Kapitel OI ~ Pläne die irgendwann mal zu Reichtum führen sollten ...

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*Madison*

Mein Name ist Madison Carter. Ich bin siebzehn Jahre alt und lebe in einem der zahlreichen Favelas in der Großstadt Rio de Janeiro. Bisher meinte es mein Schicksal nicht allzu gut mit mir. Seit ich denken kann lebe ich in Rocinha, dem größten Elendsviertel meiner Heimatstadt. Und eines müsst ihr wissen: es ist echt schrecklich dort zu leben. Alle Menschen, die dort wohnen, sind arm - ist denke das ich verständlich, wieso sonst sollten sie in einem Armenviertel leben - und dadurch, dass es Jedem so schlecht geht, ist die Kriminalität unglaublich hoch. Ich würde jedem Menschen, der auch nur ein wenig Geld besitzt, dringend davon abraten, durch jegliche Viertel solcher Art zu spazieren. Man wird überfallen und wacht - bestenfalls - lebend, mit ein paar Knochenbrüchen in einer kleinen Seitenstraße auf. Schlimmstenfalls wird dieser Besuch das Letzte sein, was ihr jemals getan habt. Also unterlasst es lieber. Wenn ihr so etwas dennoch machen wollt, dann nehmt euch einen Führer. Die machen dann mit euch einen Rundgang durch so ein Viertel. Echt, ohne Scheiß. Das gibt's wirklich! Da wird man durchgeführt wie durch den Louvre oder so. Ich hab auch mal so eine Gruppe gesehen - alles reiche Schnösel, die sich für was besseres halten -, damals mit meinem Bruder. Aber den gibt es nicht mehr. Ebenso wenig wie meine Mom oder meinen Dad. Irgendwann waren sie nicht mehr da. Ich weiß auch nicht, wo sie jetzt sind. Vielleicht im Himmel, vielleicht in der Hölle, vielleicht leben sie auch noch. Irgendwo ohne mich. Doch diesen Gedanken verwarf ich immer schnell wieder. Ich wollte nicht daran glauben, dass sie mich einfach so zurückgelassen hatten. Mutterseelenallein in einem riesigen Favela, ohne jegliche Freunde oder andere Personen, die mir notfalls unter die Arme greifen konnten.

Bestimmt waren sie tot. Bei dem Gedanken daran, sie könnten nicht mehr unter den Lebenden weilen, rollte mir eine Träne über die Wange. Besonders mein Bruder hatte mir immer sehr nahe gestanden. Klar, schon damals hatten wir wenig Geld, doch trotzdem waren sie meine Familie und ich liebte sie über alles. Sogar mehr als mein eigenes Leben. Ich wäre für sie gestorben, wenn es nötig gewesen wäre. Mich hält aber auch nichts in diesem Leben, meinem Leben. Was war der Sinn darin? Ein paar Mal hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, Selbstmord zu begehen, aber ich war von kämpferischer Natur und letztendlich versuchte ich mehr aus meinem Leben zu machen, wenn es mir schon geschenkt worden war. Die Wochen nach dem vermeintlichen Tod meiner Eltern und meines Bruders waren schlimmer als alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt durchlebt hatte - und das war eine ganz schöne Menge. In diesen Wochen besaß ich so gut wie kein Geld und wusste nicht, wo ich hin sollte. Aber vor Allem die Trauer fraß mich von innen heraus auf. Jetzt, fast sieben Jahre später tat es zwar immer noch weh, aber ich konnte den Schmerz so gut es eben ging unterdrücken.
Irgendwann begann ich in das Zentrum zu gehen und zu klauen. Damit ich wenigstens einigermaßen 'normal' aussah, trug ich immer eine einfache Jeans und ein T-Shirt. So auch jetzt. Die Sachen waren nicht sonderlich teuer gewesen, trotzdem war es für mich ein kleines Vermögen.
Auf meinen Raubzügen hatte ich eine Menge gelernt. Ich wusste, wie man auf einfachste Art und Weise schwere Schlösser - sowohl mit Codes, als auch normale mit Schlüsseln - knackte, konnte Bewaffnete gut und vor allem ungesehen umgehen und durchquerte das noch so sicherste Sicherheitssystem. Bisher hatte mich noch nie jemand bei meinen Aktionen erwischt, doch schon sehr bald hatten sie nicht mehr den gewünschten Effekt. Im Zentrum lohnte es sich nicht großartig irgendwo einzusteigen. Für diesen Aufwand war der Gewinn einfach zu klein - und reichte vor Allem nicht, um mich anständig zu ernähren. Zum wiederholten Male war ich auf einer unfreiwilligen 'Diät'.

Ich seufzte abgrundtief und stand von der Bank auf, auf der ich gesessen hatte. Mein neuster Plan war es, in eines der Reichen-Viertel einzubrechen. Ja, das war ein guter Plan! Wieso bin ich da nicht schon viel früher drauf gekommen?

Ich wischte mir die Tränenspur von der Wange, die das Einzige waren, das mir von meinen Eltern und meinem Bruder geblieben ist. Und ich wollte nicht mehr an sie denken. Das war viel zu traurig und ich wollte nicht wieder in das dunkle Loch der Trauer fallen. Würde ich mich zu weit über den Abgrund lehnen, so würde es kein Halten mehr für mich geben.

Um meinen Plan vorzubereiten, machte ich mich auf den Weg vom Stadtzentrum Rio de Janeiros zum nobelsten Viertel der Stadt, Barra da Tijuca. Ich brauchte für die Route zu Fuß zwar Ewigkeiten, aber Geld für einen Bus hatte ich definitiv nicht übrig. Und die frische Luft tat echt gut, so konnte ich Alles noch ein mal in aller Ruhe überdenken.

Wenn ich meinen Blick nicht gerade auf die Straße gerichtet hatte, dann sah ich eine Menge an Häusern zu meiner Rechten und meiner Linken. Oft wurden die Einfamilienhäuser von Wolkenkratzern und Hochhäusern abgelöst, hier und da auch von dem ein oder anderen Park. Ich lief auch an der Statue Cristo Rodentor vorbei. Diese Statue war so mächtig groß und einschüchternd - aber zugleich dennoch wunderschön. Ich saß gerne einfach nur hier auf einer der Bänke und sah sie mir an. Aber jetzt hatte ich Anderes zu tun. Ich hatte ein grobes Handlungsprinzip, welches ich um jeden Preis einhalten wollte.

Ich betrachtete meine Umgebung nicht weiter. Sonst müsste ich nämlich auch zwangsweise die anderen Menschen, die mir entgegen kamen ansehen und das konnte ich nicht. Je näher ich meinem Ziel kam, desto teurer waren die Leute gekleidet und desto abschätziger wurden ihre Blicke. Ich hasste es, wenn sie einen so anschauten. Diese Mischung aus Überheblichkeit und Mitleid machte mich wahnsinnig. Alle Menschen in diesen Vierteln kamen mir schrecklich überheblich vor. Schon auf den ersten Blick war mir bewusst, dass sie noch nie in ihrem Leben richtig gelacht hatten. Ja klar, mein Leben ist auch nicht perfekt, aber wenigstens hatte ich schon öfters gelacht - damals mit meinem Bruder. Mein Bruder.

Schnell verbannte ich jeglichen Gedanken an ihn in die hinterste Ecke meines Kopfes. Darüber konnte ich ihn mir später noch zerbrechen, doch jetzt konnte ich es mir nicht leisten auch noch in Tränen auszubrechen. Jeder sah mich schon jetzt so komisch an, weil ich schon rein optisch nicht hier hineinpasste. Wie würden sie erst gucken, wenn ich auf einmal anfinge zu weinen? Ich will es mir gar nicht vorstellen.

Nach einem ewig langen Fußmarsch war ich endlich im Stadtteil Barra da Tijuca angekommen. Das Viertel war mit einem hohen Stahlzaun mit Stacheldraht von den Elendsvierteln abgetrennt. Vor diesem liefen bewaffnete Sicherheitsleute hin und her. Ich fand die Sicherheitsmaßnahmen zwar etwas übertrieben, aber gut, wenn die Reichen keine Ahnung hatten, was sie mit ihrem ganzen Geld anfangen sollten. Ich schüttelte meinen Kopf. Also wir Armen könnten damit gut etwas anfangen - und vor allem wäre das Geld nicht einfach so zum Fenster heraus geschmissen worden. Ja klar, die Armen waren oft Kriminelle, aber ein so übertriebenes Sicherheitssystem brauchte man auch für die nicht.

Schnell ging ich hinter einem Müllcontainer in Deckung. Aus sicherer Entfernung sah ich mir die Barriere nochmals an. Jetzt blieb nur noch die Frage, wie man da hineinkommt. Und ich hatte schon eine Idee.

Reichtum ich komme!

The Wrong SideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt