Kapitel 3

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Ein lautes Hupen sowie ein lauter Knall rissen mich unsanft aus meinen Gedanken. Ein Auto fuhr gerade aus der Einfahrt hinaus, an der ich vorbei wollte. Die Vorderseite meines Autos berührte die ihre und als ich vorsichtig zurückfuhr, entblößte sich eine große Delle kombiniert mit einem dicken Kratzer. Die Fahrerin stieg aus, lief mit schnellem Schritt, die Fäuste geballt, auf mich zu. Sie sah unfassbar wütend aus. Sie schaute mich nicht an, jedoch sagte sie mit einem deutlich aggressiven Unterton etwas zu mir. ,,Pass verdammt noch mal auf! Hast du keine Augen im Kopf?" Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und musterte mich. ,,Wie heißt- ?" Sie beendete ihren Satz nicht, sondern schaute mich nur geschockt an. ,,Weißt du, es ist schon oke. Fahr einfach weiter." , sagte sie leise, plötzlich in einer viel freundlicheren und helleren Tonlage. Sie drehte sich um, stieg in ihr Auto, wendete und fuhr in die andere Richtung davon. Wow, was war das denn? Mir kam die Frau bekannt vor, ich wusste aber nicht wieso oder woher ich sie kennen sollte. Ich setze meine Fahrt fort, widmete mich diesmal aber voll und ganz der Straße.
Ein letztes Mal schaute ich auf mein Navi, bevor ich die Auffahrt zu Marys Haus hinauf vor. Ich ließ mein Gepäck noch im Auto stehen und war gerade im Begriff aufzustehen, als ich Tante Mary bereits auf mich zu laufen sah. Ihr Lächeln war so breit und strahlend, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ich schenkte ihr jedoch nur ein leichtes Lächeln aus Höflichkeit. Ich besaß die Kraft für ein starkes, ehrliches Lächeln einfach nicht mehr. Hinter ihr erschien ein rothaariger, zerzauster Kopf, der zu einem gut aussehendem Jungen gehörte. Archie. Auch er lächelte breit und Mary ließ ihn an ihr vorbei, damit er geradeaus auf mich zu laufen konnte. ,,Hey Cheryl, ich bins, Archie. Ich weiß wirklich nicht ob du dich an mich erinnern kannst, aber wir unternahmen früher sehr viel zusammen. Darf ich deine Taschen aus dem Auto holen?" Der Unterton während er diese Worte sprach, war so lieblich und voller Freude. Jegliche Sorge löste sich in Luft auf. ,,Ja natürlich erinnere ich mich an dich, ich hatte riesige Angst, du hättest mich vergessen. Und ja, das wäre unfassbar lieb von dir, vielen Dank.", nickte ich ihm zu. Er packte meinen Koffer, schulterte meine Handtasche und stiefelte Richtung Haus. Ich folgte ihm, jedoch fing Mary mich ab. ,,Hallo Cheryl, schön dass du endlich hier bist. Ich freue mich sehr.", lächelte sie erneut. Langsam habe ich das Gefühl, sie kann ihre Mundwinkel nur nach oben ziehen und nichts Anderes. ,,Ich bring das alles schonmal in dein Zimmer.", rief Archie mitten ins Gespräch. Ich nickte ihm erneut zu und widmete mich wieder Mary. ,,Falls du etwas brauchst, melde dich einfach. Ich bring dich jetzt erstmal auf dein Zimmer und wenn du in Ruhe ausgepackt hast, zeige ich dir Alles, in Ordnung?" Ich musste schmunzeln. Schon früher war Mary ein übermotivierter Mensch, der immer freundlich war und stetig alles positiv sah. ,,Ja klar, ich freue mich auch sehr, vielen Dank.", lächelte ich sie an. Sie führte mich ins Haus und stieg eine Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock. Ich folgte ihr bis in das hinterste Zimmer auf der linken Seite, wo Archie bereits auf uns wartete. Ich konnte meinen Augen kaum glauben, aber das Zimmer war wunderschön eingerichtet. Offensichtlich war meine Überraschung nicht zu verbergen, denn Archie lächelte mich an und begann zu reden. ,,Eine Freundin von mir hat mir geholfen, das Zimmer einzurichten. Ich hoffe, es gefällt dir. Sie freut sich übrigens auch schon, dich kennenzulernen." Seine Stimme hat eine beruhigende Wirkung auf sich, durch die man alle Sorgen einfach vergisst. ,,Es ist wunderschön, vielen Dank.", lächelte ich. ,,Wie heißt diese Freundin denn?" ,,Sie heißt Betty, sie wohnt nebenan. Ich kann dich ihr ja mal vorstellen, wenn du ausgepackt hast. Natürlich nur wenn du willst." ,,Oh ja, das wäre großartig!" Ich freute mich wirklich. Es wäre echt toll, schon eine Freundin zu haben, an die ich mich wenden kann.
Ich brauchte nur knapp eine Stunde zum Auspacken, da ich ja nur das Nötigste mit hatte. Ich hatte bereits meine Kleider in dem großen, weißen Kleiderschrank verstaut und saß gerade an meinem ebenfalls weißen, aus Holz bestehenden Schreibtisch, als Archie mein Zimmer betrat. ,,Hey Cheryl, bist du so weit?", fragte er, ohne mich anzusehen. Sein Blick galt ganz den sorgfältig aufgestellten Bildern auf meinem Schreibtisch. Diese Bilder zeigen Nana, Jason und mich. Wir waren glücklich; ich lächelte so breit und strahlend wie nun schon lange nicht mehr. Ich nickte, und stand auf. ,,Ist es für Betty wirklich okay, wenn ich mitkomme?", fragte ich, meinen echten Zweifel versteckend, während ich den Stuhl heranschob. Archie lächelte. ,,Ja natürlich. Sie freut sich wirklich, dich kennenzulernen. Und sie wird dich sicherlich nach dem Zimmer fragen. Komm, Betty wartet, lass uns gehen."
Als Archie die Klingel von Bettys Haus betätigte, machte sich plötzlich die Nervosität in mir breit. Und mit jedem hörbarem Schritt richtung Tür wuchs diese Nervosität. Was, wenn sie mich nicht leiden kann oder ich nicht so bin, wie sie es sich vorgestellt hat? Mein Zweifeln wurde unterbrochen, als eine bildhübsche, strahlende Blondine uns die Tür öffnete. ,,Und du musst also Cheryl sein?" Sie lächelte mich an und sie strahlte riesige Freude aus. Diese Freude umschloss mich und engte mich ein. Es fühlte sich an, als würde mich diese Freundlichkeit erdrücken. Ich war es nicht mehr gewöhnt, einer solchen Freude entgegnen zu treten. Nicht mal Mary konnte ihr Konkurrenz machen.
Aber Bettys Freude stecke an. Sofort begann auch ich zu lächeln und bejahte ihre Frage. Ich freute mich auf die Zeit mit Betty und Archie. Ich glaubte, dass Betty und ich wirklich Freunde werden könnten. Denn einen solch positiven Menschen, der von Freude erfüllt ist und diese Freude einfach überall verteilte - solch eine Freundin brauchte ich momentan mehr je zuvor. Doch das dachte ich nur. Es war nur eine Hoffnung, die aus Verzweiflung heraus entstanden war, dass solch ein Mensch kein zweites Gesicht hat. Betty würde niemals meine Freundin werden, das weiß ich jetzt.

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