Welkes Blatt

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Jede Blüte will zur Frucht,
Jeder Morgen Abend werden,
Ewiges ist nicht auf Erden
Als der Wandel, als die Flucht.

Auch der schönste Sommer will
Einmal Herbst und Welke spüren.
Halte, Blatt, geduldig still,
Wenn der Wind dich will entführen.

Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
Lass es still geschehen.
Lass vom Winde, der dich bricht,
Dich nach Hause wehen.

~Hermann Hesse~

„Okay, ich werde Ihnen noch einmal vorlesen, was genau Sie gesehen haben. Falls Ihnen noch etwas einfällt können Sie mich gerne unterbrechen. Aber machen Sie sich keinen Druck."

Immer noch aufgekratzt nickte ich und drückte geistesabwesend Chris' Hand. Seit wir vor einer dreiviertelstunde mein Hotelzimmer betreten hatten war er mir nicht von der Seite gewichen, wofür ich ihm unglaublich dankbar war.

„Also, Sie sind um 20:43 Uhr zusammen zu diesem Hotel zurückgekommen. Als Sie auf dem Flur waren ist Ihnen nichts Aufgefallen. Auch als Sie die Tür aufgeschlossen haben war alles gewohnt. Dann haben Sie Ihr Zimmer betreten, in dem Ihr gemeinsames Gepäck stand.

Als Sie dann das Licht angemacht haben sind Ihnen die folgenden Umstände aufgefallen: Das Fenster, welches sich an der Rückfront befindet, stand offen und war zu teilen eingeschlagen. Die Splitter befanden sich am Boden des Zimmers.

Ihr Bett war verschoben, der Schreibtisch umgestoßen. Ihre Koffer waren aufgebrochen, die Kleidungsstücke und der weitere Inhalt im Raum verteilt. An einer Wand befand sich der folgende Schriftzug: Nichts Fragen mehr. Letzte Warnung!

Sie haben umgehend die Rezeption und die Polizei informiert und nichts an dem Raum verändert. Ihr erster Eindruck ist, dass nichts fehlt.."

„Ja, so war es", murmelte ich leise und nickte.

Chris neben mir stieß ebenso einen zustimmenden Laut aus. Im Gegensatz zu mir war er die Ruhe selbst.

„Haben Sie eine Ahnung, wer das sein könnte?"

Ich schüttelte den Kopf.

„Mir persönlich fällt niemand ein."

„Mir auch nicht", bekräftigte Chris mit kräftiger Stimme.

„Okay, darf ich fragen, woran Sie zuletzt gearbeitet haben, Herr Dumort? Sind Sie bei Ihrem letzten Roman auf irgendeine Organisation oder ähnliches gestoßen, die zu so etwas fähig wäre?"

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. War da etwas gewesen?

„Nein, ich habe mich mit dem brasilianischen Dschungel auseinandergesetzt, Organisationen jeglicher Art habe ich dabei ausgelassen. Und selbst wenn, die Charaktere meiner Geschichten und zumeist auch die Instanzen, bei denen sie angestellt sind, sind frei erfunden."

Der junge Polizist uns gegenüber nickte und notierte sich etwas in seinem Notizbuch.

„Wie sieht es bei Ihnen aus, Herr Martin? Ist Ihnen in letzter Zeit etwas besonderes aufgefallen?"

„Nein, es war alles wie immer."

„Okay, dann danke ich Ihnen für Ihre Auskunft. Sollte Ihnen aber noch irgendetwas einfallen, dann kontaktieren Sie mich doch bitte über Ihre Agentin. Ich werde sie ebenfalls regelmäßig über den Stand der Ermittlungen informieren."

Wir schüttelten die Hände, dann verließ er das Zimmer. Aufgrund der Untersuchungen waren wir für die Befragung in Chris Raum ausgewichen. Jetzt saßen wir auf seinem Bett, der Stuhl des Ermittlers immer noch uns gegenüber.

Müde ließ ich meinen Kopf auf Chris' Schulter sinken und seufzte. All die Fragen und die Aufregung machten mich fertig.

„Gott, ich bin so alt."
Chris Schultern zuckten während er lachte.
„Was? Das ist die Wahrheit. Da gibt es nichts zu lachen."

Mit einem kleinen Lächeln hob ich den Kopf von seiner Schulter.
„Das kam nur so unerwartet."
Auch er lächelte mich an.

„Was hätte ich denn sagen sollen? Tränen, Schluchzen, das ganze Programm?"

Chris schüttelte den Kopf.
„Nein, nein. Obwohl, so ein paar unterdrückte Schluchzer..."
Kopfschüttelnd stieß ich meine Schulter gegen seine.

„Es kann ja nicht jeder so gelassen bleiben."

Seine einzige Reaktion bestand aus einem Schulterzucken. Dann seufzte er und schloss die Augen.

„Weißt du schon, wo du heute Nacht bleibst?"

Ich schloss ein weiteres mal die Augen.

„Ich denke, dass Sofia dafür sorgen wird, dass ich ein anderes Zimmer bekomme. Warum?"

Chris fuhr sich durch die Haare.

„Nur so. Falls es nicht funktioniert oder du nicht allein sein willst kannst du auch bei mir übernachten."

Überrascht blinzelte ich. Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Ich denke nicht, dass das funktionieren würde. Du hast keine Couch und das Bett ist nicht gerade sehr breit."

Chris betrachtete mich mit schief gelegtem Kopf.
„So schmal ist es jetzt auch nicht. Außerdem..."
Meine Augen verzogen sich zu schmalen Schlitzen.

„Außerdem...?"
Verschmitzt grinsend rieb er seinen Nacken.

Doch bevor ich etwas aus ihm herauspressen konnte schob jemand die angelehnte Zimmertür auf.

„Elias, bist du hier?"

Ich drehte mich etwas weiter zum Eingang und schenkte Sofia ein müdes Lächeln. Sie erwiderte es vorsichtig, dann wanderte ihr Blick zu Chris, dem sie zunickte.

„Ich habe mit der Verwaltung geredet. Sie würden dir gerne ein anderes Zimmer anbieten, aber anscheinend gab es vor ein paar Tagen einen Wasserrohrbruch. Die Schäden sind noch nicht in allen Zimmer behoben worden und die restlichen Räume sind schon vergeben.

Wenn du willst kann ich in einem anderen Hotel anrufen oder du schläfst bei mir. Ich habe noch ein freies Sofa."

Chris Hand schien sich für einige Momente fester um meine zu legen, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

„Mein Angebot steht immer noch."

Neugierig ließ Sofia ihren Blick zwischen uns hin und her wandern nachdem Chris mich an seine vorherigen Worte erinnert hatte. Zögernd blickte ich nach unten, dann schenkte ich Sofia ein freundliches Lächeln.

„Ich denke, dass ich heute Nacht hier bleibe. Das ist doch bestimmt möglich, nicht wahr?"

°

Eine weitere halbe Stunde später saß ich in meinem Pyjama auf Chris Bett und starrte konzentriert auf meinen Laptop, während ich versuchte herauszufinden, ob die Einbrecher vielleicht etwas daran verändert hatten.

Kurz zuvor hatten wir unser Gepäck nämlich aus meinem Zimmer holen dürfen. Chris saß auf der anderen Seite des Bettes und schien ein Spiel auf seinem Handy zu spielen.

Seufzend vertiefte ich mich wieder in meine Dokumente. Als ich ganz sicher war, dass nichts verändert worden war, schaltete ich das Gerät aus und stellte es vorsichtig auf die Kommode gegenüber dem Bett.

Dann streckte ich mich und schlüpfte unter die Decke. Auch Chris legte sein Handy beiseite. Ohne das Licht der beiden Geräte war es stockduster in unserem Zimmer. Man hörte eine ganze Weile nur unseren Atem und das Rascheln der Decke, wenn sich jemand drehte.

Ich lauschte eine ganze Weile lang nur diesen Geräuschen bis ich nach einer gefühlten Ewigkeit einschlief. Dabei registrierte ich, dass Chris noch wach sein musste. 

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It's me again. Ich hasse Kunst.

Over and Out, _Amnesia_Malum_

21/02/2019

PerlenlebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt