Der Junge, der nicht glaubte

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Am Tag vor Weihnachten stand der achtjährige Waisenjunge Noah wieder einmal an seinem Fenster und starrte hinaus auf die Straße. Dort liefen die ganzen Erwachsenen mal wieder im Weihnachtsstress hin und her wie die Verrückten. Er fand es seltsam, dass sich jeder so einen Kopf um Weihnachten machte. Alle kauften teures Essen, schicke neue Kleidung, die sie nur zu diesem Anlass tragen würden, und einen Tannenbaum, den sie schmückten, damit der nicht existierende Weihnachtsmann den Kindern Geschenke bringen kann.

Für Noah war das Quatsch, denn er glaubte schon lange nicht mehr an den Weihnachtsmann. Jedes Jahr bekam er nämlich Socken zu Weihnachten, obwohl er sich immer nur eins wünschte: Einen Hund. Aber anscheinend war Noah dem Weihnachtsmann nicht brav genug gewesen die letzten Jahre, weshalb er aufhörte an ihn oder den ›Zauber von Weihnachten‹ zu glauben. Das Einzige was er daran mochte, war der Schnee. Er und die anderen Waisenkinder bauten jedes Jahr einen Schneemann im Vorgarten, der die Leute auf dem Bürgersteig anlächelte.

Nosh sah aber auch die Eltern mit ihren Kindern vorbeilaufen und wurde bei dem Gedanken daran, selbst keine zu haben, wie immer traurig. Diese Kinder hatten Glück und konnten zusammen mit ihnen vor dem Kamin sitzen und Weihnachtslieder singen. Sie konnten voller Freude ihre Geschenke auspacken und somit ihren Eltern ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Wie gerne Noah so etwas hätte.

An Heiligabend mussten sich die Kinder aus dem Waisenhaus, wie jedes Jahr, schick anziehen, da sie zur Weihnachtsmesse in der örtlichen Kirche gingen.

»Na los, kommt, wir wollen doch nicht zu spät kommen wie letztes Jahr!«, hetzte sie eine der Leiterinnen, während sie sich in Zweier-Reihen aufstellten und dann los marschierten. Noah lief mit Olivia ganz hinten.

Es war nebelig draußen, Noah konnte gerade noch die zweite Reihe vor sich erkennen, dann wurde alles etwas verschwommener.

»Keiner tanzt aus der Reihe, wir wollen ja niemanden verlieren«, sagte die Leiterin, die sie gehetzt hatte und lief die Reihe entlang nach vorne, während sie alle durchzählte. Leichter Schneefall begann, als sie ein paar Meter weit gelaufen waren. Die Kinder vor Noah verschwanden immer mehr.

Irgendwann hörte Noah einen Hund bellen und blieb auf der Stelle stehen. Der Hund bellte nochmal zu Noahs rechter Seite und er drehte sich um. Dort, inmitten einer Seitenstraße, saß ein kleiner Golden Retriever, der ihn anzuhecheln schien.

»Noah!«, sagte Olivia, die ein Stückchen weiter stehen geblieben war. »Komm schon, sonst verlieren wir die anderen noch!«

Aber Noah hörte sie nicht wirklich, denn in diesem Moment stand der Hund auf und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Vielleicht hatte Olivia ihn gerufen, als er losgerannt war, aber er hörte nichts. Er wusste nur, dass er diesem Hund folgen musste, wieso sonst hatte er da gesessen und Noah angesehen?

Am Ende der Straße sah er nur Nebel und einen hellen Flecken Licht weiter über ihn, der von der Straßenlaterne war. Dann kam wieder ein Bellen, dieses Mal gegenüber von ihm. Er kniff die Augen zusammen und versuchte etwas zu erkennen, aber der Nebel und zunehmende Schneefall erschwerten dies. Er überlegte, ob er einfach rüber oder doch lieber zurückgehen sollte. Er wusste nicht genau wo er war und hingehen würde, wenn er einfach über die Straße laufen würde, aber sehr wahrscheinlich waren die anderen Kinder schon an der Kirche angekommen und er würde den Weg alleine nicht finden.

Der Hund bellte erneut, als würde er auf Noah warten und das brachte ihn nun dazu, die Straße zu überqueren und vor einem Schotterweg stehen zu bleiben. Daneben war ein Schild angebracht, das zeigte, dass Noah vor dem großen städtischen Park stand. Da der Hund nirgendwo zu sehen war, ging er in den Park hinein und versuchte nicht gegen einen Baum zu laufen, da er mittlerweile nur noch seinen eigenen Körper sehen konnte. Er lief zwar gegen keinen Baum, aber dafür gegen die Schaukel auf dem Spielplatz.

Als er sich die Stirn rieb, kam der Hund zum Vorschein und setzte sich vor seine Füße, während er hoch in Noahs Gesicht sah. Noah bückte sich und schaute auf die Hundemarke, die er um den Hals trug.

»Charly? Ist das ein Name?«, sagte er und Charly bellte auf. »Was machst du denn hier? Wo ist dein Besitzer?«

Damit stand er auf, drehte sich um und lief davon. Noah blieb mitten im Nebel und alleine auf dem Spielplatz zurück. Er konnte Charly nicht mehr bellen hören und im Nachhinein fand er sein Handeln ziemlich bescheuert. Wer rannte einfach einem Hund hinterher? Das hatte er nun davon. Wie sollte er den Weg alleine zurückfinden? Alles war dunkel, nebelverhangen und einfach nur gruselig. Am liebsten hätte er angefangen zu weinen.

Dann hörte er eine Stimme. »Charly! Wo bringst du uns denn hin?«

Es schien so, als würde sich der Nebel aus der Richtung auflösen, in die Charly verschwunden war. Dann war er wieder bei Noah, der jedoch die Frau und den Mann ansah, die hinter ihm herkamen. Die Frau erschrak ein wenig, als sie Noah völlig alleine im Nebel stehen sah.

Sie schaute kurz ihren Mann an, bevor sie Noah ansprach. »Hallo, hast du dich verlaufen?«

Noah antwortete nicht, er konnte nicht, sein Kopf wollte sich nicht einmal zu einem Nicken zwingen. Die Frau sah ihn kurz an, dann zu Charly und wieder zu Noah.

»Hat Charly dich hierher gebracht?«, fragte sie dann und bückte sich, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. »Bist du ihm gefolgt?«

Noh zwang sich nun zu nicken. Er konnte schlecht die ganze Zeit nur da stehen und blöd glotzen. Die Frau sah kurz ihren Mann an, der seine Schultern leicht anhob, dann drehte sie sich wieder zu Noah. »Wo sind deine Eltern?«

Das versetzte ihm einen kleinen Stoß ins Herz. »Ich habe keine«, murmelte er dann verlegen und sah zu Boden. Charly saß dort und schien ihn anzulächeln. Dann fing Noahs kleines Gehirn an zu rattern. Hatte dieser kleine Hund sie extra zusammen geführt? Nein, das war unmöglich, so etwas gab es nur in Disney Filmen.

»Wie heißt du denn?«, fragte die Frau liebevoll.

»Noah«, sagte er und sah wieder in ihre Augen.

»Also dann, Noah, ich schätze, dass du Weihnachten hier nicht ganz alleine feiern willst. Möchtest du vielleicht mit Charly und uns feiern?«

Ihre Stimme klang wie Honig für Noah und sie lächelte ihn so zauberhaft an, dass er nicht ablehnen konnte. Er wusste, dass er ihnen vom Waisenhaus und allem hätte erzählen sollen, aber in diesem Moment dachte Noah nur an ein warmes und gemütliches Zuhause mit einem Hund und einem netten Ehepaar an Weihnachten. Also ging er mit ihnen mit und bemerkte nach einer Weile, dass der Nebel fast verschwunden war und es nicht mehr so stark schneite.

Das Weihnachtsfest in diesem Jahr war das beste, welches Noah je erlebt hat. Zusammen mit Charly und dem netten Ehepaar, das später seine Adoptiveltern wurden, saß er am Weihnachtsabend vor dem Kamin und trank warmen Kakao mit Sahne. Im Nachhinein war Noah doch froh gewesen, Charly gefolgt zu sein.

Seit diesem Tag an glaubte Noah wieder an den Zauber von Weihnachten, und ein kleines bisschen sogar an den Weihnachtsmann. Es konnte kein Zufall gewesen sein, dass er durch einen kleinen Hund endlich seinen Herzenswunsch erfüllt bekommen hat, nämlich eine eigene Familie zu haben. Und einen Hund natürlich.

Ein paar kleine WeihnachtsgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt