Schweigend liefen sie zurück zu den Transportern. Um sie herum hetzten Soldaten von einem Punkt zum anderen, manchmal mit Verletzten und manchmal mit Verbänden für die Verletzten. Doch Shinya bekam dies alles nur halb mit. Fieberhaft dachte er darüber nach, wie er seinen Freund am schlauesten und mit möglichst keinem Verlust retten könnte. Sein Blick fiel auf einen braunhaarigen Mann, was ihn abrupt anhalten ließ. Die wichtigste Frage hatte er sich noch gar nicht gestellt gehabt. Wie sollte er nur Kureto davon überzeugen Guren zu retten? Dieser würde doch sicher nicht den Anführer der Monddämonen im Stich lassen? Oder doch? Allein die Tatsache, dass Shinya sich darüber Sorgen machen musste, empfand er als ziemlich ernüchternd.
Bevor der Scharfschütze auf seine Fragen Antworten bekam, rief sein älterer Bruder die Soldaten zusammen.
„Wir haben die Vampire erfolgreich geschlagen! Obwohl wir Verluste erlitten haben, wurde die Mission erfolgreich ausgeführt. Ihr könnt stolz auf euch sein!"
Doch obwohl er dies feierlich sagte, war sein Ausdruck so kalt wie immer.
„Das ist ja alles schön und gut, aber was ist mit dem Oberstleutnant und Anführer der Monddämonen?", fragte Shinya laut. Alle drehten sich zu ihm um und warfen sich besorgte Blicke zu. Kuretos Augen verengten ist.
„Was soll mit ihm sein?"
„Die Vampire haben ihn mitgenommen und..."
Kureto brachte ihn mit einer Handbewegung zum schweigen.
„Dann müssen wir leider davon ausgehen, dass der Oberstleutnant mittlerweile nicht mehr am Leben ist. Das ist zwar sehr bedauerlich, doch im Krieg ist mit Verlusten zu rechnen."
Shinya starrte den braunhaarigen Mann entgeistert an. Wenn er die Worte der Vampire richtig verstanden hatte, wollten diese Guren zu ihrem Boss bringen. Und so wie es ausgesehen hatte, hatten sie vorerst nicht vorgehabt seinen Freund umzubringen. Doch wer weiß, wann sie ihre Meinung ändern würden.
„Kureto-nii-san, Ihr könnt doch nicht einfach den Anführer der Monddämonen ohne auch nur einen einzigen Rettungsversuch im Stich lassen."
Shinya sah seine Bruder mit einem unschuldigen Lächeln an.
Dieser aber fixierte ihn, sodass es seinem Adoptivbruder kalt den Rücken runter lief.
„Ich kann und ich werde. Die Mission war erfolgreich und das ist alles was zählt."
Der Scharfschütze sah den Generalleutnant mit verächtlichen Augen an.
„Für Euch sind wir doch alle sowieso nur Bauernopfer."
Im selben Moment, in dem er diese Worte sprach, wusste er, dass er einen Riesenfehler begangen hatte.
Sein Befehlshaber durchbohrte ihn mit seinem Blick, als er langsam auf Shinya zuschritt. Als er vor ihm zum stehen kam, baute er sich zu seiner vollen Größe auf. Er legte seine Hand auf die Schulter des Generalmajors und sagte leise, aber deutlich:
„Ich sagte, alles was zählt ist das erfolgreiche Erfüllen der Mission."
Das waren seine Worte, doch Shinya spürte die eigentlich Botschaft:
‚Widersprich mir noch ein Mal und du wirst es bereuen.'
Der Scharfschütze wandte den Blick ab. Zufrieden lächelte Kureto.
„Und wisch dir endlich das Blut aus dem Gesicht. Du siehst schrecklich aus."
Dann drehte er sich um und ließ Gurens Freund allein zurück.
Angewidert lief Shinya zu einem Transporter, um sich um seine Kopfwunde und um sein Bein zu kümmern. Er war gerade dabei eine Verband hervorzuholen, als er die Stimme seines Bruders vernahm.
Vorsichtig lugte er um das Auto und beobachtete, wie Kureto sich mit zwei weiteren Soldaten unterhielt. Shinya lauschte.
„Wo sind sie hin?"
„Sie haben sich an die Stadtsgrenze Richtung Norden zurückgezogen. Anscheinend haben sie dort ein kleines Lager aufgeschlagen. Es ist abgesehen von drei höheren Vampiren nicht streng bewacht.
Sollen wir sie weiter beobachten, Sir?"
Der braunhaarigen Mann schüttelte den Kopf.
„Nein, wir ziehen uns ebenfalls zurück. Überwacht ganz normal die Grenzen und..."
Mehr bekam der Scharfschütze nicht mehr mit. Er machte auf dem Absatz kehrt und rannte los.
Anscheinend hatte der Generalleutnant ihn bemerkt, denn rief mit einem warnenden Unterton:
„Shinya! Bleib sofort stehen!"
Doch dieser ignorierte Kuretos Befehl und rannte weiter. Ihm war bewusst, dass sein großer Bruder, sollte er ihm das nächste mal allein unter die Augen treten, seine Drohung von zuvor wahr machen würde. Doch es war ihm egal.
„Haltet ihn auf!", brüllte der braunhaarige Mann und Shinya spürte wie er verfolgt wurde. Er erhöhte seine Geschwindigkeit noch weiter, doch sein Bein hinderte ihn daran dieses Tempo lange zu halten.
Verzweifelt warf er einen Blick nach hinten, als er plötzlich zur Seite in eine Gasse gezogen wurde. Goshi grinste ihm zu und deutete auf die zwei Motorräder, die neben ihm standen:
„Geschwindigkeitsboost gefällig?"
Shinya grinste zurück und schnappte sich ein Fahrzeug.
„Mit Vergnügen."
Der Scharfschütze startete den Motor und raste los. Norito sprang währenddessen auf das andere Motorrad und folgte ihm.
Mit einer Kilometerzahl, die früher wahrscheinlich nicht für diese Straße gedacht gewesen war, rasten sie durch die verwüstete Landschaft.Goshi fuhr neben Shinya und rief um den Wind zu übertönen:
„Und irgendein Plan, wie wir Guren retten können?"
„Nein, aber wir werden es schon herausfinden. Zur Not improvisieren wir einfach."
Der Hiragi zwinkerte ihm zu und drehte dann seinen Kopf wieder nach vorne. Schweigend dachte der blonde Fahrer nach. Ihn gruselte es, wie es Shinya und Guren immer schafften ihre Gefühle zu verstecken. Doch während sein Anführer einfach eine ausdruckslose Miene aufsetzte, spielte Shinya einem eine komplett andere Emotion vor. Er machte es einen unmöglich zu erraten, was er gerade dachte.
Mito und Sayuri waren bei dem Zusammenbruch des Gebäudes schwerer verletzt worden und als sie aufgewacht waren, hatten es Shigure und er einfach nichts übers Herz gebracht, ihnen zu von der Entführung Gurens zu erzählen. Sie wären vor Sorge um gekommen.
Norito war sich mehr als bewusst, dass der adoptierte Hiragi im Moment genau dasselbe empfinden musste. Doch anstatt, dass auch nur ein Hauch von Besorgnis in seinen Gesichtszügen oder Augen zu sehen war, sah Shinya so aus, als würde er gerade eine lustige Spritztour durch die Gegend machen.
Goshi schüttelte den Kopf. Was für eine Selbstbeherrschung musste man besitzen, um seine Gefühle so zu beherrschen? Wie und warum lernt man sowas?
Er verstärkte seinen Griff um den Lenker. Wenn der Blonde ehrlich war, wollte er es gar nicht wissen...
„Wir sind bald da. Am besten gehen wir ab hier zu Fuß weiter."
Shinyas Stimme unterbrach seine Gedanken und er stoppte sein Motorrad.
„Mittlerweile eine Idee?", fragte er, während sie die Fahrzeuge abstellten, doch der Scharfschütze schüttelte den Kopf.
Goshi grinste:
„Na dann. Wird schon schief gehen."Er unterdrückte ein Keuchen. Er wusste keine Körperstelle, die nicht schmerzte. Fieberhaft versuchte er sich daran zu erinnern, was als letztes passiert war. Doch es brachte nichts. Alles was er wusste, bestand daraus, dass er sich fühlte, als wäre ein Walze über ihn hinweggerollt. Er öffnete die Augen, nur um sie sofort wieder zu schließen. Seine Umgebung war verschwommen gewesen und bunte Farben hatten sich im Kreis gejagt. Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, startete er einen neuen Versuch, doch diesmal machte er es in Zeitlupentempo.
Mit Erfolg.
Er konnte zwar immer noch nicht alles genau erkennen, doch zu mindestens konnte er seine Situation erfassen. Seine Hände waren hinter seinem Rücken gefesselt, seine Füße wurden mit einem Seil zusammengebunden, aber geknebelt war er nicht.
Mittlerweile war er in der Lage drei Personen vor sich wahrzunehmen. Jetzt fing sein Gehirn wieder an zu arbeiten und suchte nach den fehlenden Erinnerungen. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Er wusste es wieder, er wusste alles wieder. Seine Sicht wurde klarer und er erkannte die Vampire, die ihn mitgenommen hatten. Er hoffte wirklich Shinya und den anderen ging es gut. Doch im Moment hatte er andere Sorgen. Er musste sich so schnell wie es möglich war befreien, aber wie? Guren hatte noch immer nicht das Gefühl in allen Gliedmaßen zurück und je länger er über eine Flucht nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass solange kein Wunder geschehen würde, er es nicht lebend aus den Fängen der Vampire schaffen würde.
Es sei denn, er würde Hilfe von außen bekommen. Der Ichinose lachte innerlich. Solange Kureto den Oberbefehl hatte, war diese Option noch unwahrscheinlicher als jedes Wunder der Welt.
Oder?
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Gureshin ~ Leben oder Überleben
FanfictionZwei Freunde in einer Welt aus Chaos, in einer Welt, die nur aus Krieg besteht. Und so sehr sie sich auch auf die Gegenwart konzentrieren, die Vergangenheit holt einen immer ein. [Pairing: Guren x Shinya]