Kapitel 2

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Da war er wieder.

Strahlend blondes Haar und funkelnd blaue Augen, deren Blick sich direkt in mich bohrte. Der Blick, der mir seit Tagen folgte.

Zuerst dachte ich, mein Verstand würde mir Streiche spielen, als ich ihn am Montag nach unserer ersten Begegnung wiedersah. Lässig lehnte er an der Glaswand der Bushaltestelle vor meiner neuen Schule, dieselbe Jeans und denselben durchdringenden Blick. Noch bevor ich realisieren konnte, dass er tatsächlich dort stand, nur einen Steinwurf entfernt, riss ein vorbeifahrender Lastwagen die Haltestelle aus meinem Blickfeld.

Sekunden später waren beide verschwunden. Den Lastwagen erkannte ich ein Stück die Straße hinunter, doch den Typ mit den blauen Augen hatte der Erdboden verschluckt, genau wie an dem Tag im Café.

Ich sah ihn danach noch einige Male – vor meiner Schule, vor dem Café, an einem Samstag in der Mall und ein einziges Mal sogar in der Nähe unseres Hauses. Keine einzige dieser Begegnungen konnte man wirklich als „Begegnung" bezeichnen. Vielmehr war es ein kurzes Aufblitzen, ein sekundenlanges Erscheinen und das darauffolgende Verschwinden, kaum, dass ich ihn wahrgenommen hatte. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er überhaupt existierte, denn bevor ich jemanden auf ihn ansprechen konnte, hatte er sich wieder in Luft aufgelöst.

Als ich ihn an diesem Nachmittag im Café erneut dort stehen sah, fackelte ich nicht lang. Wenn ich wirklich verrückt wurde, wollte ich jetzt sofort die Bestätigung. Ich ließ alles stehen und liegen und stürmte aus dem Café. Dank der großen Glasfront musste ich ihn dabei nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen lassen.

Jemand schrie meinen Namen, als ich rücksichtslos quer über die Straße rannte. „Evangeline!"

Es war nur ein kurzer Laut, vier Silben, doch aus einem Impuls heraus drehte ich mich um. Carly stand vor dem Café, kreidebleich und fassungslos. „Was um Himmels willen machst du denn da?"

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich ihn aus den Augen gelassen hatte, nur für den Bruchteil einer Sekunde.

Ich wirbelte herum.

Niemand. Er war weg. Die Straße hinauf und abwärts keine Spur von ihm. Ich hatte ihn schon wieder verloren.

„Verdammt."

Wie konnte ein einzelner Mensch sich so schnell bewegen?

Wurde ich denn tatsächlich verrückt? Halluzinationen gingen doch mehr als weit über meine bisherigen Tagträumereien hinaus.

Aber wie konnte dieser Typ sonst einfach so auftauchen und wieder verschwinden, innerhalb von einem Augenblick?

„Evangeline!" Atemlos kam Carly neben mir zum Stehen. „Was in aller Welt ist denn passiert? Du siehst aus, als wärst du einem Geist begegnet."

Stumm schüttelte ich den Kopf. Dann fiel mir ein, dass sie Recht haben könnte. Ich wurde verrückt. Ich begann, Geister zu sehen.

„Du hast mir einen Riesenschreck eingejagt, weißt du das?", plapperte Carly inzwischen weiter, „In einem Augenblick sitzt du seelenruhig am Fenster und dann – bam – springst du auf und rennst mitten über die Straße. Dir hätte sonstwas passieren können!"

Ich sah sie an. Carly, die vollkommen echte, sich um mich sorgende Bedienung. Und ich beschloss, dass es reichte, wenn ich allein von diesen seltsamen Begegnungen wusste.

„Es geht mir gut.", sagte ich, „Ehrlich. Es ist... ich dachte nur, ich hätte jemanden gesehen. Eine Verwechslung." Mit gehobenen Augenbrauen sah sie mich an. Sie glaubte mir nicht. Zeit für den Rückzug.

„Ach, eigentlich ist es ja auch egal." Schulterzuckend drehte ich mich um und wollte gerade die Straße überqueren, als Carly meinen Arm packte.

Die RebellenprinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt