1. Kapitel

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„Alles kommt anders als man denkt." Das hat mein Vater immer gesagt als ich noch klein war. Damals konnte ich noch nicht ahnen wie Recht er damit hatte. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass mein Leben einmal so sein könnte, wie es jetzt ist. Oder damit, dass ich in einem hübschen blauen Haus an der Costa del Sol das finden würde, wonach ich nie gesucht hab: Die Liebe. Aber bis dahin war es ein weiter Weg. Am besten fange ich ganz von vorne an:

Sonntag, 28. April 2017:

Als der Wecker zu klingeln anfängt, bin ich längst hellwach. Ich weiß nicht mal ob ich überhaupt richtig geschlafen hab. Jedenfalls ich mir die Nacht ziemlich lang vorgekommen. Ich bringe den nervigen Wecker zum Schweigen und schlupfe in meine nagelneue hellblaue Jeans und ein eng anliegendes aber bequemes weißes T-Shirt.

Draußen ist es noch dunkel. Nur das Licht einer Straßenlaterne scheint durch den Spalt in der Jalousie, aber das reicht mir um meinen Koffer zu finden. Alles ist gepackt. Das hab ich gestern Abend mindestens fünfmal kontrolliert.

Der Flur liegt noch im Dunkeln. Unter der geschlossenen Küchentür scheint Licht durch. Mama ist also schon aufgestanden. Für sie wird der Abschied schwerer als für mich. Gestern wollte sie mir beim Packen helfen und brach nach fünf Minuten in Tränen aus. „Ich kann das einfach nicht", schluchzte sie und rannte aus dem Zimmer. Seitdem hab ich sie nicht mehr gesehen.

Als wäre heute ein ganz normaler Morgen stolziere ich in die Küche und bereite mir mein Schokomüsli zu. Mama sitzt mit einer Tasse Kaffee an unserem kleinen Esstisch in der Ecke des Zimmers und sieht mir verstohlen dabei zu. Mit hochgezogenen Schultern kauert sie auf dem Stuhl und umklammert ihre Tasse mit beiden Händen. Als ich mich auf den Stuhl gegenüber setze, senkt sie den Blick, stellt die Tasse ab und puhlt mit den Fingernägeln angetrocknete Krümel von der bunten Plastiktischdecke. Ich weiß ganz genau was hier gespielt wird. Sie will mein Mitleid erregen. Das hat sie in den letzten Tagen schon mehrmals versucht. Aber mein Entschluss steht schon seit Wochen fest. Der Flur und der Sprachkurs sind fest gebucht und meine Gastmutter freut sich schon auf mich. Ich glaube, dass das Mama am meisten zu schaffen macht. Dass ich die nächsten drei Monate bei wildfremden Menschen wohnen werde, über die ich kaum etwas weiß. Aber es war meine Entscheidung. Ich will endlich raus in die Welt. Ich will nicht nur irgendwo in Spanien einen Sprachkurs machen. Nein, ich wünsche mir nichts mehr als das Land und seine Leute richtig kennen zu lernen. Und das kann ich nicht, wenn ich mir ein Einzelzimmer im Wohnheim der Schule nehme, so wie Mama es wollte. All die Jahre ging es immer nur um sie. Jetzt bin ich mal dran. Endlich werde ich mir einen lang ersehnten Traum erfüllen.

„Du schaffst das schon ohne mich. Vielleicht tut es dir ganz gut Zeit für dich zu haben", versuche ich sie aufzumuntern, „So wie ich. Es ist wichtig an sich selbst zu denken und das zu machen was man möchte."

Mama hebt nicht mal den Kopf als sie mir antwortet. „Du wirst dort viele nette Leute kennen lernen. Ich bin hier ganz allein. Wie soll ich das bloß schaffen?"

„Ich hab mit ein paar Nachbarn gesprochen. Ab und zu schaut mal jemand vorbei. Schau einfach, dass du immer Kuchen oder Kekse dahast." Ich lächle und endlich schaut sie mich an. Die dunklen Ringe unter ihren Augen verraten mir, dass sie letzte Nacht auch kaum geschlafen hat. Mama macht sich viel mehr Sorgen als gut für sie ist. Aber ich bin überzeugt, dass es dir gut tun wird sich endlich wieder um den Haushalt zu kümmern. Es gab Zeiten, da lag sie nur den ganzen Tag im Bett und hat sich ihren düsteren Gedanken hingegeben. Dafür hat sie ab sofort keine Zeit mehr. Außerdem hat sich ihr Zustand in den vergangenen Monaten sehr gebessert. Sonst hätte ich wohl kaum die Entscheidung getroffen meine Sachen zu packen und für drei Monate nach Spanien zu fliegen.

Bis wir uns liebenWhere stories live. Discover now