchen an noch mehr Leichen vorbei, welche sie jedoch kaum beachtete, als wären die Männer ihr vollkommen egal. Ich fragte mich wo sie hin wollte, da sie keinen der Ausgänge ansteuerte, sondern in den Keller der Schule lief. Als sie jedoch vor einer Wand anhielt und dort in ein großes Sprengloch kletterte wurde es mir klar. Sie würde entkommen. Sie würde für ihre grausamen Taten nicht bestraft werden. Ich fühlte einen extremen Zorn in mir aufsteigen. Extremer als alles was ich jemals gespürt hatte. Ich wollte diese Person, welche solches Leid angerichtet hatte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, Schmerzen zufügen. Sie verletzen. Ich schlug blind auf das Bild ein, in der irrwitzigen Hoffnung der Person darauf irgendwie Schaden zufügen zu können. Kleine Risse zeigten sich schon in der Wand doch ich schlug weiter blind vor rasendem Zorn auf sie ein. Legte meinen gesamten Frust, meine ganze Traurigkeit und meine Wut in die Schläge, während sich die Risse in der Wand immer weiter ausbreiteten. Ich bemerkte nicht wie mir die Trähnen ungehindert über die Wangen liefen oder wie mir das Blut langsam über die Knöchel und den Handrücken tropfte.

Ein letztes mal schlug ich auf de Projektion ein, welche unter diesem Schlag zersprang.

Sie war weg. Mit ihr erloschen auch flackernd alle anderen Bilder in dem Tunnel, eines nach dem anderen

Ich schluchzte trocken auf.

Alle Wut war verraucht.

Zurück blieb Unverständnis.

Alles war weg.

Ich war hier in einem dunklen, leeren Tunnel, de bis vor kurzem noch meine Lebensgeschichte erzählt hatte.

Alleine.





Noch einmal schlug ich verzweifelt gegen die Wand. Oder versuchte es zumindest. Die bis gerade eben noch feste, undurchlässige Wand war durchlässig geworden und meine Faust flog ungehindert hindurch. Von meinem Schwung gezogen, flog ich also schnurstracks durch die Wand in eine graue Masse.

Black Angel, Die Chroniken von Licht und DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt