2 - SHARDS

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Hätte ich nur gewusst was Timur vor hatte. Alles wäre anders gekommen. Alles. Timur war wie Marshmallows. Am Anfang liebte man sie und könnte sich vorstellen sein ganzes Leben lang nur Marshmallows zu essen, doch nach einer Weile hasste man sich selbst dafür dass man sie überhaupt angerührt hat. Man ist kurz vorm kotzen, fragt sich warum man es nicht früher gemerkt hatte. Ja, warum hatte ich es nicht früher gemerkt? Er liebte mich einfach nicht mehr und ich verabscheute mich dafür ihn je so nah an mich gelassen zu haben dass er mir derartig weh tat.
Es war der 09. Juni. Timur hatte mir eine kurze Nachricht geschickt, ich solle doch gegen halb 4 an die alte Bushaltestelle kommen. Es war der Platz an dem wir uns das erste Mal geküsst hatten. Ich fand das ganze super kitschig aber auch irgendwie süß. Natürlich erwartete ich etwas romantisches, wenn er schon diesen speziellen Platz auswählte. Er wusste dass ich jegliche Art von übertriebener Romantik verachtete weshalb ich gespannt war was er geplant hatte. Ich hatte mir ein großes T Shirt und eine graue, mit Nieten besetzte Hotpants übergeworfen und meine damals noch blonden Haare zu einem Dutt gebunden. Es konnte losgehen. Ich machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Mein Herz pochte vor Vorfreude. Voller Erwartungen ging ich an diesem Tag dem Anfang vom Ende entgegen ohne es zu wissen. Als ich ankam saß Timur da wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
,,Lucy.'',er sah auf. Sein Blick war leer, er starrte durch mich hindurch. Ich bemerkte sofort dass meine Ansprüche an dieses Treffen zu hoch waren und nahm hin dass es wohl eher weniger erquicklich wird.
,,Hey...was ist los? Du siehst irgendwie blass aus. '', seine moosgrünen Augen wirkten blasser als sonst und seine lockigen braunen Haare ragten chaotisch in alle Richtungen.
,,Es ist nichts. Also irgendwie ist da schon was,aber..''
,,Du kannst mit mir über alles reden. Das weißt Du doch hoffentlich. '', ich legte ihm aufmunternd eine Hand auf den Rücken. Timur zuckte zusammen und starrte mich auf einmal entgeistert an. Er schlug sofort meine Hand von sich und schubste mich grob von seinem Körper weg.
,,Nein kann ich eben nicht! Ich kann nicht mit dir reden und genau das ist das Problem! ''
Ich prallte  mit einem dumpfen  Geräusch gegen die Wand der Bushaltestelle und blickte verängstigt zu ihm auf. Noch nie in all der Zeit hatte ich ihn auch nur annähernd wütend erlebt. Er war immer die Ruhe selbst gewesen, hatte bei jeder Kleinigkeit eine Engelsgeduld gehabt. Wo war dieser Mensch geblieben? Wo war der Timur in den ich mich verliebt hatte?
,,Was...was soll das? Wieso hast du mich dann hier hergerufen wenn du eh nicht mit mir reden kannst mh? '', ich war aufgebracht und ich hatte jeden Grund dazu und das sollte er auch spüren.
,,Es ist aus, Lucy. Deswegen. Deswegen bist du hier. Deswegen bin auch ich hier. Nur um dir das zu sagen. ''
Bevor ich antworten konnte war er schon fort. Ich saß vermutlich noch eine Weile dort. Gelähmt von seinen Worten und dem Stoß den er mir verpasst hatte. Wobei mich unser Gespräch viel mehr verletzt hatte. Das dumpfe Gefühl in meinem inneren ließ mich nicht los. Ich wünschte mir einfach nur zu weinen um dieses innere Zerreißen loszuwerden.
Es ist vorbei. Es ist vorbei und er nennt mir nicht mal einen Grund. Er hat mich einfach so in Ungewissheit zurückgelassen. Als ich aufstand konnte ich noch genau fühlen wie er damals hier meine Hand nahm und mich mit diesem Warmen Lächeln angrinste. Ich kniff die Augen zusammen. Raus. Aus. Meinem. Kopf. RAUS.
Es dauerte Tage bis aus dem emotionalen Schmerz Leere wurde. Ich wusste nicht was erträglicher war, ein konstantes Gemisch aus Wut, Trauer, Vergangener Momente oder doch das schlichte Nichts in einem, dass alles andere wie ein schwarzes Loch verschluckte.
Ich fand mich wenige Zeit später im Chemieraum wieder neben Ellie. Durch die beschmierte Schutzbrille sah ich verschleiert wie Ellie mehrere Substanzen zusammenmischte und gespannt beobachtete wie sich die Farbe änderte. Schräg rechts von uns kombinierte Piet die falschen Chemikalien miteinander und beschwerte sich über die fehlenden Resultate die bei allen anderern zu sehen waren.
,,Das Fach ist halt suuuuuuper unnötig'', er legte mit einem Seufzer seinen Kopf in den Nacken.,,Mach du das Timur. Du bist hier der, der die gute Note will, richtig?''
Timur nickte nur abwesend, stand auf und behob das ursprüngliche Problem.
,,Hey champ was ist denn los? Heute so still?'', es war das erste Mal dass ich selbst Piet besorgt erlebte. Er bekam keine Antwort. Timur starrte apathisch nach vorne. Ich schwor mir ihn nicht weiter zu beobachten. Es tat keinem von uns beiden gut.
,,Carlo?'',ich drehte mich um.,,Ist das richtig so?'', ich hielt ihm unser mittlerweile blau gefülltes Reagenzglas vor die Brillengläser. Er war immer mein Ansprechpartner wenn es um schulische Dinge ging. Bis jetzt hatte er auf alle meine Fragen eine Antwort gefunden.
,,Ja, das ist richtig. Jetzt muss noch die letzte Flüssigkeit rein.'',ich nickte und schüttete sie dazu. Der Inhalt des Reagenzglases färbte sich knallpink.
,,Du, Carlo? Kann ich nach der Schule mit dir reden?''
,,Klar. Ist alles in Ordnung? '', wieder kommentierte ich es mit einer Kopfbewegung. Vielleicht wusste er ja was Timur mir sagen wollte. Immerhin ist er auch irgendwie ein Kerl.

,,Also. Worum geht es?'', Carlo schaute von seinem Handy auf und packte es kurzerhand weg. Wir saßen auf der Treppe vor der Schule, der Schatten wirkte erfrischend auf meiner hellen Haut. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte, jedes Detail. Er nickte, hörte zu.
,,Hmm...es war schon sehr eindeutig was er gesagt hat Lucy. Vorallem ist er ja fast handgreiflich geworden, das geht gar nicht.''
Ich starrte Carlo desillusioniert an. Ich hatte gehofft er würde es mir logisch erklären so wie ein Problem bei einer Matheaufgabe,aber das tat er nicht.
,,Das ist alles?''
,,Ich wünschte ich könnte dir helfen aber ich glaube es ist das beste wenn du dich erstmal von ihm fernhälst. Er tut dir definitiv nicht gut.''
Ich schluckte, er hatte wohl Recht. Er tat mir nicht gut, aber trotzdem war er alles was ich wollte.

PINK. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt