Er stand an der Seite, im Schatten, hinter einem Baum. Seit drei Jahren kam er hierher und immer wieder stellte er sich an diese Stelle. Wie in den letzten Jahren zuvor saß sie auf der gleichen Bank. Sie hatte ihr Versprechen wahr gemacht. Sie kam tatsächlich hierher.
Unruhig trommelte er mit den Fingern gegen die kalte Baumrinde. Seine Gefühle fuhren Achterbahn. Wenn sie wirklich wegen ihm hier war,...
Das hatte er nicht verdient. Er hatte sie verlassen. Er hatte das einzige was im Leben zählte verlassen um,...
Ja, um was? Verächtlich schüttelte er den Kopf über seine falschen Entscheidungen. Er war einem Leben nachgejagt, dass es nicht wert gewesen war. Der Held von damals war verblasst. Der jugendliche Leichtsinn war einer traurigen Lethargie gewichen.
Müde schloss er kurz die Augen. Er hatte sich damals so frei und unbesiegbar gefühlt. Die Welt hatte er verändern wollen. Richard hatte nach etwas höherem gestrebt, er hatte etwas besonders sein wollen, etwas besonders schaffen wollen. Dass er das wertvollste schon längst gehabt hatte, hatte er zu spät erkannt.
Vor drei Jahren war er das erste mal hierher gekommen. Er wusste nicht genau, warum. Die Hoffnung, dass Sophia tatsächlich hier sein könnte, war gering gewesen, immerhin waren vier lange Jahre vergangen. Vielleicht war er nur hierher gekommen um darüber zu sinnieren, was hätte sein können.
Er erinnerte sich an das erste Wiedersehen. Traurig hatte sie am See gestanden und gezittert vor Kälte. Sie hatte sich kaum verändert. Sie war immer noch so wunderschön, wie er sie in Erinnerung hatte. Nur ein trauriges Glitzern hatte sich in ihre Augen geschlichen. Die Augen die damals mit so viel Freude und Liebe angesehen hatten, strahlten eine unterschwellige Traurigkeit aus.
Es hatte ihn in den Fingern gejuckt zu ihr zu gehen, sie zu trösten und ihr zu sagen, dass alles gut werden würde. Doch Richard hatte sich nicht getraut zu ihr zu gehen. Die Scham darüber, dass er den falschen Weg eingeschlagen hatte, die Scham darüber, dass er ihr weh getan hatte, auch wenn sie ihm nie einen Vorwurf gemacht hatte, ließ ihn diesen Schritt nicht gehen.
Er hatte damals gespürt und gesehen, wie etwas in ihr zerbrach. Die Angst, dass sie über all die Jahre still gelitten hatte, machte ihm eine Rückkehr unerträglich.
Die Erinnerungen an Sophia hatten ihn nie losgelassen, immer wieder hatte er sie vor Augen gehabt, wie sie weinend vor ihm stand. Hatte den letzten Kuss immer wieder auf seinen Lippen gespürt.
Die Erleichterung war groß gewesen, als er erfuhr, dass sie ihre Träume realisiert hatte! Sie hatte all das getan, was sie damals hatte tun wollen. Sie hatte studiert, war Ärztin geworden. Seine kleine Sophia war fertig mit dem Studium, dass sie mit Bravour bestanden hatte und fing gerade an zu arbeiten.
Aber eins hatte sie nie getan. Sie hatte nie geheiratet. Zumindest hatte er darüber nichts raus bekommen. Sie trug immer noch ihren Mädchennamen.
War es wegen ihm? Dachte sie noch an ihn oder war sie nur zufällig hier? Konnte es sein, dass ihre Liebe so stark war, dass sie all die Jahre überdauerte?
Er bewegte sich leicht um einen besseren Blick auf sie zu erhaschen. Seine Hände waren kalt und kribbelten. Wieso hatte er zu so einer Jahreszeit weggehen müssen? Wieso nicht an einem lauen Sommerabend? Der Wind nahm zu und Richard sah über sich. Die Äste bogen sich gefährlich und schlugen wild um sich. Als würden sie sagen wollen, dass er aus dem Schatten treten sollte.
Aber konnte er das? Konnte er das nach alldem, was er getan hatte? Sieben Jahre waren eine lange Zeit. Er war ein anderer als der, der damals mit Sack und Pack losgezogen war.
Er hatte keine Heldentaten vollbracht. Er hatte überlebt, das war es. Doch so viel Leid hatte er gebracht. Immer noch hörte er die Schreie der Verwundeten, seine eigenen Schreie um Hilfe.
Heute war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Er bekam eine kleine Rente, war als dienstuntauglich eingestuft, stand ohne Pläne da, ohne irgendwas. Er hatte damals Jura studiert, aber durch seine Unbedachtheit nicht zu Ende gebracht.
So konnte er ihr nicht gegenüber treten. Er war ein Nichts im Gegensatz zu ihr! Sie hatte sich ein Leben abgebaut, da konnte er nicht mithalten.
Die Sehnsucht nach ihr, nach seinem Zuhause war groß, doch er konnte sich selbst nicht verzeihen. Wie sollte sie es dann können?
Richard machte einen Schritt zurück und stolperte über einen Stein. Fluchend hielt er sich am Baum fest und sah erschrocken zu Sophia rüber. Die hatte den Kopf gedreht und sah in seine Richtung.
Richard spürte wie sein Herz schneller schlug, um dann ganz auszusetzen. Wie im Zeitlupentempo nahm er wahr, wie sich ihre Augen weiteten und sie aufstand. Ihr Blick wirkte ungläubig.
Zögernd, als würde sie nicht glauben was sie da sah, ging sie ein paar Schritte in seine Richtung, minimierte den Abstand zwischen ihnen. Richard konnte sehen, wie die Erkenntnis sie traf, als ihr bewusst wurde, dass er tatsächlich dort stand.
Doch wenn er damit gerechnet hatte, dass sie sich wütend von ihm abwenden würde, hatte er weit gefehlt. Richard sah, wie Sophia anfing zu laufen, wie sie immer schneller wurde und auf ihn zu rannte. Tränen liefen ihr übers Gesicht.
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Es braucht keine Worte
Short Story„Liebe heißt, dass du niemals sagen musst, dass es dir leid tut." -Erich Segal