Fünf

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Ich kann die Tränen längst nicht mehr zurückhalten und ein unaufhörliches Schluchzen durchschüttelt mich, als ich mich vom Tisch rolle und die Hose wieder dahin ziehe, wo sie hingehört. Völlig durch den Wind wische ich mir über das Gesicht und sehe auf. Levi lehnt neben mir mit vor der Brust verschränkten Armen am Tisch und starrt ausdruckslos die Wand vor sich an. Kai steht in der Tür und mustert mich. Sein Gesichtsausdruck ist dabei ähnlich undeutbar wie der seines Bruders.

Während ich bebend vor Scham zwischen ihnen stehe, wirken sie nicht im Geringsten so, als wäre ihnen das, was gerade passiert ist, unangenehm.

Kai dreht sich zur Seite, jetzt hält mich nichts mehr. Ich wanke aus der Küche, laufe auf die Haustür zu und obwohl ich weiß, dass es nichts bringen wird, da sie mir nicht mal hinterher laufen, rüttele ich an der Klinke, stemme mich gegen die Tür, doch sie regt sich keinen Zentimeter. Wütend schlage ich mit den Fäusten gegen die schwere Platte, bis meine Hände taub sind. Mit einem resignierenden Aufschrei trete ich gegen das massive Holz, was vermutlich nicht die beste Idee war. Ein gleißender Schmerz durchzuckt meinen Knöchel, wodurch ich fluchend das Gewicht auf den anderen Fuß verlagere.

„Was ist das für eine scheiß Tür?", beschwere ich mich. So aufgebracht war ich noch nie, da bin ich mir sicher. Und ich weiß, dass mein Wutausbruch nichts bringt, das weiß ich. Aber alles ist besser, als wie ein geprügelter Hund in sich zusammenzufallen.

„Lass sie sich beruhigen", höre ich Kais Stimme leise hinter mir. Mit einem letzten Anlauf werfe ich mich mit der Seite voran gegen die Tür, die zwar ein kleines Ächzen von sich gibt, ansonsten aber nicht nachgibt. Dafür wanke ich einige humpelnde Schritte rückwärts. Plötzlich spüre ich zwei Hände an meinen Armen. „So, jetzt musst du langsam runterkommen, Emma."

Wütend entreiße ich mich Kais Griff, drehe mich herum und funkele ihn an. „Fass mich bloß nicht an." Er erwidert darauf nichts. Hektisch atmend reiße ich mich von seinem Blick los, da erneut Tränen in mir aufsteigen, stolpere zur Treppe und schleppe mich nach oben in das Zimmer, in dem ich zu mir gekommen bin. Es gibt keinen Schlüssel, dafür einen Schaukelstuhl, der mir vorher in dem Raum mit einem Fenster nicht aufgefallen ist und den ich nun mit der Türklinke verkeile. Es dauert keine zwei Minuten, da klopft es an der Tür. Ich kauere mich hinter das Bett, lege den Kopf auf die Knie und schlinge die Arme um meine Beine. Plötzlich wird mir furchtbar kalt, als würde all das Blut in meinen Adern gefrieren.

„Sie hat' s irgendwie geschafft, die Tür zu versperren", höre ich eine dumpfe Stimme.

„Bestimmt mit diesem scheiß Stuhl. Hab dir doch gesagt, dass der woanders hin sollte."

„Jaja, halt die Klappe. Jetzt ist es auch zu spät. Emma?"

Doch ich rege mich nicht und sage keinen Ton, bis sie endlich aufhören zu klopfen.


Ich muss eingeschlafen sein. Blinzelnd öffne ich die Augen und finde mich auf dem kalten Dielenboden zusammengerollt wieder. Vorsichtig setze ich mich auf. Im Zimmer ist es dunkel. Durch das Fenster scheint nur noch ganz schwaches Licht, vermutlich vom Mond. Ungelenk richte ich mich auf, mache einen Schritt auf das Fenster zu und zische schmerzerfüllt auf. Mein Knöchel tut immer noch weh. Humpelnd überwinde ich die wenigen Meter zum Fenster und sehe nach draußen. Ein Feld. Ein riesiges, schneebedecktes Feld tut sich vor dem Haus ab. Wir sind nicht mehr in der Stadt, so viel ist sicher. Wo zur Hölle haben sie mich hingebracht?

Obwohl ich weiß, dass es nichts bringt, versuche ich erst das Fenster zu öffnen und als das nicht funktioniert, schlage ich mit der Faust gegen die Scheibe. Sie gibt nicht nach. Vermutlich haben Kai und Levi sie ausgetauscht, bevor sie mich her gebracht haben. Enttäuscht lehne ich meine Stirn gegen die kühle Scheibe. Zwar ist das letzte, was ich im Moment will, dieses Zimmer zu verlassen, doch allmählich meldet sich meine Blase. Unsicher humpele ich zur Tür, lege meine Hände auf den Schaukelstuhl und halte inne.

MammaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt