Es war das vierte Mal, dass Addison am letzten Tag vor den Weihnachtsferien die Schule verließ und nur ihre Mutter auf dem Parkplatz an ihrem Auto stehen sah. Sie lächelte ihr vom Weiten zu und Addison tat es ihr gleich, obwohl sie lieber angefangen hätte zu weinen. Es war schwer die Angst zu verstecken, welche sie jeden Tag verspürte und drohte zu erdrücken. Normal weiter zu leben, während sie nicht wusste, ob ihr Vater, der ein Soldat und zurzeit im Krieg war, ihr jemals wieder gegenüber stehen würde. Ob er sie jemals wieder in seine starken Arme nehmen und so lange halten würde, bis sie eingeschlafen war.
»Wie war die Weihnachtsfeier?«, fragte ihre Mutter, als sie am Auto ankam. Sie konnte nun, als sie direkt vor ihr stand, erkennen, dass auch ihr Lächeln einen traurigen Schein hatte.
Addison zuckte kurz mit den Achseln und wandte ihren Blick zur anderen Seite des Parkplatzes, wo ihr Sitznachbar aus der Schule ihr zuwinkte. Ihre Mundwinkel bewegten sich erneut ein Stück nach oben, aber die Kraft den Arm zu heben hatte sie nicht. Ihre Mutter drückte in diesem Moment ihre Schulter und stieg in das Auto, was Addison dann ebenfalls tat.
Sie redeten nicht miteinander. Ihre Mutter war auf die Straße fixiert und Addison starrte schweigend aus dem Fenster, beobachtete wie die Gegend, in der sie aufgewachsen war, vorbeiflog. Wie sehr sie sich in diesem Moment wünschte, dass ihr Vater mit im Auto säße, damit sie einen überall bekannten Weihnachtssong zusammen singen könnten, wie sie es früher immer getan haben. Leider war er gerade auf der anderen Seite des Planeten.
»Kirsten hat gesagt, dass sie, Benjamin und Thomas dieses Jahr wieder zu uns kommen werden«, sagte ihre Mutter und versuchte dadurch die Stimmung ein wenig zu heben, aber Addison nickte nur, blieb weiterhin ruhig und starrte aus dem Fenster. Ihre Mutter seufzte. Jedes Jahr, seitdem ihr Ehemann erneut in den Dienst getreten ist, führten sie dieses Gespräch. »Addison, ich weiß, es ist schwer Dad während den Feiertagen nicht hier zu haben, glaube mir, aber zu schweigen bringt ihn auch nicht nach Hause.«
Addison blieb weiterhin ruhig. Sie hatte seit dem Tag, an dem ihr Vater gegangen war, kein einziges Wort mehr gesprochen. Für sie hatten Worte, die er nicht mitbekam oder von denen sie ihm nicht persönlich erzählen konnte, keinen Wert. Wieso sollte sie die also verschwenden?
Er war ein sehr lebensfroher Mensch, hilfsbereit und nett zu jeder Zeit. Seinem Land zu dienen macht ihn stolz, denn er half somit nicht nur den Krieg von Zuhause fernzuhalten, sondern rettete ebenfalls unschuldigen Zivilisten dort drüben das Leben. Das ist, was er immer machen wollte: Helfen, auch wenn es ihm sein eigenes Leben kosten würde. Und das macht Addison am meisten Angst.
»Dort gibt es Kinder wie dich, meine Süße. Diese haben aber nicht so viel Glück wie deine Klassenkameraden und du. Ihr könnt euch frei bewegen, dürft zur Schule und euch weiterbilden, habt ein schönes Zuhause, lebt ohne Sorgen und Kummer. Deshalb muss ich dorthin, verstehst du? Meine Kollegen und ich sorgen dafür, dass die Kinder und Familien dort drüben ein schöneres, besseres Leben haben«, hatte er ihr damals, am Tag vor seiner Abreise, erklärt, als sie am weinen war, weil er ihr erzählt hat, dass er gehen würde. »Du bist meine Tochter, Addison, ich werde dich niemals im Stich lassen. Auch wenn ich jetzt für eine längere Zeit fort sein werde, ich komme zurück, das verspreche ich dir. Du und deine Mutter, ihr seid mein Ein und Alles, ich habe euch mehr lieb als alles andere auf dieser Welt. Wenn ich wiederkomme, werde ich dich so lange im Arm halten, wie du willst. Und wenn es eine Ewigkeit sein soll.«
Auch dann hatte er sie gehalten, so lange bis sie eingeschlafen war und am nächsten Morgen war er gegangen. Seitdem hatte sie nicht mehr gesprochen.
So wie jedes Jahr, kauften sie und ihre Mutter nach der Schule noch einen Weihnachtsbaum, den sie am nächsten Tag in aller Ruhe, nur mit den leisen Klängen des Radios im Hintergrund, schmückten.
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Ein paar kleine Weihnachtsgeschichten
Short StoryKurzgeschichten zur Weihnachtszeit, die jeden ein wenig aufmuntern und die schönen Seiten der Welt zeigen sollen 🎄