3- "Brunnentauchen ist meine Lieblingsbeschäftigung!"

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„Vogelfänger (s.a. Kopfgeldjäger oder Bürgerwehr): Nicht vom König engagierte Kopfgeldjäger, die Genträger fangen und weiterverkaufen. Über die Jahre hat sich ein profitabler Handel im Untergrund der größeren Städte entwickelt, weswegen sich der Beruf der Vogelfänger zunehmend ausweitet und in einzelnen Fällen Genträger in Beschaffung anderer Genträger involviert[...]"

(Denhal Fiedrech, „Gefahren für besondere Kinder" S. 36)

✥✥✥

          „Kann man dir helfen?"

Der Schreck hätte mich fast den Brunnen hinunterstürzen lassen. Bäuchlings auf dem Rand balancierend, hob ich den Kopf und sah mich um.

Einige Schritte weiter stand ein Mädchen in meinem Alter. Die Arme vor der Brust verschränkt, sah sie drein, als zweifle sie an mir, dem Universum und der Theorie, das die meisten Lebewesen ohne Gehirn nicht lebensfähig waren.

„Danke, hab alles unter Kontrolle", erwiderte ich mit einem angestrengten Lächeln, „Brunnentauchen ist meine Spezialität."
Ich hatte die halbe Nacht vor diesem Brunnen verbracht, mein Magen knurrte und meine Muskeln schmerzten.

„Gut", sie nickte langsam. Ihre Zöpfe waren ähnlich dunkel, wie ihre Haut und durch farbige Tücher verlägert.
„So jemanden hatten wir noch nie hier."

Sar-...Sarkasmus? Ich konnte es nicht sicher sagen.
Mit einem letzten Blick hinunter zu meiner Schwester, die sich mitten ins Wasser gesetzt hatte, richtete ich mich wieder auf.
„Willst du eine Demonstration?"

„Wie gut bist du denn?" Sie bewegte sich keine Handbreit.

Jap. Das war Sarkasmus.
Ich schenkte ihr ein gewinnendes Grinsen.
„Ich bin..."

„Gwinn", beinahe widerwillig setzte sie sich in Bewegung, „ Mein Name ist Amila." Sie erinnerte mich an Sagen unserer Kriegsgöttin. Grimmig. Ruhig.

„Es ist im Moment selten, dass Maze oder Elayn ein Kind vor den Vogelfängern erwischen...", fuhr sie fort, „Hat Maze tatsächlich gegen die Reiter des Königs gekämpft? Gab es keine Chance, dass sie ihn...ähm... verstümmelt hätten?"

Der Hoffnungsschimmer in ihren Augen beunruhigte mich. Instinktiv suchte ich nach irgendjemand anderem auf dem Hof und die Bestätigung, dass das gerade ihr Ernst war.
„Ich will nicht unhöflich sein, aber meine kleine Schwester sitzt da unten und-..."

Sie hob die Brauen, wartete darauf, dass ich mich erklärte und als das ausblieb, stapfte sie an mir vorbei und spähte in den Brunnen.
„Du musst Garcy sein", stellte sie fest und obwohl ich mir sicher war, dass sie es nett meinte, klang es wie die Antwort auf einen Test, „Deine Haare sehen gut aus."

Zu meiner nicht unerheblichen Überraschung raffte sich meine Schwester zu einem schüchternen Winken auf, ehe sie geschmeichelt durch ihre Frisur fuhr. Sie erleuchtete die glitschigen Steine um sie herum, als hätte jemand ein bleiches Irrlicht gefangen. Ich wollte gar nicht wissen, wie sie es dort runter geschafft hatte.

„Warum seht ihr euch nicht ähnlich?", wandte Amila sich an mich und musterte meine Locken eingehender, als erwarte sie, dass sie jeden Moment die Farbe ändern würde.

Sie hatte recht. Ich sah aus, wie eine gewöhnlichere Version von Garcy: schwarze Locken, dunkle Haut, braune Augen. Ihre übernatürliche Schönheit blieb bei mir aus.

Ich beschloss, dass ich die Frage lieber vermied, und kletterte stattdessen neben ihr über den Brunnenrand.
Mit einem Platschen landete ich auf dem Wasser und verhinderte gerade noch so, dass es mir in die Schuhe schwappte. Garcy erhellte es weit genug, dass ich zwei Handbreit unter die Oberfläche sah.

Jagd der Nebelflüsterer- Die VogelfängerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt