Bis wir uns lieben

4. Kapitel

Der Eignungstest ist das Thema überhaupt heute. Eine leichte Spannung liegt in der Luft. Niemand weiß so genau um was es in dem Test gehen wird, nur dass es einen schriftlichen und einen mündlichen Teil gibt. Die Zeit vor dem Unterricht nutzen wir um in Zweier- oder Dreiergruppen nochmal zu üben. Zufrieden stelle ich fest, dass Josh mit einem anderen Kerl zusammensitzt. Anne und Tilda sitzen auf dem Fensterbrett. Ich schnappe mir einen Stuhl und setze mich zu ihnen.

„Guten Morgen. Seid ihr bereit für den großen Test?"

Sie unterbrechen ihr Gespräch, schauen einander an, dann mich. „So schwer kann es nicht sein", meint Anne, „Außerdem kann man nicht durchfallen."

Tilda sieht mich mit schuldbewusster Miene an. „Tut mir leid wegen gestern. Ich hätte dich nicht so stehen lassen dürfen. Aber vielleicht können wir an einem anderen Tag was zusammen machen."

„Klar. Sag mir einfach Bescheid, wenn du Zeit hast." Aber lass Josh aus dem Spiel. Auf den kann ich gerne verzichten. Ich kenne ihn erst einen Tag, und vielleicht ist es auch unfair, aber ich hab einfach eine riesen Abneigung gegen ihn. Was anscheinend auf Gegenseitigkeit beruht.

Der schriftliche Test findet hier im Klassenzimmer statt. Währenddessen wird immer einer von uns ins Nebenzimmer geholt. Als Javier mich aufruft, schlägt mein Herz vor Aufregung Purzelbäume. Doch anders als erwartet läuft alles ganz locker ab. Javier erklärt mir nochmal, dass es tatsächlich nur darum geht uns einzuordnen, um jeden einzelnen ganz individuell unterstützen zu können.

„Stell dir vor, du triffst einen alten Bekannten auf der Straße. Was würdest du ihm erzählen?"

Am Anfang zögere ich ein bisschen, doch dann rede ich über Carmen, die definitiv kein Hausdrache ist, erzähle von Alicias Kochkünsten und dem hübschen blauen Haus. Javier macht sich Notizen und stellt nur wenige Fragen. Und dann hab ich's auch schon geschafft. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es ganz gut gelaufen ist.

„Bin ich froh, dass wir das hinter uns haben", verkündet Anna als es zur Pause klingelt. Gemeinsam mit Tilda verlassen wir das Klassenzimmer. Sie wirkt nervös und sieht sich immer wieder um. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen es liegt an dem Test, aber der ist ja vorbei.

Vor den Toiletten fängt Josh uns ab. Er lächelt Anna und Tilda zu. Als er mich sieht, verzieht er das Gesicht. Ich werfe ihm böse Blicke zu, die offenbar komplett übersieht. Mit einem überheblichen Grinsen wendet er sich an mich. „Tut mir leid, aber ich muss Anna und Tilda kurz entführen. Ich hoffe das macht dir nichts aus."

Genau wie gestern wandert Tilda Blick unentschlossen zwischen mir und Josh hin und her.

„Also eigentlich wollten wir...", protestiere ich, doch Josh lässt mich nicht mal ausreden. „Es ist wichtig. Und du spielst dabei keine Rolle. Komm Tilda." Besitzergreifend legt er ihr einen Arm um die Schulter. Sie wirft mir einen entschuldigenden Blick zu und lässt sich dann widerstandslos von ihm führen. „Bis später", ruft Anna und dackelt ihnen hinterher. Es wäre aussichtslos ihnen nachzugehen. Schwungvoll reiße ich die Tür zum Waschraum auf, lasse sie mit aller Kraft zufallen und strecke der geschlossenen Tür den Mittelfinger entgegen. Schade, dass Josh es nicht sieht.

Langsam verraucht meine Wut. Seufzend stütze ich mich aufs Waschbecken. Mich hat noch nie jemand so eiskalt abblitzen lassen. Was will Josh mit seinem Verhalten bewirken? Will er Tilda für sich haben? Aber warum toleriert er Anna und mich nicht? Es ist einfach zum verrückt werden. Da bin ich gerade mal zwei Tage auf der Schule und schon hab ich einen Feind.

Die restliche Pause drücke ich mich auf dem Gang herum. Draußen würde ich womöglich den anderen begegnen. Aber die sehe ich früh genug wieder. Ich schlendere durch den leeren Flur und gebe vor mir die Fotos von Lehrern und ehemaligen Kursen anzusehen. Als ich plötzlich Schritte hinter mir höre, fahre ich erschrocken zusammen. Erleichtert stelle ich fest, dass es nur irgendein Typ ist, der sich auch hier herumtreibt.