6 - CHAOS

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Als ich wieder zu mir kam überrollte mich eine geballte Welle an Emotionen. Mir schoss das Gefühl durch den Kopf, wie es damals als Kind gewesen war von einem Alptraum zu erwachen. Man war außer Puste vor lauter Angst und dankbar, dass nichts von dem gerade erlebten real war. Ich wurde mit dem Gegenteil konfrontiert. Wäre ich doch nur bewusstlos geblieben. Ich wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher zurück als das schlichte, einfache Nichts welches einen dort umgab.
,,Sie ist wach...Ellie, komm her'', hörte ich eine bekannte, jedoch fern wirkende Stimme sagen. Ich blinzelte vorsichtig, die Sonne schien mir kräftig entgegen. Meine Hände ertasten das Laub und die Erde unter mir und meine Augen erkannten schemenhaft Baumkronen über mir. Ein kalter Schauer lief mir über den ganzen Körper als ich realisierte wo genau ich mich befand. Ellie beugte sich über mich. Ihr Blick war leer und doch verstand ich sie ohne jegliche Worte. Sie fiel mir in die Arme und drückte sich an mich während ihr erneut die Tränen aus den Augen schossen. Oh Ellie wie viel magst du an diesem Tag nur geweint haben? Bestimmt Eimerweise. Ich spürte ihren warmen Atem an meiner Haut und klammerte mich an dieses kleine Stück Leben und Vertrautheit in all diesem Chaos.
Ich schloss kurz die Augen und sammelte meine Gedanken.
,,Ist Carlo schon aufgetaucht?''
,,Nein. Wir sind bei dir geblieben...und bei ihm'', murmelte Piet, der an einem Baum gelehnt ein Stückchen weg kauerte.
,,Keiner von uns hat ein Handy. Wie sollen wir ihn erreichen?'', versuchte ich eine Lösung zu finden. Ablenkung war das einzige was half auch wenn die Leiche unseres Freundes nur wenige Meter vor meinen Augen lag. Es war krank. Der ganze Tag war krank.

,,Vielleicht hat er ja alle Handys'', mischte sich Ellie ein. 

,,Wieso sollte er..-'',versuchte ich ihn zu rechtfertigen doch sie redete dazwischen in einem ängstlichen, zitternden Ton.
,,Was ist wenn er etwas damit zu tun hat oder ihn vielleicht sogar ermordet hat? Dann hat er die Handys genommen damit wir keine Hilfe rufen können. '' , und prompt lenkte sich der Verdacht gegen eine neue Person.
Ich schluckte. Das Blut, Timurs Blut, klebte immer noch an meinem T Shirt und auch an Piets Klamotten. Wollte er uns einen Mord anhängen? Was wenn die Polizei in diesem Moment eintreffen würde? Sie würden die Leiche und das Blut an unseren Klamotten sehen. Genügend DNA hatten wir wahrscheinlich auch am Tatort und Timurs leblosen Körper hinterlassen. Es wäre wahrscheinlich eine eindeutige Sache gewesen. All das entpuppte sich als eine Falle zugegebener maßen, eine verdammt schlaue Falle. Ich versuchte mich in Carlo und sein Vorgehen reinzudenken. Er brachte Timur, wie auch immer, um, schlich sich zu Piet und danach zu Ellie und mir um uns die Handys abzunehmen. Während er sich bei uns aufhielt schmierte er etwas Blut an mein T-Shirt um den Verdacht auf mich zu lenken und eine Diskussion zu entfachen. Es lief demnach also alles nach Plan für ihn. Wir waren wie die Marionetten unbewusst an seine imaginären Fäden gebunden und spielten sein Spielchen mit. Die Wut kochte in mir hoch und überdeckte so die Trauer und den Schmerz den ich fühlte. Alles was ich in diesem Moment tief in meiner Brust fühlte war abgrundtiefer Hass. Im nächsten Moment war ich auf den Beinen.
,,Sachte Kleine, du warst gerade Ohnmächtig. '', kam es von Piet der mich kurz musterte.
,,Wir suchen jetzt diese kleine Ratte Carlo.'', bestimmte ich unser weiteres Vorgehen, was keiner der beiden ablehnte.
,, Und wo fangen wir an zu suchen?'', fragte Ellie.
,, Er kann nicht weit sein. Immerhin hab ich noch die Schlüssel.'',ich konnte mir ein höhnisches Grinsen nicht verkneifen als ich triumphierend den Schlüssel hochhielt. Ich stampfte los, weg von Timurs lebloser Hülle, hin zu seinem noch quicklebendigen Mörder.
,,Wenn ich gerade jemanden ermordet habe, wohin gehe ich dann?'', stellte ich mir selbst eine Frage und hatte auch kurz darauf die Antwort parat.,,Möglichst weit weg vom Tatort und dahin wo viele Menschen sind.''
,,Die Innenstadt?''
,,Genau, die Innenstadt, Ellie.''
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich fieberte richtig auf den Moment hin ihn wiederzusehen um mich an ihm rächen zu können. Keiner von uns dachte wirklich darüber nach wie wir aussahen. Abgesehen von der Blässe und den leeren Blicken war da nämlich auch noch das Blut an Piet's und meinen Klamotten. Voller Adrenalin und Tatendrang geladen war das natürlich das Geringste woran ich in dieser Situation dachte. Spätestens die abgeschreckten Blicke der Leuten teilten mir mit, dass etwas nicht mit uns stimmte und das definitiv öffentlich einsehbar war.

,,Scheiße, das Blut.". erkannte Ellie das Problem als erste. Sie gab mir ihr Flanelhemd welches ich dankbar überwarf und zuknöpfte, obwohl wir bestimmt schon 20°C hatten (Tendenz steigend). Wir mussten Piet etwas finden womit er die Auffälligen roten Flecke auf seinem Oberkörper verteilt zu verdecken und das verdammt schnell denn so wie die Leute uns misstrauisch anschauten dauerte es nicht mehr lange bis die Polizei hier antanzte.

,,Ellie siehst du den Laden da?", ich hatte wie immer einen Plan-B parat. ,,Du spazierst da jetzt rein und klaust was. Am besten so dass es Piet's kompletten Oberkörper verdeckt, also etwas großes. Kriegst du das hin?", Sie schluckte, nickte dann aber doch. Wir mussten alle unseren Teil dazu beitragen und ein Opfer bringen. Sie ging rein, wir warteten um die Ecke und sahen uns in den Straßen paranoid immer, auf der Suche nach Carlos Gesicht oder doch der Polizei. Ich wusste nicht mal was mir in dieser Situation mehr Angst eingejagt hätte.

,,Denkst du Ellie schafft das?", Piet's Stimme klang rauer als sonst.

,,Klar. Sie mag vielleicht schwach wirken aber wenn es drauf ankommt ist sie noch immer stark geblieben."

Seine dunkelblonden Haare fielen ihm in sein bleiches Gesicht, es war das erste Mal dass ich ihn näher betrachtete, da es unser erstes richtiges Gespräch unter vier Augen war. 

,,Ich mache mir nur Sorgen um sie. Ich mag sie schon irgendwie und...ihr soll einfach nichts passieren.", er wandte sich meinem Blick ab. Wären wir nicht in dieser beschissenen Situation gewesen hätte dieser Satz mir ein Lächeln entlockt. Es war nicht selten, dass Piet Interesse an einem Mädchen zeigte jedoch nie an solchen wie Ellie. Meistens waren sie einfach verdammt beliebt und davon war meine beste Freundin einfach das krasse Gegenteil.

Die Ladentür öffnete sich und Ellie kam heraus. Die ersten Meter ging sie, dann wurden ihre Schritte immer schneller bis sie auf uns zu rannte.

,,Weg hier!"

PINK. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt