Zwei Brüder und eine Verletzung

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Den Weg zu Damians schwarzem Honda CR-V hatten sie überraschend schnell geschafft. Er öffnete Rachel die Tür und stütze sie beim Einsteigen. "Ist es bequem?" Er war so zuvorkommend zu ihr, dass es Rachel fast unangenehm war, dass sie ihn morgens um 6 Uhr aus dem Bett geholt hatte. Sie nickte wieder einfach nur, ohne etwas zu sagen. Damian sprang auf die Fahrerseite und startete den SUV. "Es ist nicht weit. Nur knapp fünf Meilen", erklärte er und stieg aufs Gaspedal.

Er hatte ein klares Ziel im Kopf, da er vor kurzem erst ein Praktikum im Virginia Mason Hospital absolviert hatte, war es naheliegend, dass er Rachel dorthin bringen würde. Da es noch recht früh an einem Sonntagmorgen war, konnte Damian Gas geben, da die Straßen wie leergefegt waren. Die meisten Einwohner der Stadt schliefen vermutlich noch. So raste er über den Asphalt. Rachel war ein wenig mulmig im Auto. Normalerweise fuhr sie weder mit Fremden einfach mit, noch so schnell. Damian warf ihr einen kurzen, prüfenden Blick zu: "Alles ok?" Rachel wollte nicht unhöflich sein und antwortete: "Ja!" Er half ihr schließlich und kümmerte sich um sie, obwohl sie sich nicht einmal zwölf Stunden kannten. "Wir sind gleich da." Da war es wieder: Das Lächeln, das Rachel faszinierte. Das Lächeln, das einfach perfekt zu den blauen Augen passte, die Rachel jedes Mal aufs neue hypnotisierten. Ihre Gedanken wurden durch ein plötzliches, schmerzvolles Ziehen in ihrem Knöchel unterbrochen. Ein Ausruf des Schmerzes brach aus ihr heraus. "Tut mir leid, Rach. Ich vergesse immer wieder dieses dämlichen Hubbel auf der Straße." Rachel bemerkte gerade nicht einmal, dass er sie Rach genannt hatte, was in Portland nur ihre Freunde und ihre Brüder getan haben. Es war, als wäre sie zuhause. Er gab ihr das Gefühl angekommen zu sein, obwohl sie gerade ein Krankenhaus erreicht hatten und Rachel andere Sorgen haben sollte.

Sie hatte nicht bemerkt, dass Damian ins Krankenhaus gerannt war, um einen Rollstuhl und einen Arzt zu holen. In Begleitung des Mediziners kam Damian wieder heraus und die beiden halfen der Verletzten in den Rollstuhl. Dann redeten sie in einer Fachsprache, die für Rachel fast chinesisch klang. Sie verstand keine Silbe und hörte Ausdrücke wie "Fraktur", "Fibula", "Talus" und weitere Begriffe, mit denen sie nichts anfangen konnte. Besorgt sah sie Damian an. Er bemerkte ihren Blick und versuchte sie zu beruhigen: "Mach dir keine Sorgen. Ich habe dafür gesorgt, dass du in besten Händen bist. Das ist sicher alles halb so schlimm." Rachel wusste immer noch nicht warum, aber seine Worte beruhigten sie abrupt. Zwar plagten sie immer noch Schmerzen, aber sie vertraute darauf, dass sie bald behandelt werden. Eigentlich hoffte sie, dass es mit ein paar Schmerzmitteln getan war. Der Arzt schob seine Patientin nach drinnen: "Miss Cooper? Ich bin Dr. Jacobs, Ihr behandelnder Arzt heute Morgen. Mister Cohen hat mir erzählt, was passiert ist. Wir werden Sie röntgen und dann sehen wir weiter."

Als sie die Tür zum Röntgenraum erreichten, blieb Dr. Jacobs plötzlich stehen: "Mister Cohen. Ich weiß, sie kennen sich bei uns aus. Aber Sie müssen hier auf Ihre Freundin warten." Seine Freundin? Rachel hatte sich da wohl verhört, aber bevor sie widersprechen konnte, meldete sich erneut ihr Knöchel zu Wort. "Ich warte hier auf dich, Rach", sagte Damian lächelnd. Hinter Rachel und Dr. Jacobs schloss sich die Tür, bevor sie Damian antworten konnte.

Damian blieb alleine vor der weißen Tür zurück. Er wusste aber, dass Rachel bei Dr. Jacobs gut versorgt war, denn er war einer der besten Ärzte der ganzen Klinik. Das Erste, was Damian nun als Zeitvertreib unternahm, war ein Spaziergang zum Kaffeeautomaten am anderen Ende des Flurs. Das war wohl das einzige, was ihn jetzt wach halten konnte. Doch er sollte sich irren. Gerade als Damian den Kaffeebecher aus dem Automaten genommen hatte, öffnete sich der Fahrstuhl und ein blonder, junger Mann mit sportlicher Statur kam heraus. Ihn kannte Damian besser, als es ihm gerade lieb war. Er ließ den fast vollen Kaffeebecher in den Mülleimer fallen und stürmte auf den blonden Mann zu. "Was zur Hölle tust du hier?" rief Damian ihm drohend entgegen. Der junge Mann, der etwa 20 Jahre alt war, sah ihn entsetzt an. "Ich ... nichts. Was tust du hier?" Er schluckte. "Ich versuche, deine Scheiße wieder gerade zu biegen, die du gebaut hast, Jonah!" Damian war der Raserei nahe. In seinen Augen war die Wut zu sehen, die er gerade schürte. Er zerrte Jonah in einen offenen, leeren Raum. "Verdammte, scheiße. Wenn du nochmal abhaust, pass gefälligst auf, dass du nicht die neuen Studentinnen überfährt, du Trottel!" - "Es tut mir leid. Ich hatte doch gesehen, wie sie aufgestanden ist. Geht's ihr gut?" Jonah zitterte. Man konnte ihm die Angst ansehen, die er vor Damian hatte. "Du hast verdammtes Glück gehabt, ist wohl nur der Knöchel verstaucht", erklärte Damian Jonah wütend. "Ich hab sie hier hergebracht. Sie hat mich heute Morgen in übelster Frühe aus dem Bett geklingelt." - "Du bist unfair zu ihnen, Bruder!" Jonah zog den Kopf ein, als erwartete er dafür bestraft zu werden. Tatsächlich schien Damian kurz darüber nachzudenken, ob er die Hand gegen seinen Bruder hebt, ließ sie aber gesenkt und sagte stattdessen in einem unheimlichen, ruhigen Ton: "Noch so eine Aktion und du hast ein richtiges Problem!" Völlig eingeschüchtert nickte Jonah nur. "Und jetzt verschwinde aus meinen Augen!" befahl Damian seinem kleinen Bruder, der geknickt den Raum verließ.

Bad Love InterestWo Geschichten leben. Entdecke jetzt