Prolog

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Mit der Nacht ist die beißende Kälte gekommen. 

Die nächste dunkle Wolke, die der starke Wind des Nachmittags rangetragen hatte, lässt zarte Schneeflocken auf unsere Stadt rieseln.
Im Licht der angesprungenen Straßenlaternen sehen sie wie der Staub aus, der in einem Sonnenstrahl in der Luft tanzt.
Ich schiebe meine Hände in die Jackentaschen. Meine Handschuhe sind zuhause und ich spüre  meine Fingerspitzen schon nicht mehr.
Der neue Schnee knirscht mit diesem unverwechselbaren Geräusch unter meinen schweren Stiefeln und der warme Atem vor meinem Mund kondensiert in der Luft zu kleinen Dampfwölkchen, die binnen Sekunden auch wieder verschwinden.
Nebel hat sich langsam über unser verschlafenes Dorf gelegt. Er ist nicht dicht, dass ich soweit gehen würde, zu sagen, dass ich nicht mal die Hand vor Augen sehen kann, schließlich sah ich die Schneeflocken im Laternenlicht, aber die Häuser in der Ferne waren schwerer zu erkennen.
Ich liebte Spaziergänge. Besonders in dieser Jahreszeit. Ich bin kein Sommerkind, das am liebsten den ganzen Tag am Strand liegen würde und nicht genug von Sonne und Meer bekommt; ich bin ein Kind des Winters. Ich war zwar im Frühjahr geboren, trotzdem habe ich mein Herz an das unschuldige Weiß des Neuschnees verloren, das einen starken und trotzdem wunderschönen Kontrast zu der dunklen Farbe einer immergrünen Tanne bildet.
Ich habe meine Haare offengelassen, sie fallen mir über die Ohren und etwas unter die Schulter. Ich hatte mein Haarband beim Sport vergessen.
Meine Tasche mit meinen Turnklamotten hängt mir über der Schulter und das Klappern des Reißverschlusses ist das einzige Geräusch neben meinen Schritten im Neuschnee.
Ich will meine gewohnte Runde drehen. Unser Städtchen ist  nicht groß und die Straßen sind unbelebt am späten Abend. Ich habe meine Ruhe. Die Zeit nutze ich, um über alles Mögliche nachzudenken. Ich dachte an die Schule, meine Umgebung, und was ich ändern wollte oder was so bleiben sollte, wie es ist.
Der Nebel wird ein bisschen dichter, trotzdem ist meine Sicht noch weit genug um zu sehen, wo die nächsten paar Straßenlaternen aufgestellt sind. Und selbst wenn, ich kenne unser kleines Städtchen besser als meine Westentasche. Ich kenne jede Straße, jede Gasse, jeden Hinterhof und jeden Schleichweg.
Ab und zu kommen mir ein paar Leute entgegen, ich nicke ihnen zu oder begrüße sie freundlich, je nachdem, wie gut ich diese Personen kenne. Sonst ist es still.
Manchmal gibt es einen starken Windstoß und die Bäume, die in der Allee stehen, durch die ich grade meinen gewohnten Weg gehe, rascheln so stark mit ihren Blättern, dass es wie Wasserrauschen klingt. Je mehr Schnee jedoch fällt, desto mehr verklumpen die Blätter miteinander und statt ein Rascheln der Blätter zu verursachen, fegt der Wind ab und zu kleine Schneeklumpen aus den Wipfeln.
Hinter mir höre ich, wie schnelle Schritte durch den Neuschnee auf mich zukommen.
Ich sehe mich um und erblicke eine schwarze Katze.
Ihre Pfoten sind weiße Stiefel aus Schnee und ihre Augen blitzen grün im Licht der Straßenlaternen.
Schneeflocken landen auf ihrem Fell und sie sieht aus, wie mit Puderzucker bestreut.
Die Katze läuft schnell an mir vorbei und wirbelt bei jedem Schritt den Schnee hinter sich auf.
Ihr Fell glitzert als das Licht von den Schneeflocken zurückgeworfen wird, dann verschwindet die Katze in der zunehmenden Dunkelheit und dem dichter werdenden Nebel.
Der Wind lässt die wieder nackten Blätter der Bäume raschelnd.
Ich war überrascht, dass es jetzt schon schneit. Es war Ende Oktober und ein paar Bäume haben noch vereinzelte Blätter an ihren Ästen.
Ich gehe meinen Weg weiter.
Der Nebel ist dichter geworden. Ich nehme ihn jetzt um mich herum wahr.
Es ist, als wäre ich unter einen unsichtbaren Vorhang getreten, denn der Nebel hüllt mich nun vollständig ein.
Ich sehe zwar alles vor mir. Ich kann bis zur der nächsten Straßenlaterne sehen, danach verschwindet alles in den grau-weißen Nebelschwaden. Ich spüre die Feuchte des Nebels auf meinen Wangen und meiner Nase und wie diese fast schon stickige Kälte diese Feuchte fast gefrieren lässt. Es fühlt sich an, als würde meine Haut sich schmerzhaft zusammen ziehen. Ich vergrabe mein halbes Gesicht in meinem Schal.
Ich überlege mir, ob ich vielleicht meine Route ändern soll. Dass ich jetzt einen anderen Weg gehe, direkt nach Hause. Das wäre vielleicht besser, es wird unerträglich, wenn es noch kälter und nebliger werden würde.
Die Gassen der Stadt sind in dunkle Schatten getaucht und durch den Nebel wird selbst das wenige Licht, dass die Gassen noch etwas erhellt hat, gedämpft.
Mir wird etwas mulmig. Ich mochte dunkle Gassen noch nie.
Ich gehe grade an einer vorbei, als es passiert.
Ich spüre etwas festes, was meinen Oberarm umklammerte. Erschrocken und unfähig vor Schock etwas zu tun spüre ich nur noch wie ich eine dieser Gassen gezogen werde.
Die Feuchte des Nebels und die mich einhüllende Kälte stechen mir schmerzhaft in der Lunge als ich vor Schreck aufatme. Mein Kopf trifft hart eine Wand und mir wurde kurz schwarz vor Augen.
Der Griff um meinen Arm verstärkt sich als ich etwas wie ein Tuch vor meiner Nase und meinem Mund spüre.
Ich schrecke auf und atme etwas ein.
Mir fallen augenblicklich die Augen zu und um mich herum wird es schwarz.
Ich sinke zu Boden und das Letzte, was ich spüre, war mein Gesicht, das in dem frischen Neuschnee landet.

NeuschneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt