26. Oktober

4 0 0
                                    

„Emma, was ist los?" Nevio hat mich aus dem Haus in den Garten gezogen und sieht mich erwartungsvoll an. „Nichts. Wollen wir nicht wieder reingehen? Schließlich ist es deine Geburtstagsparty und da solltest du doch auf der Party sein. Also komm lass..." Nevio unterbricht mich. „Nein, Emma! Seit Tagen sprichst du nicht mehr normal mit mir und ich will wissen wieso. Liebst du mich nicht mehr und willst es mir nicht sagen, weil heute mein Geburtstag ist? Ist das so ein Frauending?" Ich schüttle heftig den Kopf. „Nein, Nevio, ich liebe dich. Sehr sogar. Aber ich kann dir das jetzt einfach nicht sagen." Ich halte seine Hände, kann ihm aber nicht ins Gesicht sehen. „Gab es etwa einen anderen? Oder gibt es ihn noch? Wenn ja und er ist hier, dann ..." – „Nein, Nevio, es gibt keinen anderen als dich. Es gab und gibt für mich immer nur dich." Er fällt mir sofort wieder ins Wort. „Dann sag mir verdammt noch mal, was los ist! Jetzt sofort!" Er sieht mich böse an, aber als ich ihm dann sage, dass ich schwanger bin, fällt er aus allen Wolken. „Du bist was?!" Ich sehe ihm in die Augen und wiederhole: „Ich bin schwanger." „Also doch so ein Frauending."
Jetzt sehe ich ihn ungläubig an. „Ist das alles, was dir jetzt einfällt? In mir wächst ein Kind, dein Kind, und du hängst mir ein Klischee an? Oh, die Mädchen, die warten, bis der Geburtstag vorbei ist, damit sie Schluss machen können und bla bla bla. Eine Schwangerschaft ist nicht etwas, was ich dir in einer 10-Minuten Pause erzähle. Es gibt keinen geeigneten Zeitpunkt, dir so etwas zu sagen. Ich hätte es dir gerne in einem Moment erzählen wollen, in dem wir alleine gewesen wären und nicht an einer Geburtstagsparty mit lauter feiernden und angetrunkenen Menschen.
Er atmet einmal tief durch und schließt dann kurz die Augen. „Und was erwartest du jetzt von mir? Soll ich in die Luft springen oder dir einen Heiratsantrag machen?! Das kann ich nicht und will ich nicht! Ich bin verdammt nochmal erst neunzehn und hab mein ganzes Leben noch vor mir!"
„Ich erwarte gar nichts von dir! Geh zurück auf deine Party und vergiss mich. Hau ab! Lass mich in Ruhe!" Mittlerweile schreien wir uns an.
Ich drehe mich um und beginne zu rennen. Er macht keine Anstalten, mir zu folgen oder nach mir zu rufen.
Meine Tränen kann ich nicht mehr unterdrücken. An der nächsten Ecke biege ich ab und sinke an einer Hauswand zu Boden. Ich zittere vom Weinen und der Kälte und zu alldem habe ich meine Jacke noch auf der Party liegen lassen. Mist!
Was soll ich jetzt nur tun? Ich habe gerade Nevio verloren! So wie ich, wird auch mein Kind keinen Vater haben, der es liebt.
Ich vergrabe mein Gesicht zwischen meinen Knien.
Nein, ich darf nicht enden wie meine Mutter. Ich muss stark sein für mein Kind.
Ich wische mir die Tränen ab, rapple mich auf und renne nach Hause. Sienna und Mark schlafen schon. Ich werfe mich aufs Bett und versuche, unter Tränen Schlaf zu finden.

*

Ich sitze in einem weissen Sommerkleid und silbernen Sandalen auf einer wunderschönen Sommerwiese. Um mich herum blühen Gänseblümchen, Löwenzahn und ganz viele bunte Blumen. Etwas weiter weg spielt ein kleines Mädchen mit einer Puppe. Jemand tippt mir auf die Schulter und ich drehe meinen Kopf. Da steht Nevio mit einem Strauß frischgepflückter Mohnblumen. Mit seinem schönsten Lächeln reicht er mir den Strauß und küsst mich auf die Stirn. Danach dreht er sich um und geht in Richtung des kleinen Mädchens, kniet sich hin, um auf ihrer Augenhöhe zu sein und redet mit ihr.
Plötzlich ziehen Wolken auf, es wird dunkel und ein starker Wind kommt auf. Ich sehe mich nach Nevio und dem kleinen Mädchen um. Er hält sie auf dem Arm und sieht mich kalt an. Dann dreht er mir den Rücken zu und geht davon. Ich will ihm folgen und renne ihm nach, doch durch den starken Wind und das hohe, plötzlich halb verwelkte Gras, falle ich hin und schaffe es nicht mehr aufzustehen. Ich schreie, so laut ich kann, doch Nevio kommt nicht zurück und das Unwetter tobt immer schlimmer.
Alles, was mir bleibt, ist zu schreien und zu weinen, und das tue ich auch. Dann fällt mein Blick auf den Strauss Mohnblumen. Sie sind völlig zertreten.

*

Weinend und schweißgebadet wache ich auf. Aufrecht und schwer atmend sitze ich in meinem Bett. Ein Traum. Es war nur ein Traum.
Ich schnappe mir meinen Wecker und schaue auf die Zeitanzeige. 10:04. Mark und Sienna werden schon mit Brötchen vom Squash zurück sein. Ich wische mir die Tränen von den Wangen, schlüpfe schnell ins Badezimmer und dusche im Schnelldurchlauf. Danach rubble ich mir die Nässe von der Haut und binde meine nassen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen. In Jeans und T-Shirt gehe ich nach unten ins Esszimmer. Ich drücke Sienna und Mark und frage sie, wie das Squashspielen war. Mark hat Sienna abgezogen, mal wieder.
„Wie war die Party gestern?", fragt Mark und ich halte im Trinken inne. Der Orangensaft schmeckt plötzlich nicht mehr. „Nicht so gut, gab schon bessere Partys..." Mark und Sienna sehen einander an. Sie haben wohl verstanden, dass ich nicht darüber sprechen will.
Wenig später, es wird wohl so 13 Uhr sein, klopft jemand an meine Zimmertür. Es ist ein zögerliches Klopfen.
Ich drehe mich mit meinem Schreibtischstuhl und vor mir steht Nevio. Ich sehe ihn geschockt an. Was zum Teufel will er hier?!
„Geh weg!", sage ich und drehe mich wieder weg. Ich weiss nicht, was ich gerade fühle, aber irgendwas in mir schreit, dass er bleiben und nicht gehen soll.
„Emma, ich will mich bei dir entschuldigen! Lass uns in den Wald gehen und dort über alles reden." Ich ringe kurz mit mir, gebe schliesslich der schreienden Stimme in mir nach und nicke zur Antwort.

Auf dem Weg zur Clemensbank schweigen wir uns an. Der Wald ist ungewöhnlich ruhig. Die Vögel zwitschern nicht und auch die anderen Tiere geben keine Geräusche von sich. Zu hören sind nur unser Atem und das Knacken der kleinen Äste, welche unter unseren Sohlen brechen. Wir setzen uns auf die Bank. Nicht wie sonst immer, meine Beine über seinen und meine Hand mit seiner verschlungen, sondern mit einem Abstand zwischen uns. Nach einer Weile des geradeaus ins Nichts Schauens bricht Nevio das Schweigen.
„Emma, es tut mir so unglaublich leid, was ich gesagt habe. Ich war überrumpelt, hatte schon zu viel intus und habe nicht nachgedacht. Ich werde dich nicht alleine lassen. Ich werde für dich und unser Baby da sein. Ich möchte mit dir zusammen sein!" Er nimmt meine Hand und sieht mir in die Augen. Er sieht müde aus, so als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich lehne mich an ihn und er schlingt seine Arme um mich. Ich geniesse dieses Gefühl der Geborgenheit.
„Verzeihst du mir?", fragt er vorsichtig. Zur Antwort nicke ich nur.
„Was haben Sienna und Mark gesagt? Ich nehme mal an, du hast es ihnen sofort erzählt." Ich kuschle mich etwas enger an ihn: „Sienna hat es sehr gut aufgenommen und mich direkt zum Frauenarzt geschleppt. Da musst du übrigens auch noch hin für einen Bluttest. Die müssen dein Blut noch auf AIDS und Hepatitis und andere Krankheiten testen", antworte ich ihm. Er nickt und küsst mich sanft auf die Stirn.

Ich erzähle ihm auf der Bank noch alles Nötige, was ich von der Gynäkologin weiss. Später bringt er mich nach Hause und als ich am Abend im Bett liege, bin ich froh, ihn wieder zu haben. Ich ringe zwar noch einige Zeit mit mir, weil man unter Alkoholeinfluss angeblich nur die Wahrheit sagt, komme schliesslich aber doch zum Schluss, ihm zu vertrauen.
Ich hoffe, das ist die richtige Entscheidung.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 24, 2018 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Dark PastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt