Sieben

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Ich weiß, dass es dumm ist. Das, was ich tue, ist absolut dämlich. Wenn ich mich einfach beugen würde, wenn ich einfach tun würde, was sie von mir verlangen, würde ich mir einen riesengroßen Gefallen tun.

Aber das sehe ich absolut nicht ein. Ich werde sie nicht in ihrem krankhaften Rollendenken bestätigen. Denn ich bin weder ihre Mamma noch ihre Marionette. Ich habe nichts getan, was in irgendeiner Weise rechtfertigen würde, wie sie mit mir umgehen.

Ich bin nicht ihre Mamma.

Ich habe sie nicht misshandelt.

Und ich werde nicht einfach so aufgeben und tun, was sie verlangen.

Nur leider habe ich mittlerweile ein relativ großes Problem, das von Minute zu Minute ein bisschen massiver wird. Denn jetzt muss ich wirklich auf die Toilette.

Levi steht oder sitzt immer noch auf der anderen Seite der Tür. Das weiß ich genau, weil ich auf jedes Geräusch dort draußen geachtet hat. Das Haus ist alt – irgendeine Diele hätte knarzen müssen, spätestens wenn er die Treppe hoch gegangen wäre. Aber es ist totenstill geblieben. Also ist er immer noch da und beobachtet mich. Anders als sein Bruder hat er mir immerhin nicht versucht weißzumachen, er wäre ein netter Typ, der mir Tipps gibt und Versprechungen macht. Denn das ist er nicht. Er hat mich gegen meinen Willen angefasst, geschlagen und hier eingesperrt – sie sind nicht nett und nichts wird gut werden, solange ich an diesem Ort festsitze.

Genau aus diesem Grund macht es mich verrückt, dass ich jetzt auf seine Hilfe angewiesen bin. Denn das Wohnzimmer sieht immer noch aus, als hätte hier seit mindestens zwanzig Jahren keiner mehr den Staubwedel geschwungen.

„Irgendwann musst du anfangen", tut Levi, der tatsächlich noch im Flur zu sitzen scheint, mir den Gefallen, dass ich zumindest nicht als erste das Wort ergreifen muss.

„Ich muss jetzt wirklich mal", gebe ich kleinlaut zu. Warum genau schäme ich mich dafür? Sie sollten sich schämen und zwar in Grund und Boden, dass sie mich so weit gebracht haben, darum betteln zu müssen, auf die Toilette zu dürfen.

Levi lacht leise auf der anderen Seite der Tür, an der ich mit meinem Rücken lehne. „Ach Emmachen, du sitzt da jetzt seit zweieinhalb Stunden drinnen und hast keinen Finger gerührt. Dabei könntest du schon längst fertig sein."

Ich beiße mir auf die Zunge, um ihn nicht zickig zu fragen, woher er das bitte wissen will, da ich mir nicht vorstellen kann, dass er hier jemals auch nur einen Finger gerührt hat.

„Mamma hat das gleiche mit mir gemacht, als ich noch klein war. Und wenn ich nicht rechtzeitig fertig geworden bin, bevor ich mir in die Hosen gemacht habe, weil ich genau so ein Trotzkopf war wie du am Anfang, dann hat sie mich dafür bestraft und alles aufwischen lassen", sagt Levi und beweist damit zum einen, dass ich unrecht hatte und zum anderen, dass er meine Gedankengänge leider tatsächlich ziemlich gut durchschaut. Aber vielleicht lügt er auch und es gab Mamma nie. Vielleicht sind sie einfach so zu kranken Sadisten geworden, die Spaß daran haben, junge Mädchen zu entführen und sich unterwürfig zu machen. Das ist selten, weil es eigentlich so gut wie immer einen Auslöser gibt, wenn Erwachsene durchdrehen, aber Ausnahmen bestätigen die Regel, oder?

„Was ist dein Plan, Emma?"

Schnaubend schüttele ich den Kopf. „In den nächsten fünf Minuten oder längerfristig?"

Wieder lacht er leise. Fast hört er sich dabei menschlich an. „Wie willst du dieses Problem lösen? Dein Stolz verbietet es dir, auch nur den kleinsten Staubkrümel weg zu wischen, aber du willst dir auch nicht vor mir in die Hosen machen, was ich absolut verstehen kann. Also beides, ich kann das nachvollziehen, Emma. Weil ich in genau der gleichen Situation gesteckt habe, als ich jünger war." Jetzt fängt er also doch damit an, Klasse. „Aber ich musste irgendwann lernen, dass es für meine Gesundheit von Vorteil ist, wenn ich mich beuge."

MammaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt