3. Kapitel Schmetterlingszeit

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Das Gewitter zog nur langsam über den Zeltplatz. Melanie wurde durch einen Donnerschlag wach, und begann augenblicklich an zu zittern. Es war immer noch brütend warm im Zelt. Aber Gewitter waren nun mal gar nicht ihr Ding. Sie hatte es den anderen nicht großartig erzählt, wie schlimm es für sie war. Nur das sie Gewitter nicht mochte. Als sie die nächsten Blitze durch die Zeltdecke sah, war es vorbei mit ihrer Ruhe. Und als der Donner grollte, richtete sie sich auf. Schnell krabbelte sie zu Bernd, ging nah an seinen Kopf, schüttelte ihn am Arm. „Hhmm", machte er, ale er wach wurde. „Es gewittert, Bernd. Ich habe Angst." „Regnet es schon?" fragte er noch verschlafen. „Nein, noch nicht." „Gut. Ich mache die Fenster erst Dicht, wenn es anfängt. Wegen der schlechten Luft. Du weißt, dass Du keine Angst haben musst. Ich habe am Waschhaus einen großen Mast mit Blitzschutz gesehen. Wir sind ziemlich sicher hier." „Ja, ich kenne die Physik. Aber ich habe trotzdem bei Gewitter Angst." Wieder zuckten Blitze. „Kannst Du etwas Licht machen?" „Na, klar." Bernd stand auf und zündete eine Gaslampe an, drehte sie aber ziemlich runter. Dann blickte er auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach vier. Es würde gleich hell werden. Die anderen lagen ziemlich aneinander, schliefen aber. „Du kannst zu mir kommen, wenn Du möchtest und Dich das etwas beruhigt." Er legte sich wieder hin. „Das ist sehr lieb von Dir. Ehrlich gesagt, zu hause muss ich es immer ganz dunkel haben, und nachts gehe ich sogar immer zu meinen Eltern ins Bett. Ich weiß nicht warum, aber ich habe halt Angst." Sie kroch zu ihm, legte sich mit ihrem Rücken an seinen Bauch. Bernd legte einen Arm um sie und streichelte sie an ihrer Schulter. So lagen sie eine Weile, ohne zu reden. Immer wenn es blitzte oder donnerte, spürte er ihr leichtes Zittern.

Das Gewitter zog nicht direkt über sie hinweg, hielt sich aber hartnäckig. Bernd beobachtete, aus welchen Richtungen die Blitze kamen, und zog dann den Schluss, dass es wohl mindestens zwei oder drei verschiedene sein mussten. Dann begann es zu pladdern. Schnell sprang er auf und schloss die Fensterfolien. Da es allmählich hell wurde, löschte er wieder die Gaslaterne. Als er sich wieder neben Melanie legte, und sie seinen warmen Körper spürte, die schützende Hand fühlte, die sich diesmal auf ihren Bauch legte, wurde sie schlagartig ruhiger. Und es stellte sich noch ein anderes Gefühl ein. Das, welches sie auch bei Kristin gespürt hatte. Als wenn kleine Ameisen in ihrem Bauch zu tanzen anfingen. „Glaubst Du an einen Gott." Sie sprach ganz leise. „Nein, dazu habe ich keinen Bezug." Fast alle aus der Clique nahmen am Religionsunterricht nicht teil, nur Bärbel und Marcel noch. Aber sie hatten noch nie über die Gründe der einzelnen so gesprochen. Melanie konnte noch nicht einmal sagen, warum sie jetzt daran denken musste. Auch sie hatte mit der Religion ihre Schwierigkeiten, aber so ganz ohne Gott wollte ihr Gedankengut auch nicht sein. „Alles, was um uns ist, ist Natur. Ist zufällig aus bestimmten Gründen so entstanden. Auch wir Menschen. Da passt das Bild eines Erschaffers nicht mehr so ganz hin. Ich glaube, Menschen haben sich aus mystischen Gründen diese Figur geschaffen, um besser mit den nicht erklärbaren Sachen zu recht zu kommen. So wie zum Beispiel mit Blitz und Donner. In grauer Vorzeit war von den physikalischen Prozessen noch nichts bekannt. Da ist es kein Wunder, wenn man spirituelle Gründe für solche Rätsel der Natur erfand. Oder nimm die Mondfinsternis." „Ich denke immer, Gott ist etwas in uns, ein Zustand, der unser Gleichgewicht in Bezug auf den Umgang unter uns regelt. Religionen lehne ich ab, weil es wohl nur starre Riten sind." „Das absolut. Aber ich glaube auch nicht daran, dass etwas Größeres, also ein Gott, unsere Seele bestimmt. Nimm uns beide zum Beispiel. Wir kennen uns schon gute acht Jahre, aber erst jetzt kommen wir uns wirklich nahe. Und zwar ganz behutsam, so wie wir beide es auch genau brauchen. Dazu ist kein Gott notwendig, um diese, nennen wir es mal Bestimmung, zu erfahren. Nur der Zufall will es so. Das wir die gleiche Schule besuchen. So haben wir uns kennen gelernt. Das wir zum Teil gleiche Interessen, gleiche Neigungen haben. Wir beide waren nie für eine frühe Beziehung richtig reif gewesen. Auch so was ist Zufall. Die gemeinsame Zelttour gehört dazu. Zufall. Das Gewitter jetzt. Zufall. Das Du vor Gewittern Angst hast. Zufall."

Vom Mädchen zur FrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt