Kapitel 2

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Ich lief zurück und klaubte meine Sachen zusammen. Auch wenn mein Zimmer das kleinste und dunkelste des Hauses war, so hatte es den Vorteil des Garagendaches, das sich direkt unter dem Fenster befand. Das Holz des tabakbraunen Fenstersimses war marode und splitterte; an den Seiten quoll es auseinander und ich bildete mir ein, den Abdruck meiner Hände darauf erkennen zu können von den unzähligen Malen, die ich sie darauf platziert hatte, um das Gleichgewicht beim Hinübersteigen halten zu können. Schon so viele Stunden meines Lebens hatte ich auf der Garage Zuflucht gefunden. Während der Phase des Schweigens zwischen meinen Eltern und den Zeiten des Zorns, die im Anschluss kamen, zog ich mich dorthin zurück. Richtig hässlich wurde es von meinem achtzehnten Geburtstag an. Meine Eltern hatten sich wegen eines Stück Kuchens dermaßen in die Haare bekommen, dass sie seitdem kein vernünftiges Wort mehr miteinander wechseln konnten. Es war, als wäre eine Naht aufgerissen und Tag für Tag strömten niederträchtige Worte und Gedanken heraus.

Beziehungen waren ein Desaster. Zwischen Ehepaaren im Speziellen und Leuten in meinem Alter im Besonderen. Bisher war ich entweder an jene hoffnungslosen Romantiker geraten, die dringend und schnell ein Mädchen suchten, das sie den Rest ihres Lebens an sich ketten konnten, oder an Typen, die sich ausprobieren wollten. An dieser Art der Beziehung zerbrach erfahrungsgemäß einer, während der andere der Selbstfindung ein Stückchen näherkam. Mich für den Fortschritt eines anderen zu opfern, sah ich nicht ein, so altruistisch war ich nicht eingestellt. Ich hatte das Gefühl, als würde das Herz nach der ersten vergeigten Beziehung in einem anderen Rhythmus schlagen. Schwerer und trauriger. Das würde ich mir vorerst nicht antun.

Ich kämpfte auch so schon an genug Fronten.

Kurz nach der denkwürdigen Feier begann ich mich zurückzuziehen. Situationen, in denen ich im Rampenlicht stand, oder die mich unter emotionalen Druck setzten, weil sie mit Erwartungshaltungen einhergingen, wühlten mich derart auf, dass ich sie mied. Anthropophobie mit Panikstörung lautete die offizielle Diagnose.

Wo normale Menschen Nähe suchten, wahrte ich Distanz. Wo manche sich in den Vordergrund drängten und um Aufmerksamkeit heischten, blieb ich im Dunkeln versteckt. Ich datete nie. Niemals. Der Erwartungsdruck würde mich umbringen.

Wenn gewisse körperliche Bedürfnisse zu groß wurden, öffnete ich eine App auf meinem Handy und dankte Gott für die Zeit, in der ich lebte. Sex war nichts Heiliges mehr, das erst nach einer Ehe geschah, es war Standard, alltäglich und durch die immerwährende und gesellschaftlich akzeptierte, Präsenz ein physischer Akt, den man peitschenschwingend oder romantisch ausleben konnte.

Ich schlüpfte aus der schwarzen Hose, die ich eben noch im Vintage Food zum kellnern getragen hatte und zog meine zerrissene Lieblingsjeans an. Außer im Restaurant arbeitete ich noch als Hostess auf Messen und als Barista in einem kleinen gemütlichen Coffeeshop namens Greens, ganz in der Nähe des Campus'.

Ab und zu kamen Kommilitonen ins Café, aber wir sprachen nicht miteinander. Seminare mit Gruppenarbeit oder Referaten schmiss ich. Kommunikationsversuche hatte ich von Anfang an abgeblockt. Sei es durch meine Mimik oder Gestik, in dem ich meine Kopfhörer bis zum Beginn des Unterrichts aufbehielt, was in meiner Generation hieß: Quatsch mich nicht voll.

Ich hatte hunderte Playlists erstellt.

Im Café und Restaurant war ich natürlich dem Kontakt zu den Kunden ausgesetzt, doch ich war eine Kellnerin, man sah mich, aber die wenigstens nahmen mich wahr. Die Gäste redeten mit mir, aber ich war austauschbar. Kaum jemand hatte wirklich hohe Erwartungshaltungen an mich. Ich brühte Kaffee auf oder hängte einen Teebeutel in eine Tasse. Da gab es kaum etwas, das ich falsch machen konnte. Zumal beide Lokale so lagen, dass ich entweder Studenten bewirtete, die keine Ansprüche an die Qualität des Getränks hatten, solange es instagramtauglich aussah, oder aus Fußkundschaft, die nach einem langen Tag in den Berliner Museen oder beim Sightseeing nur einen Happen Essen wollten. Dass ich entweder verkürzte Schichten oder wenige Tage in der Woche arbeitete, half, die Gespräche zwischen den anderen Mitarbeitern oberflächig zu halten.

Stardust in Your VeinsWhere stories live. Discover now