-3- misery

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Auf dem Weg zur Arbeit läuft Almost Lover im Radio und ich wechsle genervt zum nächsten Sender - dann springe ich wieder zurück und höre mir das Lied an, weil ich mir dämlich vorkomme. Vor mir schaltet die Ampel auf rot und ich komme zum stehen. Schluss mit der Gefühlsduselei, ich wusste vom ersten Moment an worauf ich mich einlasse. Außerdem glaube ich nicht an Liebe auf den ersten Blick, habe ich noch nie, was also soll das Drama? Endlich zeigt der zugestaubte Display den nächsten Song an und ich versuche mich zu entspannen. Die Nacht war schön, ja, aber nur weil ich mir dieses Gefühl zurück wünsche, muss ich nicht Vanessa hinterher trauern. Um einen Menschen lieben zu können, muss man ihn erst richtig kennen, davon bin ich überzeugt. Grünes Licht spiegelt sich in den Regentropfen auf der Scheibe, als ich wieder auf das Gas trete. Ich beschließe, dass das Thema damit abgehakt ist und freue mich auf meine Arbeit. Im Büro merke ich jedoch wie meine Gedanken immer wieder abschweifen. Unkonzentriert unterläuft mir ein Fehler nach dem anderen, bis ich frustriert aufgebe und in die Mittagspause gehe. So kenne ich mich garnicht. Ich stoße die Tür zur Toilette auf und schließe mich ein, bevor ich das einzige tue, was mich jetzt beruhigen kann: meinen besten Freund anrufen. Wir kennen uns seit dem Kindergarten - bereits damals hat er mir erzählt, dass er ein Junge ist und so wurde irgendwann in der Highschool aus meiner besten Freundin Amy, mein bester Freund Lucian. Bis heute sind wir unzertrennlich und normalerweise gibt es wirklich nichts, das zwischen uns unausgesprochen bleibt. Die letzten zwei Wochen war er jedoch im Urlaub und so habe ich beschlossen, dass das Vanessa-Update warten muss bis wir uns persönlich sehen. Ich fand es sei kein Thema für eine Sprachnachricht und nicht wichtig genug für einen Anruf, doch ich brauche jetzt einfach seine ruhige Art und sein Verständnis. Der Verbindungsaufbau scheint ewig zu dauern und ich quietsche erleichtert, als seine weiche Stimme endlich am anderen Ende erklingt.

"Lee!" begrüßt er mich mit meinem Kosenamen und fragt warum ich anrufe. Natürlich weiß er sofort, dass etwas nicht stimmt, er kennt mich besser als ich es tue. Ich spüre wie mir unweigerlich Tränen in die Augen schießen. Der ganze Frust des Vormittags, die Verwirrung der letzten Tage, das alles bricht aus mir heraus und ich schildere Lucian Rotz und Wasser heulend meine Lage, erzähle von der Party, Vanessa, unserer Nacht und dem Morgen danach. Verzweifelt versuche ich in Worte zu fassen, was ich fühle, doch ich verstehe es selber nicht.
"Schätzchen, du bist verliebt." antwortet er schließlich und es ist keine Frage.
"Nein! Ich kenne sie doch garnicht, Lucian." Meine Stimme ist schrill und ich weiß er verdreht am anderen Ende des Hörers gerade seine Augen, ich kann es förmlich spüren. Ich denke zurück an all die Nächte, in denen wir um vier Uhr morgens betrunken auf dem Dach saßen, die Sterne betrachtet und über genau solche Themen gesprochen haben. Ich liebe unsere philosophischen Gespräche, das wir meist unterschiedlicher Meinung sind macht es nur umso interessanter.
Wahrscheinlich hat er über genau das selbe nachgedacht, denn er lacht leise und ich stimme ein, erleichtert mir das ganze endlich von der Seele geredet zu haben.
"Gefühle sind hartnäckig, aber sie vergehen. Egal was du da gerade fühlst, akzeptiere es und wenn es dir nicht gut tut, dann lass es los."
Ich atme tief durch. Er hat recht, natürlich hat er das.
"Danke." flüstere ich in den Hörer und würde ihn am liebsten umarmen.
"Bis Freitag, Lee."
Einen Moment stehe ich nur da, halte das Handy in der Hand und lasse seine Worte auf mich wirken. Dann reiße ich mich zusammen und gehe zurück an die Arbeit. Jetzt wo ich das ganze los bin, erledigt sie sich wie von allein und ich vergrabe mich so tief in meinen Aufgaben, dankbar für die Ablenkung, dass ich am Abend die letzte bin, die das Büro verlässt.

Ich entscheide mich dafür mir auf dem Rückweg eine Pizza zu holen, stelle mein Auto vor meinem Apartment ab und mache mich zu Fuß auf den Weg. Die frische Luft tut gut, mein Kopf ist frei und ich gehe ganz bewusst nicht in die Richtung des Clubs. In Gedanken gehe ich die Woche durch und zähle die Tage bis Freitag, wenn Lucian endlich wieder kommt. Er hat gefragt ob ich mit zu einer Hausparty kommen möchte und da sage ich bestimmt nicht nein zu. Voller Vorfreude grinse ich. Die Straßen sind zu dieser Zeit bereits wie leer gefegt und es fängt langsam an zu dämmern, als ich in eine schmale Gasse einbiege und meine Hände tief in den Taschen meiner Jacke vergrabe. Vor der nächsten Ecke höre ich ein Mädchen kichern, gefolgt von der Stimme, nach der ich mich seit Tage sehne. Ich erstarre an Ort und Stelle, mein Grinsen ist wie weggewischt. Ich wage es kaum in den kleinen Weg einzubiegen - vielleicht sollte ich umdrehen und es dabei belassen. Es mir nicht noch schwerer machen, als es schon ist. Als hätte mein Körper nicht zugehört, mache ich einen Schritt auf die Hausecke zu. Vanessa und ich könnten uns natürlich auch aussprechen, ein für alle mal festmachen, was das zwischen uns ist. Eine leise Stimme in mir flüstert, dass sie mir diese Antwort bereits gegeben hat, doch ich will ihr nicht glauben und trete um die Ecke.

Ich brauche nicht suchen, mein Blick fällt sofort auf Vanessa. Mit einem Joint in der Hand steht sie an eine Hauswand gelehnt nur einige Meter von mir entfernt. Ihre andere Hand ruht auf der Hüfte eines Mädchens, lächelnd hört sie ihr zu. Selbst als ich einen weiteren Schritt in ihre Richtung mache, schaut sie nicht auf. Unsicher wie ich mich verhalten soll, stehe ich einfach nur da mit wackeligen Beinen und einem hoffnungsvollen Blick, doch sie scheint bloß Augen für das Mädchen zu haben. Dabei kommt ihr Blick mir erschreckend bekannt vor. Es ist diese Art von Blick, die einem das Gefühl gibt, die Welt drehe sich nur um dich. Diese Art von Blick, der ihre Augen in Begehren funkeln lässt, wie einen Ozean. Dieses Gefühl galt vor wenigen Tagen noch mir, jetzt ist es ein mir fremdes Mädchen, welches ihn zugeworfen bekommt und ich begreife, dass nichts von all dem echt war. Das es Vanessas Masche ist. Es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Auf einmal kommt auch ihre distanzierte Art mir nicht mehr so geheimnisvoll vor, sondern eher wie ein Schild, dass keine Emotionen zulässt. Als wäre sie verletzt worden und würde nun jegliche Gefühle sofort im Keim ersticken. Deshalb wollte sie am Morgen auch nicht bei mir bleiben. Deshalb gab sie mir keine Nummer, unter der ich sie erreichen könnte. In mir ringen Wut und Mitleid miteinander. Ich verharre einen Moment an Ort und Stelle, unfähig meine Beine in Bewegung zu bringen und spüre wie noch immer ein kleiner Teil von mir ihre Aufmerksamkeit sucht. Als ich mich gerade abwenden will, hebt sie den Blick und begegnet meinem mit einer Ruhe, die sich stark von dem absetzt, was ich fühle. Ohne es zu wollen lächle ich mit einem Kribbeln im Bauch, darauf hoffend, dass sie zurück lächelt. Das sie sich von dem Mädchen abwendet und zu mir kommt und wir alles klären. Das sie zumindest irgendeine Reaktion zeigt. Sie hält den Blickkontakt aufrecht, eine, zwei, drei Sekunden - und wendet sich dann wieder von mir ab, ohne die geringste Regung zu zeigen. Verbittert nicke ich. Ihr Signal war so deutlich, dass selbst ich es verstehe. Ich bin ihr nicht mal eine Begrüßung wert. Schnaubend mache ich auf dem Absatz kehrt und laufe zurück zu meinem Apartment, der Neid brennt in mir wie Feuer. Mit kalten Fingern wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und schmeiße meine Sachen achtlos zu Boden. Ich weiß ich kann mir nicht länger vormachen, dass ich keine Gefühle für sie habe. Die Erkenntnis zerreißt mich.

Desire | GirlxGirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt