Ich starre den Mann an und plötzlich bin ich wieder 8 Jahre alt.
Ich kauere in einem halbwegs trockenem Winkel zwischen den Häusern des Armenviertels. Ich starre hinaus auf die Gasse. Der Regen verwandelt sie in braunen Schlamm. Ich habe meine Arme um meine Beine an meinen Körper gezogen. Das ist das Letzte, was ich gegen die Kälte tun kann. Es ist noch nicht einmal Winter und trotzdem habe ich das Gefühl, als würde ich jeden Moment erfrieren. Das wird auch geschehen, wenn ich nicht bald einen wärmeren Unterschlupf finde. Wobei ich mich frage, ob das nicht sogar besser wäre, als an Hunger zu sterben. So sitze ich eine ganze Weile da, bis ich irgendwann einschlafe.
Mitten in der Nacht wache ich wieder auf. Es hatte aufgehört zu regnen. Ich schlage die Augen auf und erstarre vor Schreck. Um mich herum sind nicht mehr die schäbigen, kleinen Hütten des Äußeren Rings, ich stehe mitten in einem Wald. Und noch etwas anderes stimmt nicht. Ich kann plötzlich gestochen scharf sehen, obwohl es Nacht ist und das Licht des vollen Mondes kaum durch das dichte Blätterdach der Bäume dringt. Ich will aufstehen, schaffe es aber nicht. Auch mein zweiter Versuch scheitert. Ich drehe den Kopf und sehe an meinem Körper hinunter. Ich traue meinen Augen nicht. Mein Körper ist nicht mehr der eines kleinen mageren Mädchens, sondern der eines Tieres. Um genau zu sein der eines Wolfes. Jetzt erst fällt mir auch auf, dass sich nicht nur meine Sicht verbessert hat, sondern auch mein Gehör und mein Nase. Noch gelähmt vor Schock, schleppe ich mich irgendwie zu einer Pfütze in meiner Nähe. Als ich in das Wasser blicke, schaut mir eine Wölfen mit schwarzem Fell und strahlend silbernen Augen entgegen.
Überwältigt von Angst und Hilflosigkeit, rolle ich mich auf dem Waldboden zusammen und wimmere. So wäre ich wahrscheinlich auch noch die ganze Nacht liegen geblieben, aber plötzlich meldete sich mein Hunger. Alles was jetzt geschah, konnte ich im Prinzip nicht lenken, ich tat es einfach aus Instinkt heraus.
Am Ende hatte ich schließlich einen fetten Hasen gefangen und fraß ihn komplett auf. Das erste Mal seit Wochen bin ich satt und verflogen sind alle Sorgen und Gedanken daran, ob ich mich je wieder ein Mensch sein würde und wie ich mich überhaupt in diese Gestalt verwandelt hatte. Ich suche mir einfach nur ein trockenes Plätzchen unter einer großen Wurzel und falle in einen ruhigen und erholsamen Schlaf.Mein Schreck über die Verwandlung des Mannes verwandelt sich langsam in Überraschung und Unglaube.
Seit dieser ersten Verwandlung kann ich mich immer, wenn ich will, in einen Wolf verwandeln, aber ich habe nie auch nur von jemandem gehört, der das auch kann. Ich dachte immer,es gibt niemanden, der genau so ist wie ich. Anscheinend lag ich mit dieser Annahme falsch.