Nach dem Essen bespricht Noah mit Antonie noch alles Wichtige. Er wird Nelly bis zum nächsten Morgen bei sich behalten und sie dann in den Kindergarten bringen. Dort wird Antonie ihre Tochter wieder abholen. Nelly ist ganz aufgeregt vor Freude, hüpft und jauchzt und singt. Sie verabschiedet sich mit einer Leichtigkeit von ihren Eltern, die Noah immer wieder staunen lässt. Er kann sich gut daran erinnern, dass ihm selbst das immer sehr schwer fiel, sogar als er schon in der Grundschule war. Während Nelly um ihn herumtanzt, belädt Noah sein Auto mit Nellys Gepäck und ihrem Kindersitz, dann machen sie sich auf den Weg zurück in die Stadt.
Nelly wünscht sich, mit Noah in den Indoorspielplatz zu gehen, und obwohl es dort für seinen Geschmack sonntags immer zu voll ist, gibt er nach. Das kleine Mädchen hat sich die Begeisterung fürs Klettern wohl bei ihm abgeschaut, und sie liebt es, dass Noah immer mit ihr zusammen spielt und tobt.
Während Nelly hochkonzentriert die Kletterwand erklimmt, lässt Noah den Blick über die anderen Besucher gleiten. Nelly ächzt vor Anstrengung, und ein Grinsen schleicht sich auf Noahs Gesicht. Die Klettergriffe sind für sie fast noch zu weit auseinander, doch die Kletterwand für die Kleinsten ist für Nelly längst keine Herausforderung mehr. Noah richtet seinen Blick wieder auf Nelly, muss unwillkürlich lachen, als sie sich vergebens nach einem Griff reckt und tatsächlich lautstark zu schimpfen beginnt.
Direkt vor ihm versucht sich nun auch ein anderes Mädchen an der Kletterwand. Noah schätzt sie ungefähr ein Jahr älter als Nelly und betrachtet neugierig ihre Versuche, sich an den Griffen nach oben zu arbeiten. Noah sucht die Umgebung nach der dazugehörigen Mutter ab, die normalerweise an ihren Sprösslingen kleben, als wären sie noch immer mit einer verlängerten Nabelschnur mit diesen verbunden. Sein Blick fällt auf eine junge Frau, die auf die Kletterwand zukommt, und er hat das Gefühl, als würde sein Herzschlag stolpern und dann zu einem Sprint ansetzen. Er beißt sich auf die Unterlippe, als er ins Gesicht des Schaukelmädchens sieht. Obwohl er innerlich lächelt, bleibt sein Gesicht sonst starr, und er wendet sich wieder Nelly zu, die mittlerweile fast oben angekommen ist.
Schweigend bleibt das Schaukelmädchen neben Noah stehen und verschränkt seine Arme vor der Brust. Es beobachtet starr das Mädchen, das es beaufsichtigt und zeigt keinerlei Reaktion, ob es Noah wiedererkennt oder nicht.
„Noah, ich will jetzt da", verkündet Nelly und zeigt mit einer Hand auf die Kletterwand für die Großen und Erwachsenen. Für einen kleinen Augenblick schwankt sie bedrohlich, doch sie findet das Gleichgewicht schneller wieder, als Noah Halt-dich-fest sagen kann. Sie klammert sich am obersten Griff der Wand fest und grinst ihn triumphierend an.
„Dazu bist du zu kurz", erwidert Noah, und Nelly sieht ihn herausfordernd an.
„Dann musst du klettern!" Sie macht sich an den Abstieg. Noah sieht kurz zum Schaukelmädchen, das noch immer bewegungslos und schweigend neben ihm steht und betrachtet dann das kleine Mädchen, das neugierig Nelly zusieht, die sich nur noch mit den Händen festhält, die Beine nach hinten abgeknickt hat und mit den Füßen wackelt.
„Guck mal was ich ka-hann!", ruft sie begeistert, und ihre Stimme gluckst vor Freude.
Noah muss unwillkürlich lachen, und er schiebt seine Beanie zurück.
„Du bist ein Wackelkasper!" Er macht einen Schritt auf die Wand zu, um im Notfall schnell nach Nelly greifen zu können, falls sie abrutscht und instinktiv greift er nach dem anderen Mädchen, als dieses mit einem erschrockenen Schrei den Halt verliert.
„Was hast du denn vor?", fragt er die Kleine verblüfft und sie starrt ihn einfach nur an.
Vorsichtig stellt er sie auf den Boden. „Alles in Ordnung? Hast du dir wehgetan?"
Doch da kniet schon das Schaukelmädchen neben der Kleinen. Es lächelt Noah zu und bedankt sich schnell. Das Schaukelmädchen nimmt die Kleine auf den Arm und tröstet sie, offensichtlich hat sie sich an einem der Griffe wehgetan.
„Ich wollte auch so wie die...", schluchzt das kleine Mädchen.
Nelly springt den letzten Meter schwungvoll herunter und betrachtet das Schaukelmädchen und das weinende Mädchen mit schief gelegtem Kopf. Ihre Hände hat sie in die Hosentaschen ihrer Jeans gesteckt.
„Du hast aber schöne Haare", erklärt Nelly einige Augenblicke später mit großen bewundernden Augen. Noah nickt innerlich, denn ein ähnlicher Gedanke ging ihm auch durch den Kopf. Das Schaukelmädchen trägt seine Haare an diesem Tag offen, nur eine Strähne ist geflochten, die ihm vermutlich sonst ins Gesicht fallen würde. Die Farbe ist ein natürliches rotbraun, heller als dieses typische Kastanienrot, manche Strähnen scheinen noch vom Sommer gebleicht und sie fallen ihm in leichten Locken über den Rücken.
„Dankeschön." Das Schaukelmädchen lächelt zu Nelly hinunter. „Deine Haare sind auch wunderhübsch."
„Und meine?", schluchzt das Mädchen auf ihrem Arm, und das Schaukelmädchen erklärt ihr, dass natürlich auch ihre Haare sehr, sehr schön seien, und dass sie jetzt nach diesem Schrecken besser etwas trinken gehen sollten.
Noah sieht den beiden nach bis Nelly an seinem Arm zieht und ihn daran erinnert, dass er doch bitte, bitte die Kletterwand für Erwachsene erklimmen soll. In diesem Fall macht Noah gerne, was Nelly sich von ihm wünscht, und nachdem er wieder unten angekommen ist, klettern und balancieren und rutschen die beiden zusammen durch die große Spielplatzanlage.
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Das Schaukelmädchen
Teen FictionWenn das Schicksal einen immer wieder zusammenführt, sollte man sich nicht dagegen wehren...