8- "Du bist außer Kontrolle!"

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Die Spitzen der Bäume bewegten sich im Wind, als wäre ihr rötliches Blätterdach in Wahrheit die Oberfläche eines Sees, in dessen Tiefen Amila verschwunden war.
Und irgendwer aus dem Haus in meinem Rücken hatte sie verraten. Aber ganz gleich, wie stark ich mir den Kopf zerbrach, ich hatte keine Idee wer. Nur eine sehr genaue Vorstellung wer nicht.

Sir Kenrik hatte Calean aus dem Verlies entlassen, kaum da Maze mit uns gesprochen hatte. Ihm wurde immer noch vorgeworfen, das Geld gestohlen zu haben, aber man einigte sich darauf, dass er es abarbeiten könne. Ein Vogelfänger war er nicht. Der Ausdruck des Jungen hatte sich in meine Erinnerungen gebrannt wie eine frische Wunde.

„Das ist alles deine Schuld!"

Ruckartig fuhr ich zu der Stimme hinter mir herum. Sidra lehnte im offenen Tor und starrte mich an. „Sie haben die Wachen abgezogen, nachdem du Calean beschuldigt hast und jetzt ist Amila fort."

Fröstelnd zog ich meine Weste enger an den Körper heran. Ob es die fallenden Temperaturen waren oder ihre eisigen Worte, blieb mir verschleiert.
„Ich habe Calean nie be-..."

„Sie haben einen Unschuldigen in den Kerker geworfen, nur weil du und deine dumme Freundin als die Helden dastehen wolltet. Die Vogelfänger entlarven- pah! Ich hoffe, ihr seid stolz auf euch", funkte Sidra dazwischen, einen Schritt auf mich zu machend. Ihre Finger zuckten wie die Krallen einer Krähe.

Ich schluckte meinen Widerspruch herunter. Sie hatte Angst. Angst vor den Vogelfängern, die in unserem Heim gewesen waren. An einem Ort, der uns vor gnau sowas schützen sollte.

„Sidra!" Maze wäre beinahe am Tor und an uns vorbeigelaufen, stoppte sich aber im letzten Moment, als er Sidras rote Haare erhaschte. Tiefe Augenringe ließen ihn blasser aussehen als sonst, die Iriden schattig und müde. Bedauernd zog er die Brauen zusammen.
„Sir Kenrik hat einen Suchtrupp zusammengestellt, der sofort ausreiten wird. Elayn und ich werden sie begleiten und sehen, was wir tun können. Sie wollten, dass wir dich mitnehmen, aber ich habe ihnen gesagt, du fühlst dich nicht wohl?"

„Danke", zu meiner Überraschung klang sie aufrichtig, „Ich denke nicht, dass ich dort draußen eine Hilfe wäre." Sie griff seine Hand und lehnte sich in seine Berührung. Die blauen Augen des Suchers fanden mich und er schenkte mir ebenfalls ein ermutigendes Lächeln.

„Gibt es irgendwas, was ich tun kann?", fragte ich, die Hände unschlüssig wringend. Meine Kräfte prickelten darunter, angefeuert durch die Tatenlosigkeit des letzten Abends.

Sir Kenrik hatte niemanden in der Nacht ausziehen lassen wollen. Wenn er ein Leben riskierte, um ein anderes zu retten, hätten sie am Ende nichts gewonnen. Oder so. Stattdessen hatte er der Schule den Sachverhalt erklärt und zeremoniell Amilas Feder verbrannt.

„Findest du nicht, dass du genug Schaden angerichtet hast?", giftete Sidra unter Mazes Arm hervor, den er beschützend um ihre Schultern gelegt hatte, als sie fröstelnd zitterte.

Der verbale Hieb ließ mich ein paar Schritte zurück torkeln. Das hier war nicht meine Schuld. Ich hatte die Feder nicht vor den Vorratsräumen platziert.

Maze sah ähnlich betroffen aus. Etwas umständlich machte er sich von ihr los, doch seine Haltung veränderte sich nicht.
„Tut mir leid, Gwinn, aber du hattest bisher erst eine Trainingslektion. Es wäre zu gefährlich."

Er hatte Recht. Und das traf mich.

„Dann trainier mich weiter, während wir auf der Suche sind!", schlug ich vor, Opfer meiner eigenen Unruhe. Um mich herum raschelten die Blätter, hoben sich von dem schlammigen Boden. Ich konnte nicht rumsitzen, bis jemand mit oder ohne Amila zurückkehrte. Ich war nicht nutzlos.

Jagd der Nebelflüsterer- Die VogelfängerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt