3. Kapitel

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Der nächste Tag beginnt früh. Da wir gestern Abend noch lange zusammensaßen und geredet haben, bin ich alles andere als ausgeschlafen. Am liebsten würde ich noch eine halbe Stunde liegen bleiben. Aber Carmen will um halb acht los. An meinem ersten Tag will sie mich zur Schule bringen und erst anschließend in die Arbeit fahren. Als ich mich noch im Halbschlaf auf den Weg ins Bad mache, verschwindet jemand im Nebenzimmer. Wahrscheinlich Benito.

Ich binde mir die langen Haare zu einem dicken Pferdeschwanz zusammen und schlupfe in meine hellblaue Lieblingsjeans. Die dünne weiße Bluse, die ich mir extra für die Schule gekauft hab, passt perfekt dazu. Schließlich entscheide ich mich noch für ein schlichtes natürliches Make-up. Zu dick will ich nicht auftragen.

Carmen steht bereits perfekt frisiert und gekleidet in der Küche und kocht Kaffee. Für mehr reicht die Zeit auch nicht. Aber durch Carmens extra starken Kaffee fühle ich mich gleich besser.

„Bereit für die Schule?", fragt Carmen mit einem aufmunternden Lächeln.

„Mehr als bereit", sage ich obwohl mir das Herz bis zum Hals schlägt. So vieles kommt heute auf mich zu. So viel Neues. Es ist gleichzeitig aufregend und beängstigend. Bevor wir losfahren studiere ich nochmal den Lageplan der Schule, den ich mir zu Hause ausgedruckt hab. Ok. Jetzt sollte ich mich einigermaßen zurechtfinden. Für alle Fälle stecke ich ihn mir in die Schultasche. Es kann losgehen.

Die Schule befindet sich am Stadtrand in einem Wohngebiet. Es ist ein weißes fünfstöckiges Gebäude mit Balkonen in den oberen drei Stockwerken. Das muss das Wohnheim sein. Auf den bunten mit Mosaikmuster verzierten Stufen, die zum Tor führen, stehen junge Leute in Gruppen zusammen. Einige Sitzen auf der Treppe oder der niedrigen Mauer, angelehnt an den schmiedeeisernen Zaun, der das Gelände umgibt. Zwei Orangenbäume in großen Tontöpfen stehen links und rechts neben dem Tor dessen Flügel weit geöffnet sind.

„Du wirst einen tollen Tag haben", versichert Carmen mir, „Viel Glück."

Ich steige aus und unterdrücke den Impuls ihr noch einmal zu winken. Das wäre oberpeinlich. Wer weiß ob unter den Leuten die hier stehen, jemand von meinen Mitschülern ist. Als wüsste ich genau wohin ich muss, schiebe ich mich zwischen den Gruppen durch auf das Tor zu und betrete das Gelände. Mehrsprachiges Stimmengewirr und ein süßer Duft empfängt mich. Er kommt von den Orangenbäumen, die hier neben Oleandersträuchern in regelmäßigem Abstand an der Mauer entlang aufgestellt sind. Der Boden ist mit unförmigen Steinplatten in weiß- und Grautönen ausgelegt. Zum Glück ist der Innenhof nicht überfüllt und damit relativ übersichtlich. Alle hier scheinen gut gelaunt zu sein und sich super zu verstehen. Niemand steht allein in irgendeiner Ecke. Das ist ein gutes Zeichen.

Neben dem großen Hauptgebäude gibt es noch ein Restaurant mit gelber Fassade. Zu Kugeln geschnittene Bäumchen in Tontöpfen umgeben eine kleine Terrasse. Eine Steintreppe führt hinauf auf eine Dachterrasse, auf der es wohl einen Pool geben soll.

Es ist zehn vor acht. Ich begebe mich zusammen mit der großen Masse zum Haupteingang. So als würde ich dazugehören.

Die freundliche Mitarbeiterin an der Anmeldung nimmt meine Anmeldebestätigung entgegen, sucht etwas in ihrem PC und gibt mir nochmal einen Plan der Schule.

„Dein Kurs beginnt im Raum 12", sagt sie und malt einen roten Kringel um die Zimmernummer auf dem Plan. „Wenn du etwas brauchst, es ist immer jemand hier. Viel Spaß und Erfolg", fügt sie mit einem Lächeln hinzu.

„Danke."

Mein Zimmer hab ich schnell gefunden. Fröhliche Stimmen dringen auf den Flur. Die Tür steht halb offen. Der Raum ist so groß wie ein normales Klassenzimmer, nur das weniger Tische drin stehen und dadurch alles viel größer wirkt. Die fast bodentiefen Fenster lassen viel Licht herein und bieten einen schönen Blick über den Hof der Schule.

Bis wir uns liebenWhere stories live. Discover now