Liaision

Kapitel 3 - Olivia

Olivias Handy klingelt, nur um gleich darauf von ihr ausgeschaltet zu werden. Das brachte ihr einen vorwurfsvollen Blick von Raven ein. "Was?", fragte Olivia schnippisch und machte sich bereit ihre Meinung zu verteidigen. Raven seufzte und legte ihr Buch auf den Wohnzimmertisch. Eigentlich hatten sich die beiden nach der Schule ins Wohnzimmer gesetzt um ihre Hausaufgaben zu machen.

Doch als sie fertig waren, saßen noch ein wenig zusammen um zu lesen. „Olivia, irgendwann musst du mit deinen Eltern telefonieren!" Da war es, dass was alle schon die gesamte Woche dachten, sich aber noch niemand getraut hatte zu sagen. Seit sie letzte Woche Sonntag in die Denox-Pension eingezogen war, hatte sie nicht mehr mit ihren Eltern gesprochen. Am Anfang hatte Olivia einfach nur keine Lust gehabt mit ihren Eltern zu reden, doch inzwischen wusste sie gar nicht mehr, worüber sie mit ihnen reden sollte.

Denn die vergangenen fünf Tage waren gleichzeitig gut und schlecht für sie gewesen.  Zum einen hatte sie neue Freunde gefunden, wenn man sie denn schon so nennen konnte, zum anderen fühlte sie sich immer noch fremd und oft auch fehl am Platz. Sie wollte einfach nicht mit ihren Eltern darüber reden wie sie sich fühlte, denn eigentlich wusste sie es auch nicht. Um Ravens mahnenden Blick Stand zu halten sagte Olivia: "Das ist meine Angelegenheit und nicht deine." Doch Raven verdrehte nur die Augen:" Mensch, die machen sich doch bloß Sorgen um dich."

Olivia wollte ihr schon entgegenwerfen, dass ihre Eltern sie dann hätten nicht wegschicken sollen, merkte aber was für eine lahme Ausrede das war. Schließlich waren ihre Eltern nicht daran schuld, dass Olivia Berlin verlassen musste. Nein, das lag ganz allein an Olivias Verhalten und ihren schlechten Noten. Und auch wenn sie jetzt lieber zu Hause wäre, wusste sie doch ganz genau, dass sich dann nie etwas geändert hätte. Doch hier in Callborn konnte sie neu anfangen, sie könnte sein wer immer sie wollte. Ohne ihre Vergangenheit und ihren Ruf mit sich zu schleppen.

„Das will ich doch auch gar nicht", gab Olivia ein wenig nach. "Dann ruf sie doch an", beharrte Raven. Olivia seufzte: "So einfach ist das nicht." Gerade als Raven ihr wieder sprechen wollte, ging die Eingangstür auf und James kam herein. Als er die beiden Mädchen im Wohnzimmer sah, grüßte er sie und fragte sie nach ihrem Tag. Olivia grüßte zurück:" Hey James, mein Tag war gut, wie war die Uni denn so?" Kurz rechnete Olivia damit, dass Raven auch etwas sagen würde, doch die hatte sich wieder ihr Buch geschnappt und ignoriert James.

Ein wenig traurig schaute dieser seine kleinere Schwester an und wand sich dann Olivia wieder zu:" Das freut mich. Ach die Uni ist wie immer, anstrengend. Was macht ihr später denn noch?" Olivia, welche verwundert Ravens Verhalten beobachtete antwortete:" Wir wollen heute Abend in einen Club hier in Callborn gehen." "Die Scheune?", fragte James, als würde er den Club nur so bezeichnen. "Ja genau" "Na dann, viel Spaß euch. Ich muss leider für Prüfungen lernen", mit diesen Worten wand sich James von den beiden ab und ging nach oben. Olivia rief ihm noch ein "Danke" hinterher, bezweifelt jedoch, dass er es gehört hatte. "Sag mal, was war das gerade?", fragte Olivia neugierig.

Ihr war bereits in den letzten Tagen aufgefallen, dass Raven nur selten mit ihrem Bruder redet oder sich in seiner Nähe aufhielt. Doch dachte sie bis jetzt, dass dies in der mangelnden Freizeit von James begründet lag. Doch gerade eben hatte Raven James einfach ignoriert, obwohl er sie etwas gefragt hatte. "Nichts", sagte Raven monoton. Und bevor Olivia ihr sagen könnte, dass es garantiert nicht 'nichts' gewesen war, ergänzt Raven:"Zumindest nichts was dich angeht. Du hast doch gerade gesagt, dass das mit deinen Eltern, deine Sache ist. Dann lass bitte das zwischen James und mir, meine Sache sein."

Olivia öffnet schon ihren Mund um ihr zu wieder sprechen, doch dann überlegte sie es sich anders. Nur weil sie jetzt hier lebte bedeutete das nicht, dass sie alles wissen musste. Schließlich hatten selbst Geschwister Geheimnisse voreinander. Und wenn Olivia daran dachte, dass sie kurz vorher genauso wenig über ihre Gefühle reden wollte, wollte sie es doch lieber auf sich beruhen lassen. Also nahm sie ihr Buch wieder hoch und las weiter. Doch sie war mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache. Nach einer Weile fragte Olivia schließlich:"Wann wollen wir uns eigentlich fertig machen für 'die Scheune'?"