28.12.2016
Ich wachte durch ein dumpfes Geräusch auf. Am Ende des Bettes war Emil und hielt eine Flasche Wasser in der Hand und eine Tüte. Er schaute mich entschuldigend an und setzte sich auf mein Bett.
„Hier, kannst du gebrauchen und dein Magen wird mich segnen, so wie der rumort."
Ich schaute ihn schief an. Klar, ja, ich hatte Hunger, aber ich hatte weniger Lust, dass er sich etwas darauf einbildet, falls ich den saftig, roten Apfel annahm. Also ignorierte ich ihn, aber Emil hielt den Apfel weiterhin hilflos in der Luft. „Ernsthaft nimm ihn, war kostenlos. Ein verspätetes Weihnachtsgeschenk" Meine Augenbrauen wanderten ein Stück hoch: „Seit wann verteilen die öffentlichen Verkehrsmittel denn bitte gratis Essen?"
„Seit ein älterer Herr den Essenswaggon führt." Emil grinste mich schief an und fing an seine Ausbeute auf dem Bett zu verteilen. Es war nicht viel. Zwei kleine Packungen Chips, ein Snickers und drei Äpfel und irgendwelche Crackers, die ich nicht kannte. Beim Snickers blieb mein Blick hängen, was Emil anscheinend bemerkte.
„Wenn du den Apfel annimmst, bekommst du das Snickers gratis dazu." Witzelte er und schwang den Apfel in der Luft vor meiner Nase umher. Mein Magen zog sich zusammen. „Das ist nicht fair" sagte ich bockig und stur wie ein kleines Kind. Es nervte mich, dass er mich so in der Hand hatte. Wortwörtlich. Genau das wollte ich nämlich vermeiden. Ich drehte mich mit dem Rücken zu ihm und zog die Decke um mich, so dass sie um mich gerollt war. „Bitte lass mich einfach weiter schlafen, ich bin immer noch so unglaublich müde."
„Erst wenn du etwas gegessen hast. Und auch getrunken." Jetzt nahm er noch zwei Wasser Flaschen hervor.
„Hast du die etwa auch geklaut?" kam es grob von mir, obwohl ich eigentlich dankbar sein müsste.
„Nein, die hab ich bezahlt" Kam es diesmal etwas genervt von ihm zurück. „Denkst du ich kann dort vor dem Typen stehen und nichts kaufen, aber dann so viel klauen. Höchst unauffällig."
Mit einem Ruck stand er von meinem Bett auf und nahm alle Essware mit, legte sie auf den kleinen Tisch in der Mitte der Kabine und kam zurück zu mir. Er zog mich hoch und hielt mich an den Schultern fest, so dass ich in sein Gesicht blicken konnte. Ich war ihm wirklich schon lange nicht mehr so nahe und es liess mich schaudern. An meinen Armen und Beinen bildete sich eine Gänsehaut und mir war plötzlich nicht mehr so nach Schlafen.
„Du nimmst jetzt diesen Apfel hier.", Er zeigte auf den Tisch: „danach das Snickers und etwas Wasser musst du auch zu dir nehmen. Bitte" Das bitte kam eher ein wenig daher gesagt. So, als müsste er mich normalerweise nicht bitten, etwas zu tun. Als würde ich es einfach tun. Normalerweise. Aber ich bin nicht normal und das werde ich nie sein. Ich folgte seinem Blick abermals zu dem Tisch, mit dem schönen roten Apfel und das Wasser lief mir im Mund zusammen. Es war schrecklich sich selbst mit Essen zu foltern.
Ich hatte meinen Magen nicht wirklich zur Ruhe bringen können, um ihm vorzulügen ich hätte plötzlich keinen apettit mehr. Das Essen, welchers vor mir liegt, machte mich nur hungriger. Abermals versuchte ich mich hinzulegen um es einfach zu ignorieren. Wieder und wieder versuchte ich meine Augen zu schliessen, aber in meinem Kopf kamen immer Bilder auf, von dem besten Essen, dass mir einfiel. Ich fühlte mich so dumm. Wie kann man sich bloss so dumm benehmen, nur wegen etwas Essen.
Plötzlich setzte ich mich Kerzengerade hin und blickte Emil geradewegs in die Augen. „Na gut, aber ich warne dich, ich bin ein Fluch. Am besten trennen wir uns, sobald der Zug anhaltet." Dann schnappte ich mir etwas, von dem Essen, welches er geklaut hat und beruhigte meinen Magen damit.
Das Essen fühlte sich so gut an, als hätte ich seit mehreren Tagen gar nichts mehr verspeist. Es war nicht viel was wir hatten, aber es reichte gerade so über die Runden. Während wir die Kleinigkeiten verschlangen fragte mich Emil nach dem zweiten Kopfhörer und ich gab ihn ihm. Zuerst sagte er nichts und summte nur leise die Lieder mit. Ich war viel zu nervös etwas zu sagen. Jemandem meine Musik zu zeigen, war normalerweise ein absolutes Tabu für mich. Niemand mochte was ich hörte, es war viel zu speziell. Umso mehr überraschte es mich, dass Emil nahezu alle Songs aus meiner Playlist kannte. Sobald einer kam, den er nicht kannte, fragte er nach dem Songtitel und dem Interpret und das war dass einzige worüber wir redeten für die nächsten zwei Stunden.
Nach dem kurzen Essen haben wir uns beide auf ein Bett gelegt, ganz eng aneinander, weil das Bett so klein war. Es war eine komische Stimmung, nur so neben ihm u liegen und meine Playlist zu hören, aber gleichzeitig beinhaltete dass etwas ganz beruhigendes und angenehmes, dass ich es auf keinen Fall kaputt machen will. Und um ehrlich zu sein, fühlte es sich auch auf eine Art und Weise gut an, so nahe an ihm zu liegen und seinen Arm an meinem zu spüren, auch wenn ich nicht genau wusste, was das nun zu bedeuten hatte. Nach einer gewissen Zeit schlief ich wieder ein. Ich war so erschöpft vom Leben.
Irgendwann, als es draussen schon wieder ein dunkelte, wachte ich wieder auf. Emil lag immernoch eng neben mir und seine Augen waren geschlossen. Wenn er nicht schlafen würde, würden wir uns beide anblicken. Vorsichtig nahm ich den Kopfhörer aus meinem Ohr und legte ihn aufs Bett. Ich kramte meinen Rucksack hervor und suchte mein Geld. So leise ich konnte, verliess ich unser Abteil und lief in die Fahrende Richtung des Zuges. Draussen war die Sonne gerade noch so hinter den Bergen zu sehen. Es war ein dunkles orange, gemischt mit einem hellen rot. Am liebsten hätte ich Fotos davon gemacht.
Der Essenswaggon war tatsächlich nicht weit von unserem Abteil entfernt. Mit meinem Angesparten Geld, kaufte ich uns jeweils eine Portion Pommes mit besonders viel Curry-Sauce auf meiner Portion. Auch wenn niemand meine liebe zu Curry verstehen konnte, teilte ich sie nun mit Emil.
Ich brachte, die viel zu gut duftenden, Pommes zurück in unser Zimmer und hoffte, dass Emil noch schlief. Leider wachte er bei dem Geruch der Pommes auf und setzte sich Kerzengerade auf.
„Du kannst Gedanken lese". Waren seine letzten Worte, bevor er sich auf sine Portion stürzte. Fragend zeigte er mit seinem Finger auf meine Portion. Um genau zu sein auf den riesen Fleck Currysauce, der sich auf der einen Seite befand.
„Heiii, du hast deine Vorlieben und ich hab meine" sagte ich belustigt und fing an meine Pommes in die Sauce und danach in den Mund zu befördern.
Wir assen in Ruhe fertig. Es war eine unangenehm, wie auch eine angenehme Ruhe. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Sonst war mir doch auch nicht immer alles so angespannt vorgekommen. Ich war immer die Stille in der Ecke und hörte den anderen zu. Von mir wurde nie direkt erwartet, dass ich etwas sage. Man wollte schliesslich meine Meinung auch nie hören.
Und jetzt plötzlich musste ich die Gesprächs Führerin sein, dass war ein wenig zu viel auf einmal. Ich holte tief Luft und versuchte eine Frage in meinem Kopf zu bilden, irgendetwas zu finden, was ich ihn fragen könnte. Sonst hatten wir doch auch immer gute Gespräche gehabt. Bis mir auffiel, dass diese Gespräche hauptsächlich über Telefon oder nicht im Angesicht des anderen waren. Es war komplett neu, dass wir so lang in einem Raum alleine waren.
EineErrungenschaft über welche ich nicht genau wusste, ob sie positiv oder negativwar, oder wie sie enden würde..