16.1 Kapitel - Nicht so, wie es sein sollte

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Es stank nach Strom.

Der Untere Lyndrylbezirk war einer der unschöneren Flecken in Enrhym. Noch unschöner als die Gegend, in der er lebte. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne bluteten durch die Silhouetten der Schornsteine der umliegenden Häuser. Es war jetzt mehrere Tage her, seitdem Emira...gegangen war. Wie lange genau, wusste er nicht. Alles um ihn herum war in eine zermürbende Masse zusammengelaufen. Er hatte kaum geschlafen. Unruhig sah Kaden sich nach den Leuten um, die in den Schatten um das Lagerhaus herumlungerten. Sie betrachteten ihn eher belustigt als misstrauisch, spielten mit ihren Muskeln. Genau der Schlag Menschen mit denen Ariana sich abgeben würde.

Als das warme Blut seine Finger benetzte, bemerkte er erst, dass er an seinen Ellenbogen herumgespielt hatte. Mit einem wütenden Schnaufen ließ er sich selbst los. Er hatte gedacht, dass seine Haut sich beruhigen würde, nachdem diese verdammte Parade und die Zeremonie vorbei wären. Aber das...konnte er nun vollkommen vergessen. Er verbat sich alle weiteren Gedanken und trottete einfach weiter auf den komischen Gestank zu.

Strom hatte gar keinen Geruch, das wusste er. Es war eher...elektrisierte Luft. Aufgeladen und wild. Die Andeutung von Gefahr.

Arianas kurze Haare standen wild in alle Richtungen ab. Kleine Blitze knisterten in ihren Locken. Ihr Stand war fest und der laute Knall ließ ihn zusammenzucken. Der brennende, hasserfüllte Ausdruck in ihren Augen, die Waffe in ihren Händen und die Zielscheibe, die sie treffsicher mit Kugeln durchsiebte, ließen ihn beinahe umkehren. Kaden schluckte angespannt und schlich näher.

Er räusperte sich. Das letzte was er gebrauchen konnte, war der Knauf der Pistole in seinem Gesicht. Genervt sah sie zu ihm und lockerte ihre Haltung.

„Was machst du denn hier?", begrüßte sie ihn kalt. Es war regelrecht ungerecht wie angsteinflößend sie selbst mit diesem riesigen, weißen Pflaster im Gesicht aussah.

„D-dein Vater...er hat gesagt du bist hier. Wahrscheinlich", stotterte er sich seine Antwort zusammen. Ariana zog misstrauisch ihre Augenbrauen zusammen und er fühlte sich entlarvt.

Er hatte sich mindestens eine halbe Stunde vor ihrem Haus herumgedrückt, hatte mit sich gehadert und gezögert bis Jannis die Tür aufgerissen und gefragt hatte, was er denn nun wollte. Peinlich berührt, war er in der Bewegung erstarrt und hatte dann nach Ariana gefragt.

„Ach so." Sie drehte sich von ihm weg, wahrscheinlich war er doch nicht interessant genug, und trottete dann zu ihrer Zielscheibe.

Sofort folgte er ihr. „D-deine Eltern machen sich Sorgen! Du sollst nach Hause kommen. So schnell wie möglich."

Sein nicht-mehr-Schwiegervater-in-spe hatte abgespannt und erschöpft ausgesehen, die Ringe unter seinen Augen so ungesund dunkel wie die Blutergüsse in Arianas Gesicht. Beatrice hatte Kaden gar nicht zu Gesicht bekommen, genau wie der Rest von Enrhym. Sie war seitdem ihre Tochter weg...gegangen war nicht mehr auf der Straße gewesen und das Schild, das ihre Tierarztpraxis ‚Wegen familiärer Umstände Geschlossen' erklärte, verhieß auch nichts Gutes.

„Mhh." Ariana war vor ihrer Zielscheibe zum Stehen gekommen, die Arme nachdenklich verschränkt. Er fragte sich ob dieses Geräusch nun ihm galt oder ihren Schießkünsten. Ein Blick auf das Plakat ließ ihn sich vornehmen sie nie ein Bild von ihm in die Hände bekommen zu lassen. Kaden hatte sein Gesicht schon fast wieder vergessen, so ordinär war es gewesen, aber nun blickte ihm Meo Carrasco stumpf entgegen, ein Einschussloch direkt zwischen seinen Augen. Kaden schluckte. „Es ist gut, dass du da bist", sagte Ariana nachdem sie ihre Arbeit inspiziert hatte.

Überrascht versuchte er in ihrem Gesicht ein Anzeichen von Spott zu finden. Ehrlich gesagt hatte er nicht gedacht, dass sie mit so neutraler Stimme mit ihm reden würde. Jemals.

Die Königin der BestienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt