5. Doch so entfalten die Gedanken, die Erinnerung zerfließt

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Erik führte mich in seine kleine Wohnung und wir gingen direkt in die Küche. Obwohl ich so lange nicht mehr hier gewesen war, hatte sich nichts geändert. Selbst der obligatorische Wäschekorb stand noch am Ende vom Flur und immer noch lag diese eine Jeans darin. Eigentlich war diese Hose uralt, ausgewaschen und kaputt. Trotzdem verbrachte sie immer noch ihre sinnvolle Zeit in diesem Wäschekorb.
Aber Erik behielt viele Dinge viel zu lange. Ich merkte das immer wieder an seiner Küche. Denn er besaß keinen Tisch, nur zwei Umzugskartons mit einer Decke drüber. Er hatte diesen Karton schon seidem Einzug da stehen, weil er damals nicht genug Geld hatte. Doch nunwar das nötige Kleingeld da, um ordentliche Küchenmöbel anzuschaffen. Aber Erik blieb bei diesem "Tisch", ihm war das schlichtweg egal, was da stand. Ich glaube sogar, dass er niemals eine Küche besessen hätte, wenn diese nicht schon mit in der Wohnung eingebaut gewesen wäre.
Kaum waren wir in seiner kleinen Küche, machte er sich schon daran, Kaffee zu kochen.
"Möchtest du auch eine Tasse?",fragte er, als er gerade eine Tasse aus dem Schrank holen wollte.
"Gerne, wenn es keine Umstände macht."
Ich merkte langsam die wenigen Stunden Schlaf. Es war nie klug, nur irgendwie drei Stunden zu schlafen.
"Warum sollte das Umstände machen?",fragte Erik und griff nach einer zweiten Tasse,"du weißt doch: Kaffee am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen."
"In deiner komischen Welt vielleicht",witzelte ich und setzte mich auf einen der alten Plastikstühle, die Erik an Stelle von normalen Sitzmöglichkeiten hatte.
"Hey",protestierte er gleich, doch hörte ich, dass er dabei lächelte,"In meiner komischen Welt würde ich jetzt auch noch schlafen. Mein Gehirn ist nicht ganz auf der Höhe, also lass mir wenigstens meine genialen Ratschläge."
Ja, ich hatte ihn wirklich geweckt, fiel mir in dem Moment auf. Das war so nicht der Plan gewesen, eigentlich hatte ich auch die Idee, zu ihm zu gehen, direkt verworfen. doch irgendwie... keine Ahnung. Erik bedeutete für mich Sicherheit, er war wie der höhste Turm in einer Burg: man konnte sich bei ihm zur Not in Sicherheit wissen. Ich wollte mir garnicht ausmalen, was ich statt bei Erik zu sitzen jetzt tun würde.
"Tut mir leid",sagte ich nach einiger Zeit dann doch,"Es war nicht meine Absicht dich zu wecken. Doch irgendwie... ich wusste nicht wohin."
Er hielt kurz inne.
"Besser du bist hier und weckst mich, anstatt Dummheiten anzustellen",fasste er zusammen und schaute, wie lange der Kaffee noch brauchen würde. Er hatte wohl genau an das Gleiche gedacht wie ich. Manchmal kannte er mich zu gut.

Nachdem der Kaffee endlich fertig war, reichte er mir eine der Tassen und setzte sich neben mich.
"So",sprach er und sah mich an,"nun hast du meinen Schönheitsschlaf schon gestört. Erfahre ich auch warum?"
Ich überlegte kurz, suchte die richtigen Worte. Doch mein Gehirn war nicht so erpicht darauf, nun Rede und Antwort zu stehen. Ich gab es auf, alles in schöne Worte zu packen, seufzte einfach und sagte:"Kevin und ich haben uns gestritten. Und ich bin an allem Schuld."
Man konnte sehen, dass Erik geschockt war. Er sah mich ein bisschen so an, als hätte ich mich just in diesem Moment zu einem Eichhörnchen verwandelt. Er schien zu überlegen, versuchte irgendwie eine Antwort oder auch nur eine angemessene Reaktion zu finden. Bevor er jedoch dazu kam, sprach ich weiter.
"Gestern bin ich auch schon wieder weg und hab ihn allein gelassen. Und heute morgen hab ich ihm nur irgendwelche Standartfloseln auf einen blöden Zettel geschrieben und bin los. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ich weiß nicht, ob ich jemals zurückkehren kann."
Ich merkte, wie traurig ich wurde. Jedoch nicht so, als hätte ich ihn als Waffenbruder in einer Schlacht verloren. Eher so, als hätte ich das Messer geführt, was ihn letztlich tötete.
"Moment, Moment, Moment",sprach er ruhig, aber bestimmt,"Ihr habt euch gestritten? Du und Kevin?"
Ich nickte nur schwach.
"Wie? Ich meine, ihr wart doch so unzertrennlich und habt so schön miteinandern harmoniert. Gut, ihr habt euch schon geärgert und aufgezogen, aber das war immer nur ein Spiel und das wusstet ihr. Also warum dann der Streit?"
Ich sah ihn an, dachte darüber nach, ob ich den ganzen Streit aufrollen sollte, ob das sinnvoll war. Ich wusste nicht, ob das irgendwas ändern würde. Schließlich war alles schon geschehen. Doch reden befreit, oder? Oder war ich wieder so ein komischer Mensch und nichts Normales funktionierte?
"Sag einfach, was du denkst",bat mich Erik und riss mich so aus meinen Gedanken. Er hatte mein Zögern wohl bemerkt. Er legte sanft eine Hand auf meine Schulter.
"Es ist nicht die Zeit, alles schön in Worte zu kleiden."
"Willst du wirklich wissen, wie das lief?",fragte ich. Es war mehr an mich selbst gerichtet und ich wollte mich selbst eigentlich nur absichern. Ich sah, dass er trotzdem nickte.

"Gut... Gestern kam ich nach Hause. Ich war einkaufen gewesen, weil wir kaum noch etwas da hatten. So kam ich in die Wohnung, eigentlich recht fröhlich, weil wir uns zusammen einen schönen Abend machen wollten. Wir wollten einen Filmemarathon machen. Doch als ich in die Küche kam, stand Kevin da.
"Was ist das?",fragte er mich eigentlich zu ruhig und zeigte auf die Flaschen Bier, die säuberlich auf dem Küchentisch standen. Ich wusste, woher die waren: es war meins, falls alles zu viel wurde.
"Das ist Bier",antwortete ich trocken und stellte die Einkaufstaschen auf den Boden. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
"Du hast gesagt, dass du sie entsorgst, wenn das mit Hannah geklärt ist.",sprach er vorwurfsvoll.
"Das mit Hannah ist aber nicht geklärt",hatte ich geantwortet. Ich wollte so schnell wie möglich dieses Gespräch umgehen, denn das mit Hannah sollte ja nicht mehr lange gehen.
"Warum nicht?",sprach er lauter werdend,"du hast gesagt, dass Hannah Geschichte ist."
"Ist sie auch.",hatte ich ruhig gesagt. Für mich war diese ganze Diskussion längst abgeschlossen,"Ich warte nur nich darauf, dass sie ihre Sachen abholt."
"Zwing sie dazu, ich kann es nicht mehr hören!",rief er erbost,"Sie sollte ihre letzten Klamotten schon vor Wochen abholen!"
"Du weißt, dass ich das nicht kann",antwortete ich genervt. Es war nicht das erste Gespräch, dass wir wegen Hannah führten,"Nachdem sie umgezogen ist, hat sie doch den neuen Job. Sie hat einfach wenig Zeit."
"Sie hat wenig Zeit?",wiederholte er eine Spur zu ruhig,"Aber dann hat sie Zeit hierfür?!"
Kevin zeigte ruckartig auf den Tisch. Neben den Flaschen lagen Briefe, zwei an der Zahl. Sie waren beide von Hannah.
"Was soll das sein?",hatte ich gefragt und überflog kurz die Zeilen, die Hannah mir geschrieben hatte. Es war ungewöhnlich, dass sie sich überhaupt meldete, denn sie war ja damals so überstürtzt weg.
"Du hast gesagt, dass du keinen Kontakt mehr hast",sprach er wieder lauter.
"Hab ich auch nicht",gab ich zurück und wurde langsam ungeduldig,"Was kann ich dafür, dass sie mir schreibt? Ich hab ihr niemals einen Brief geschrieben, wer schreibt den überhaupt noch Briefe? Außerdem, warum sollte ich ihr schreiben? Wir sind doch getrennt."
Er hielt kurz inne und sah mich so finster an, dass mir ganz anders wurde.
"Zeig mir dein Handy",forderte er dann.
"Was?",fragte ich.
"Gib mir dein Handy",wiederholte er streng,"ich will sehen, ob du nicht mit ihr geschrieben hast."
"Ich hab ihre Nummer schon nicht mehr",sprach ich bestimmt und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hatte sie überall direkt geblockt und ihre Nummer geschlöst nachdem offiziell Schluss war. Und das wusste er auch. Eigentlich.
"Das kann ja jeder sagen",antwortete er und kopierte meine Geste. Er sagte dass so abwertend, als hätte er das nicht gewusst. Doch ich war mit ihm ja nicht erst seit gestern und das mit Hannah war ja auch schon ewig vorbei.
Darum wurde mir das zu viel in dem Moment. Kevin führte sich auf wie ein Kleinkind. Ich hatte mit Hannah ewig nicht geschrieben. Ich hatte ja ihn, da brauchte ich sie nicht. Doch er machte so ein Hehl aus der ganzen Sache, dass er mich damit wahnsinnig machte.
"Kannst du mir nicht einmal, nur EINMAL, vertrauen?!",warf ich ihm also an den Kopf, wurde so richtig wütend,"Ich schreibe nicht mehr mit ihr, unsere Beziehung ist doch schon tot. Warum sollte ich mit ihr Kontakt haben? Ich habe doch dich, warum sollte ich da mit einem dahergelaufenen Flittchen eine Beziehung eingehen? Ich hab ihr das letzte Mal gesagt, dass sie endlich den letzten Scheiß mitnehmen soll, da ich ihn sonst verbrenne. Sie ist tot für mich und das weiß sie auch. Kannst du das bitte mal verstehen?! Ich will keine Frau, ich will dich! Was soll ich mit einer Frau, wenn ich doch dich habe?! Verstehe das doch endlich mal! Deine Eifersucht bringt mich noch irgendwann um!"
Kevin rechnete wohl mit der Reaktion üerhaupt nicht. Er spannte sich an und man sah ihm an, dass er kurz vorm Explodieren war. Alos folgte genau das, was ich eigentlich verhindern wollte: ein Schlagabtausch an Worten und Anschuldigunge, die ich nicht wiederholen kann und möchte. Wir schmissen uns Dinge an den Kopf, die ich meinem schlimmsten Feind nicht sagen würde. Wir verteilten den Streit über die ganze Wohung. Dinge flogen durch die Luft, Glas zersprang. Über Stunden jagten wir uns fast wie zwei kämpfende Löwen und niemand fand den Schluss. Bis ich dann nicht mehr konnte. In einer kurzen Sekunde, in der er kurz abgelenkt war, bin ich dann abgehauen. Und habe somit den Streit abgebrochen, den ich begonnen habe. Ich hab den Brand entfacht und ihn gezwungen, das wieder zu löschen.  Denn ich habe wesentlich mehr Worte gegen ihn gesprochen als er gegen mich. Ich habe das alles verbockt, ich bin schuld. Ich bin der Rabe, der unserer Beziehung den Tod brachte."

Was ist, wenn wir streiten...?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt