Pieces of moonlight

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Nun saßen wir da und betrachteten den Vollmond, Seite an Seite, beide vom Schicksal zusammengeführt. Wir kannten uns schon lange, hatten immer mal wieder ein paar Worte gewechselt, nicht mehr und nicht weniger. Er, ein Trickser, ein Lügner, Verräter, Betrüger, ein Dieb und ich, die Tochter meines Vaters. Mein ganzes Leben lang war ich die Tochter meines Vaters gewesen und wo auch immer ich hinging, sagten die Leute "Sieh mal, da ist die Tochter von...", "Schau nur, die Tochter eines Mannes von Welt", "Seht her, da ist die Tochter eines Mannes mit einem tonnenschweren Erbe, was sie zu stemmen versucht, um jedem alles Recht zu machen". Letzteres war zugegeben das, was ich dachte. Aber niemand bemerkte es. Alle sahen nur die Tochter eines Mannes von  Welt, sodass ich nie wirklich als eigenständige Person wahrgenommen wurde. Alle sahen in mir nur die Tochter meines Vaters - außer er vielleicht. Der Mann neben mir. Der Trickser, der Lügner, Verräter, Betrüger, der Dieb. Vielleicht würde er ja hinter die Fassade der 'Tochter von...' sehen, vielleicht war er der einzige, der mich je so sehen würde. Als die, die ich war. Verstohlen musterte ich ihn von der Seite. In seinen Augen spiegelte sich das Mondlicht, auf den Lippen ein zufriedenes Lächeln. Ob ihm auch solche Gedanken durch den Kopf schossen, wie Sternschnuppen über den Himmel?

"Es ist eine schöne Nacht", stellte er fest. Ich runzelte die Stirn. Vielleicht hätte ich die Nacht als klar beschrieben, als kalt oder wolkenlos. Aber als schön? Eine interessante Ausdrucksweise, dachte ich.
" Ja. Schön", antwortete ich und kehrte in meine Gedankenwelt zurück.

"Wie war dein Tag?"
Ich musterte ihm von der Seite. Was das der Versuch, ein Gespräch anzufangen? Das verwirrte mich. Normalerweise war er sehr ruhig und redete nur selten, fasste ich das als Fortschritt auf und sprang darauf an. "Das übliche eben. Ein paar Meetings mit den Vorgesetzten, einen Haufen Arbeit und einen Termin mit der Presse. Deiner?"
"Ziemlich ereignislos."

Schweigen. Kein peinliches Schweigen, sondern ein nachdenkliches Schweigen, in dem jeder seinen Gedanken nachging. Und so war es gut. Keine gezwungene Konversation, keine unangebrachten Scherze. Nur er, ich und die Sterne.
Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass mich endlich jemand als Person wahrnahm, und selbst wenn er es war, der Trickser, Lügner und Betrüger, dann sollte es eben so sein. Doch mir war auch klar, dass ich ihn zunächst als eigenständigen Menschen und nicht als Trickser, Lügner und Betrüger ansehen musste. Meine Vorurteile ihm gegenüber ablegen musste, wie einen alten Seidenschal, wenn ich ihn sehen wollte. Den Mann, der hinter seiner Fassade stand. Der, der er war.

"Was machst du, wenn das hier vorbei ist?", fragte er. Es fühlte sich an, als hätten seine Worte mich aus dem Chaos in meinem Kopf, den Wunsch nach Nähe, den Selbsthass und die Verzweiflung gerissen und mich ins hier und jetzt zurückgebracht. Zurück in das Mondlicht, die Bank, das Meer von Sternen.
Seine Frage machte mich stutzig.
"Meinst du, wenn wir wieder rein gehen?"
"Nein. Ich meine, was machst du, wenn der Sturm um dich herum sich gelegt hat und du endlich an die Reihe kommst. Was machst du dann? Was für Träume hast du?"

Träume. Ein Wort, dass ich lange nicht mehr gehört hatte. Träume kannte ich nur nachts, in meiner Welt war kein Platz für die Spinnereien eines Kindes, ich musste erwachsen denken und handeln. Realistisch. Träume waren nicht realistisch.
Also schüttelte ich den Kopf, zog meinen Schal enger und flüsterte: "Ich weiß es nicht. Aber um ehrlich zu sein, ich glaube, der Sturm wird sich nie legen. Es wird immer Leute geben, die was von mir wollen, an mir ziehen und zerren."
"Und weißt du, was ich glaube?" Er legte die Beine übereinander. "Dass du einfach nur lebst, ohne richtig zu leben. Du hast deine Routine, deine Beständigkeit, versuchst alle Erwartungen zu treffen, gehst zu Meetings, arbeitest. Und wofür? Für noch mehr Arbeit, Meetings und was auch immer ihr da sonst noch in euren Büros macht?" Er lachte kehlig."Dir liegt die Welt zu Füßen. Du kannst alles tun, was du willst, und was auch immer es ist, die Welt wird es dir mit Kusshand geben. Du bist frei, aber schränkst dich selbst ein. Du hast aufgegeben. Aufgegeben zu träumen, zu lieben, zu lachen", Er sah mir in die Augen, " zu leben."

Pieces || OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt