Fesselspiele mit zu erwartenden Einschränkungen

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Die Sonne hatte es heute noch einmal gut mit uns gemeint, auch wenn sie schon längst nicht mehr so durchdringend wie im Sommer schien. Jetzt würde es nicht mehr lang dauern, bis sie hinter dem Horizont verschwand und mit ihr die angenehme Wärme des Tages.
Entspannt saßen wir – wir, dass heißt meine Halbschwester Sam, unser Kumpel Magnus und ich, Alex – also, entspannt saßen wir an unserer lieblings Imbissbude, die nur für uns eine Überstunde machte, und gönnten uns eine Portion Falafel. Während der Bestellung hatte Sam schüchtern mit ihrem Verlobten Amir geflirtet. Oder hatte er mit ihr geflirtet? Wer weiß. Machte für mich keinen Unterschied. Jedenfalls war es bezaubernd beide dabei zu beobachten.
Würde Magnus nicht so mega auf Falafel stehen, ich hätte behauptet, dass Amir der einzige Grund für unsere häufiger Anwesenheit hier war. Zugegeben, das Essen in Fadlans Laden war mega lecker, aber heute hatte ich irgendwie gar keinen Appetit.
Gelangweilt beobachtete ich jetzt wie Magnus sich unbekümmert eine Falafel nach der anderen reinschob, der konnte ganz schön was runterspulen und Sam regte sich über einen ihrer Lehrer auf, während sie mit der Gabel versuchte ihre Mahlzeit aufspießen.
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lötzlich fiel Magnus seine halb zerkaute Mahlzeit aus dem Mund. Wow, ich hatte wirklich schon schöneres gesehen. Im selben Moment hörte ich Sam nach Luft schnappen. Keiner der beiden bot jetzt einen besonders erfreulichen Anblick. Verwirrt musterte ich sie. »Welche Laus ist euch beiden denn über die ...?«
Gerade wollte ich ihren erbleichten Blicken folgen, als jemand meine Schulter drückte. »Hallo alle miteinander.« Diese Stimme. Mein Gesicht spiegelte nun den gleichen unbehaglichen Ausdruck wieder, den ich bei den anderen erkannt hatte. Eisige Kälte wanderte meinen Nacken hinunter. Ich versuchte mich zu besinnen, dass es nur ein Astralkörper, nur ein Abbild einer realen Person, war. Dennoch war seine oder besser gesagt ihre Präsenz unangenehm, wie ein Ameisenhaufen, in den man sich versehentlich gesetzt hatte.
Mit perfektem Mienenspiel, dass ich von ihr geerbt hatte und dem süffisantestem Tonfall der mir möglich war, fragte ich, als würde es mich wirklich interessieren: »Loki, was treibt dich denn an so einem Tag hierher?« Daraufhin sahen wir uns Sekundenlang wie zwei Bitches an, bis mir der Geduldsfaden riss und ich maulte: »Was willst du?«
Als hätte sie meine letzten Worte überhört, glitt sie elegant auf die Bank neben mich und strahlte in die Runde, wie ein Honigkuchenpferd. Dann begann sie zu plappern, als wären wir ein Kaffeekränzchen. Für diesen Moment erinnerte Loki mich an den Gott Heimdal, als er nicht aufhöre wollte uns auf seine extremst nervige Art von seinen extremst nervigen Selfies zu erzählen. Diese Erinnerung verstärke den in mir brodelnden Unmut um ein vielfaches.
Während Loki etwas über alte Schulden zu palavern begann, tauschten wir anderen besorgte Blicke aus. Was bei Hugin und Munin wollte der Gott des Unheils jetzt schon wieder? Ich hatte echt kein‘n Bock – welche Scheiße Loki auch plante – mich da mit reinziehen zu lassen. Und das er etwas plante war sicher.
Ich bin jemand der lieber Taten sprechen lässt. Also beschloss ich Loki zu demonstrieren, wie unerwünscht sie gerade war. Ich würde meine Portion schnappen und sie ihr ins Gesicht schieben. Genau, dass würde ich tun.
Nur blöd, dass ich mich nicht bewegen konnte. Das war echt seltsam.
Probeweise versuchte ich meine Hände zu drehen. Ging. Meine Arme heben, ging nicht. Irgendetwas drückte sie an meinen Körper. »Was zum …?« Meine entgeisterte Stimme schnitt die Luft, während ich die verwirrten Blicke von Magnus und Samirah auffing.
»Entspann dich mein Lieber.« säuselte Loki da liebreizend an meiner Seite. »Es ist alles gut. Du bist nur von einer besonderen Kette gebunden.«
Eine Kette? Ich sah an mir herab und da materialisierte sich tatsächlich etwas metallenes. An meinen Händen und Füßen mit Schellen befestigt, hatte sich eine feingliedrige Kette um meinen Körper gewunden.
»Willst du mich verarschen?« fragte ich mit arroganter Stimme und überlegte schon mit welcher Insektenform ich mich gleich aus diesen Fesseln befreien würde. Also wirklich, was sollte das bitte? Kannte Loki ihre eigenen Kinder so schlecht? Ich spürte die Kräfte meiner Formwandlerfähigkeit in jeder Zelle knistern. Aber ich verwandelte mich nicht! Meine Haut fühlte sich kalt an und mein Puls raste. Sonst jedoch geschah einfach nichts.
Lokis Augen musterten mich neugierig, dann hörte ich ihr leises, helles Lachen, das wie zäher Honig zwischen uns hing. »Ich sagte doch, es ist eine besondere Kette.« Das kalte Metall schien sich enger um mich zu zurren. Es drückte an mehreren Stellen unangenehm in meine Haut, bevor es sich wieder lockerte. Wütend funkelte ich meine Mutter an. Offenbar hatte ich zu schnelle Schlussfolgerung gezogen. Sie wusste genau was sie tat. Ich Dummkopf.
Sam war aufgesprungen und mischte sich jetzt mit gezückter Axt ein. »Was soll das werden?« Erstaunt sah Loki sie an und schüttelte den Kopf, wobei das lange rote Haare in den letzten Sonnenstrahlen feurig leuchtete. »Schau mal einer an, du kannst dich meinem Willen so stark widersetzen?«
Ja, super! dachte ich, schlag ihr den Kopf ein. Wie gern würde ich das jetzt selber tun. Ärgerlich.
»Habt ihr Trainiert? Ich bin tatsächlich beeindruckt, aber … das haben wir gleich.« Sam zog eine saure Miene, denn es fiel ihr plötzlich schwer ihre Axt auch nur annähernd in vorheriger Höhe zu halten. Lokis Lächeln wurde breiter.
»Du musst dir keine Sorgen machen, liebste Samirah. Du weißt, dass mir alle meine Kinder am Herzen liegen und ich mir um ihre Zukunft Gedanken mache.« Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu. »Wenn ihr uns jetzt entschuldigen würdet. Ich habe ein Päckchen Abzuliefern und Zeit kann so ein ungnädiger Dämon sein.« Daraufhin verwandelte sie sich in einen Flugsaurier und hob ab.
»Magnus!« schrie ich. Der einzige, der sich noch frei hätte bewegen können, schien starr vor Schreck. Na super. »Verdammt, tu w~!«  Als die Kette an mir riss, erstickte sie meine Stimme. »Halt!« rief Sam hinter uns her.
Endlich schien Magnus wieder geistesgegenwärtig zu sein und versuchte meine Beine zu ergreifen. Dabei landete er bäuchlings auf dem Tisch. Trottel. Wäre es eine andere Situation gewesen, hätte ich ihn ausgelacht. Jetzt griff er nach seinem Hals, nur um sich zu erinnern, dass Jack wieder mal ein Date hatte.
Endlich erlangte Sam volle Kontrolle über sich zurück. Da hatte Loki schon einige Meter zwischen uns gebracht. Sam warf ihre Axt nach dem Saurier. Die sich drehende, glänzende Klinge hatte uns fast erreicht, da zog mich ein starker Ruck zur Seite. Ich hörte die Waffe nur noch an uns vorüber wirbeln. Natürlich war Loki ausgewichen.
Weil ich jetzt so heftig hin und her baumelte, ging mir für die nächsten Sekunden der Orientierungssinn verloren, so fiel mir erst gar nicht auf, dass die Gebäude Bostons unter mir verschwanden. Stattdessen erblickte ich dort bewaldete Berge, verzweigte Flüsse und vereinzeltes Getier. Verunsichert blickte ich mich um. Hatten wir gerade die Welten gewechselt?

Einmal beides mit allem, bitte.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt