Sieben

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Als ich wieder aufwache ist es schon sehr dunkel. Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen habe und eigentlich ist es mir auch egal. Auf meinen Nachtisch sehe ich das Nachrichtenlämpchen auf meinem Handy blinken. Zuerst bin ich verwirrt und denke dass ich mich geirrt haben muss doch dann begreife ich dass ich tatsächlich eine Nachricht bekommen habe. Ich habe sehr sehr lange keine Nachrichten mehr bekommen. . Naja ich sollte mir keine Hoffnungen machen, , wahrscheinlich ist es nur irgendeine Benachrichtigung meines Anbieters dass mein Guthaben wieder aufgeladen werden muss oder so. Ich nehme mir mein altes Handy und entsperre es. Drei neue Nachrichten von einer unbekannten Nummer. Ich öffne die erste die vor zwei Tagen geschickt wurde.

"Hey Annie, gestern war es sehr schön mit dir auch wenn es nur kurz war. ♥Ich hoffe du bist gut angekommen. Wie geht's dir sonst so ? Bei mir passt alles soweit aber ich dachte wir könnten das von gestern vielleicht mal wiederholen ? Schreib mir, man sieht sich ;) "

Ist das Dylan ? Ich kann mich gar nicht daran erinnern ihm meine Nummer gegeben zu haben.

Die nächste Nachricht ist von gestern.

"Hey Annie was ist los ? Du warst heute gar nicht in der Schule geht es dir nicht gut ? Schreib zurück "

Die letzte Nachricht wurde vier Stunden nach der zweiten versendet.

"Was ist los Annie? Hab ich was falsch gemacht ? Antworte mir bitte "

Ich dachte immer es gäbe eine Regel die besagt man(n) soll mindestens zwei Tage warten bevor man sich nach einem Date wieder meldet.  Ich finde diese Regel zwar schwachsinnig aber ich dachte es ist so eine Art Tradition an die sich alle männlichen Wesen dieser Welt halten.  Ich weiß auch nicht wie ich darauf komme allgemein ist es dumm dass ich über so etwas nachdenke.

Ach Dylan.. Nichts ist los außer der Tatsache dass ich von einer unsichtbaren Kraft gesteuert werde und mich selbst kaum beherrschen kann. Ich kenne dich eigentlich kaum . Ich habe vor wenigen Tagen zum ersten Mal mit dir gesprochen und doch bist du mir unglaublich wichtig.  Warum ? Ist das Liebe ? Kann man sich in so kurzer Zeit überhaupt verlieben ? Nein du hast nichts falsch gemacht.  Ich bin diejenige die etwas falsch gemacht hat. Ich hätte mich nie auf das Treffen einlassen sollen . Ich bin zu unberechenbar. Und nun hänge ich noch mehr an dir.  Was soll ich nur machen.  Der Teil meines Verstandes der noch richtig funktioniert,  der Teil der wirklich MIR gehört, sagt ich soll dich gehen lassen und dir deine Chancen auf ein langes und glückliches Leben lassen, doch meine Gefühl sagt mir dass ich es probieren soll. Vielleicht nimmt all das ja doch ein gutes Ende und wir werden zusammen ein glückliches Leben führen. Und dann gibt es noch ein anderes Gefühl . Ein warmes wohliges Gefühl unter meiner Brust das anfängt zu hüpfen wenn ich an dich denke. Und dieses Gefühl , welches wie ein zweites Gehirn ist , sagt mir dass ich dich gar nicht mehr gehen lassen kann. Ich habe dich schon in meine Welt gerissen. Ich habe dich geklaut und in mir eingesperrt.  Selbst wenn ich dich gehen lassen KÖNNTE.. Ich glaube ich will es gar nicht. Und so sehr mein Verstand auch dagegen kämpft im Moment überwiegt der egoistische Teil in mir. Der Teil der mir sagt ich muss dich behalten egal was passiert.

Ich muss hier raus. Mein Kopf schmerzt schon vom vielen Denken. Ich muss hier raus! Hier kann ich keinen klaren Gedanken fassen und erstrecht keine so wichtige Entscheidung treffen. Die Menschen treffen jeden Tag wichtige Entscheidungen aber sie sind nicht immer richtig. Mir darf das nicht passieren. Ich muss das richtige wählen.  Ich schalte mein Handy aus ohne Dylan zurückzuschreiben, , verstaue es unter meinen Kopfkissen und renne die Treppe hinunter in den Flur.  Schnell greife ich mir irgendeine Jacke und trete aus der Tür.  Wahrscheinlich sehe ich sowieso total beschissen aus aber das ist mir egal. Ich laufe einen kleinen Waldweg entlang und betrachte die Bäume.  Die Wiese kitzelt meine nackten Füße und einzelne Steine piksen mich aber ich mag es ohne Schuhe zu laufen.  Ich kann besser denken. Eine der Sachen die mir geblieben sind, ist meine Liebe zu Wäldern.

Die verschiedenen Grüntöne, das weiche und teilweise nasse Moos, die Pflanzen und vorallem die Bäume. Die großen schlanken Bäume deren Äste über meinen Kopf wachsen und mich beruhigen. Es ist als würden sie mich beschützen. Der Wald schenkt mir Geborgenheit und Vertrautheit. Und dennoch hat er etwas trauriges an sich.

Ich bin ganz allein. Ich kann schon fast spüren wie ich Eins mit der Natur werde. Ich kann den Bäumen alles erzählen und sie hören mir immer zu. Sie sind immer für mich da. Sie sind die einzigen die mich nie im Stich gelassen haben.

Der Waldweg wird immer schmaler und ich laufe durch die Bäume hindurch bis ich auf einen kleinen Bach treffe. Dann setze ich mich hin und fange an zu weinen. Das erste Mal seit Jahren.

Ich weine nur selten aber jetzt ist mir einfach alles zu viel. Ich weine weil mir mein Vater einfach so unglaublich fehlt. Ich weine weil ich mich nie richtig von ihm verabschieden konnte.  Ich weine weil ich ihn nicht retten konnte. Ich weine aus Hass vor mir selbst weil ich Schuld bin dass er gegangen ist. An dem Tag als es passierte. sah ich ihn nur kurz als er ganz schwach im Krankenhaus lag. Meine Verwandten um das Krankenbett herum. Alle weinten. Ich weiß nichtmal mehr was meine letzten Worte zu ihm waren!! Ich bin eine schreckliche Tochter! Meine Oma fuhr meinen Bruder und mich zu ihnen nach Hause und wir schauten fern bis die anderen nachkamen. Ich wusste dass es passieren wird. Ich wusste dass er sterben wird. Hätte ich nur mehr daran geglaubt das alles wieder gut wird vielleicht hätte er es dann geschafft. Meine Gedanken waren schrecklich. Ich würde mich am liebsten umbringen. Ich hätte an ihn glauben müssen und er wäre noch hier.Die ersten Wochen war ich sehr sehr traurig. Mein armer armer Vater. Ich stellte mir schreckliche Fragen . Ob er Schmerzen hatte und wie es sich angefühlt hat. Ob noch irgendwas von ihm übrig ist. Ich fand keine Antworten darauf und ich konnte mit niemanden reden . Sehr lange war ich sehr traurig . Aber irgendwann wurde es besser. Langsam komme ih ich wieder klar. Aber ich schäme mich wenn ich glücklich bin oder Spaß habe. Ich darf nicht glücklich sein ich sollte um meinen Vater trauern und stattdessen lebe ich einfach weiter obwohl er es nicht kann. Ich weine weil ich ohne ihn weiterleben muss. Ich weine weil niemand in dieser Zeit für mich da war. Ich weine weil alle meine Freunde gegangen sind.Wenn sie überhaupt jemals meine Freunde waren.  Ich weine weil ich Dylan nicht die Wahrheit erzählen kann.Weil ich so gerne mit ihm zusammen bin aber genau weiß dass ich das nicht sollte. Ich weine weil ich ein so schrecklicher Mensch bin. Und am meisten weine ich aus Hass. Aus Hass auf mich selbst. Weil ich ein so verabscheuenswerter, grausamer, egoistischer Mensch bin. Weinen ist sich selbst zu bemitleiden. Ist es nicht so ? Manchmal weint man auch aus Wut weil man seinem Ärger Luft machen muss aber es nicht geht. Aber auch dann bemitleidet man sich eigentlich selbst. Ich weine weil ICH keinen Vater mehr habe. Ich weiß nicht wie ich mich ausdrücken soll aber eigentlich geht es wenn wir weinen doch nur um uns oder ? Man weint weil man einen geliebten Menschen verloren hat und ihn nie wieder sieht und das ist schlimm. Es ist menschlich dass man weint wenn so etwas passiert. Man weint weil man die Person nie wieder sehen wird. Weil man früher oder später realisiert dass er oder sie nie wieder kommen wird. Weil man sie vermisst. Es geht immer darum was man selbst fühlt. Es ist okay, sogar angemessen Trauer zu empfinden wenn Menschen die man gern hatte von einem gehen, denn wenn man diese Trauer nicht spüren würde, hätte der Verstorbene einem nichts bedeutet. Ich kann nicht erklären was ich denke und deshalb werde ich es jetzt auch lassen. Wahrscheinlich wird es eh falsch verstanden.  Aber ich hasse es wenn ich weine. Ich schäme mich denn es gibt Leute denen es noch schlechter geht.  Menschen die ihre gesamte Familie verloren haben , arm sind,  kein Wasser oder kein Brot haben, Menschen die schwer verletzt und ganz alleine am anderen Ende der Welt liegen. Sagen wir es so: Ich fühle mich schlecht wenn ich weine wegen dem was mir passiert ist wenn es Menschen gibt denen es noch viel schlechter geht. Ich sollte mich glücklich schätzen mit dem was ich habe. Ich wische mir die Tränen aus den Augen und stehe auf.

Annie es reicht.  Du vergisst das was gerade war und tust einfach so als wäre dieser Gefühlsausbruch gerade eben nicht passiert.  Du setzt deinen Spaziergang nun fort und triffst die Entscheidung die zu treffen  ist, dann gehst du nach Hause und schläfst.

sage ich zu mir.

Ich atme einmal tief ein und aus und laufe dann weiter. .

Ich weiß nicht ob ich diese Geschichte weiterschreiben werde da ich gerade ziemlich mit mir selbst zu tun habe und daher nicht so viel Zeit habe zu schreiben. Vielleicht werde ich die Geschichte löschen, vielleicht werde ich sie auch drauf lassen, vielleicht schreibe ich weiter, vielleicht auch nicht.  Ich bin mir noch nicht sicher. Und ich wollte mich noch für die 300 Reads bedanken ich habe mich echt gefreut :D ♥ Fühlt euch gedrückt :*

Das Mädchen das der Teufel liebte.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt