EINS - ١

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LAMEES| Nervös wartete ich darauf, dass meine Mutter meinen Anruf abnimmt. Es piept dreimal, gerade nehme ich es vom Ohr, als ich ihre Stimme wahrnehme.

„Çiçamîn.", sprach sie. Ich hörte ihr Lächeln raus, weshalb ich auflächelte und eine Strähne um meine Finger wickelte.

„Mama.", gab ich von mir, da ich gerade verlernt habe zu reden. Eine Welle der Erleichterung überkam mich, als sie endlich abnahm. Wie toll es ist, ihre Stimme zu hören.

„Wie geht es dir, Lamees?", fragte sie, wo ich sofort ihre Besorgnis aus ihrer Stimme raushörte.

„Wie soll es mir denn gehen, Mama? Ihr seid nicht mehr hier und die Behörde nimmt mich nicht mal ernst.", sagte ich traurig, weshalb ich sie seufzen hörte.

„Es ist hart ohne euch.", fügte ich hinzu. Ist es auch. Ich bin ganz alleine hier, seitdem meine Eltern abgeschoben wurden. Ihre Aufenthaltsgenehmigungen konnten nicht mehr verlängert werden, aufgrund schrägen Sachen, die ich bis heute nicht verstehe. Sie leben in meiner Heimat, im Norden Iraks, in der autonomen Region der Kurden.

„Ich weiß, ich weiß...", ihre Stimme bricht ab. Nein, sie soll nicht weinen, sonst weine ich mit.

„Mach deine Kamera an, ich möchte dich sehen.", sagt sie hinzu und schon schickt sie mir die Facetime Anfrage. Ich nehme es sofort an und wische schnell meine Tränen weg, richte meine Haare kurz. Als ihre Kamera angeht, sehe ich, wie sie ihre Haare schnell in ihrem Kopftuch versteckt und es sich über die Schulter schmeißt. Sie lächelt sofort auf als sie mich erblickt.

„Mein hübsches Mädchen.", sie grinst in die Linse und sieht aus wie eine süße Japanerin. Ich sage dies ihr auch, weshalb sie mich belustigt beleidigt und mir aus Spaß ihren Mittelfinger zeigt. Ich liebe es nach wie vor sie zu necken und zu nerven.

„Wie geht es Babo?", fragte ich interessiert. Wenn man über dem Teufel spricht erscheint er auch in meinem Sichtfeld. Er kommt gerade durch die Tür mit einer Tüte, in der sich Lebensmitteln befinden. Als er auch mich erblickt winkt er mir wie verrückt zu und reißt meiner Mutter das Handy aus der Hand. Ich lache auf, als ich meine Mutter im Hintergrund fluchen höre.

„Çiçe, wie geht es dir?", fragte er hysterisch, da ich schon seit drei Tagen nicht mehr mit ihm gesprochen habe. Ich bin sehr glücklich ihn zu sehen, da ich ein wirkliches Papakind bin.

„Gut.", lüge ich. „Und selbst?", fragte ich, obwohl ich es mir schon denken.

„Das Amt hier spricht nicht mit uns. Es wird noch etwas dauern.", informierte er mich. Ich atme zittrig aus. Mann, ich vermisse beide. Es wurde still zwischen uns, ich schaute runter, da ich nicht wollte, dass er meine Tränen sieht.

„Lamees?", fragte er vorsichtig nach. Meine Unterlippe fing an zu beben, ich presse meine Augen aufeinander und mache meine Kamera schnell aus.

„Lamees!", hörte ich nun meine Mutter. Ich hörte sie aufweinen, weshalb ich sofort sprach.

„Mama, weine nicht!", forderte ich von ihr auf. Ich bin doch ein Idiot! Wieso weine ich, wenn es beiden doch dreckiger geht?

„Lamees, bleibe bitte stark. Alles wird wieder gut.", meinte sie und wackelte nachdenklich mit ihrem Kopf. Ich bewundere meine Mutter sehr. Sie versucht für mich stark zu sein, obwohl sie erstmal für sich selbst stark sein muss. Sie denkt zuerst an mich und nicht an sich selbst.

„Mama, bitte.", gab ich von mir. „Bitte pass auf dich und Babo auf.", sagte ich. Mein Vater hat starke Augenringe bekommen, seine Arme wirken in der Kamera dürrer, als zuvor. Selbst meine Mutter ihre Wangenknochen stechen hervor, davor hatte sie ein schönes fülliges Gesicht. Sie sehen so krank und kaputt aus. Wir hatten hier doch so ein entspanntes und ruhiges Leben.

„Sag es ihr endlich.", hörte ich meine Mutter. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen, als sie anfing zu flüstern. Mein Vater fährt sich überfordert über sein fülliges schwarzes Haar, das vereinzelnd graue Haare hat. Seine braunen Augen schielen zu meiner Mutter, die dann auch zu ihm hochschaut. Ich öffne meine Kamera.

„Was willst du mir sagen, Babo?", fragte ich ahnungslos. Habe ich irgendwas verpasst? Meine Mutter blickt erschrocken in mein Gesicht, ich schaue verwirrt zu beiden.

„Antworte, Babo!", verlangte ich harsch. Beide wissen doch, dass ich Geheimnisse nicht abhaben kann, dann noch welche im Zusammenhang mit mir. Ich setze mich auf mein Bett, da es mir auf dem Stuhl zu umbequem wurde und mir immer schlechter wurde. Ich spüre, dass etwas kommt, was mir nicht gefallen wird. Dass etwas kommt, womit ich niemals gerechnet habe.

„Ich habe einen alten Kumpel wieder gesehen—", sagte er und unterbrach sich selbst. „Es ist egal, ich habe abgelehnt."

„Babo, sprich bitte weiter.", bat ich ihn. Ich bin sehr ungeduldig und wenn er mir das jetzt nicht sagt, werde ich ihn bis zu meinem Lebensende weiterhin fragen, was er mir nicht erzählen wollte. Er seufzte auf und sprach weiter.

„Er hat einen Bruder in Deutschland, genauer genommen in Hamburg.", ich schluckte schwer runter und spürte mein Herz dolle schlagen. Meine Arme werden schwach, mir wird übel. Kommt vielleicht auch davon, weil ich fast nichts heute gegessen habe.

„Er würde die Kautionen bezahlen.", sagt mein Babo, weshalb ich sofort aufsprang. Ich hüpfte auf und ab, weil ich so glücklich war. Meine Lieblinge bekomme ich bald wieder zurück. Ich werde sie in meine Arme schließen und nie wieder loslassen.

„Aber—", ich hörte sofort auf und hörte zu. Was aber?!

„Sie wollen dich für ihren Sohn.", ich hörte auf zu atmen. Mein Vater sprach weiter, aber ich hörte auf zuzuhören. Meine Kehle wird trocken, mein Herz macht einen Sprung. Ich schlucke immer und immer wieder runter, aber davon wird mein Hals trockener, weshalb ich panischer werde. Ich habe das Gefühl zu ersticken, obwohl ich sehr gut Luft kriege. Entweder ich sage Ja zu dieser Scheinehe und habe meine Eltern wieder zurück, oder ich sage Nein und werde wahrscheinlich meine Eltern nicht mehr sehen. Meine Entscheidung steht fest.

„Babo.", ich schließe meine Augen. Kaum zu glauben, dass sowas aus meinem Mund kommen wird.

„Stimme diesem Angebot zu. Ich werde das tun."



JETZT KANN ES LOSGEHEN
Für alle die nicht wissen wie man sie ausspricht, sie wird LEMIS ausgesprochen.

*Çiçamîn= mein Vögelchen
*Çiçe= Vögelchen

ÇAVZHÎNWo Geschichten leben. Entdecke jetzt