Blaues Berlin

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Leise gleitet mein Boot durch die Straßen Berlins. Die Möwen auf dem Reichstagsgebäude in der Ferne beobachten mich schweigend, während ich, meinen Brotlaib auspackend, zu ihnen hinüberblicke. Unter mir erkenne ich schemenhaft die unzähligen Wracks der Autos, gefüllt mit Wasser und leblosen Gestalten. Manche waren gerade auf dem Weg zur Arbeit, andere kamen von ihren Liebsten wieder, doch sie alle waren bloß zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. 

Jener Tag, an dem Paare in dieser Stadt ihre Hochzeit feierten, junge Eltern von Glück erfüllt in die Augen ihrer Kinder blickten, er ihr endlich seine Liebe gestand, an dem das rot-goldene Laub der Bäume die Hauptstadt in ein buntes Kleid hüllte, die Straßen von Leben pulsierten und die Katastrophen, von denen man andauernd hörte nur im Fernseher Realität waren, an jenem Tag sollte sich alles ändern.

 Ihr Kleid sollte schwer wie Zement werden und sie nach unten ziehen. Diese kleinen Wesen sollten ihnen von den Fluten entrissen werden und der Rosenstrauß von seinen Händen niemals in die ihre wandern. Die Farben sollten von einem dunklen, tiefen blau verdrängt werden und das Leben aussterben. Und schließlich sollten die Katastrophen, von denen man annahm, sie würden nur im Fernseher existieren, uns besuchen kommen.

 Ich weiß nicht welches Jahr wir schreiben. Ich weiß bloß, dass diese Stille, wie man sie früher an einem Ort wie diesem nie hätte erleben können, etwas absurd Beruhigendes an sich hat. Fast schon so, als hätte uns die Natur verziehen und wollte nun, dass wir endlich wieder in Frieden mit ihr leben.

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