"Olivia-Beatrice Jones!", schrie mein Vater von Unten. Er musste schon ein paar mal gerufen haben, denn er klang sehr wütend. Ich nahm meine Kopfhörer ab und pausierte die Musik.
Ich lief die Treppe hinunter. Am Fuß der Treppe blieb ich erst einmal stehen.
Mein Vater stand in der Küche und schmiss gerade zwei Schüsseln und eine Brotdose in die Spüle. "Abwaschen", befahl er und lief an mir vorbei. Immer wieder brummelte er etwas von "Drecksschlampen" und "Wie man so nur leben kann." Ich ignorierte diese Aussagen und fing an die Sachen abzuwaschen.
Ich war dieses Verhalten gewohnt. Seit einem halben Jahr war er nur noch dabei Alles und Jeden in diesem Haushalt für jede Kleinigkeit anzumeckern.
Er wollte, dass wir zu allem was er sagt Ja und Amen sagen. Und Jahrelang habe ich dies auch getan.
Nachdem ich die Schüsseln abgewaschen hatte, wischte ich noch schnell über die Arbeitsplatten und den Herd, so sah die Küche ordentlich aus und ich würde nicht in ein paar Minuten noch einmal nach unten gehen müssen.
Des Öfteren hatte diese Taktik schon funktioniert aber meistens fand er trotzdem noch Etwas.
Ich ging wieder nach oben in mein Zimmer, ich schloss die Tür und setzte mich an den Schreibtisch.
Vor mir lagen drei Bücher, mein Mathematik Hefter und etliche Blätter kariertes Papier.
Auf einmal vibrierte mein Telefon, irgendwo unter dem Chaos müsste es sein. Ich fing an die Blätter hochzuheben und schließlich fand ich es.
"Hey hast du die Hausaufgaben verstanden?" erschien die Nachricht von Lucy auf dem Display. Ich entsperrte das Telefon und antwortete ihr mit einem simplen "Nope".
Daraufhin rief sie mich via FaceTime an.
"Ich verstehe den ganzen Scheiß so überhaupt nicht", sagte ich verzweifelt. Auch sie sah nicht besonders motiviert aus und blätterte in ihrem Buch. "Ich auch nich, aber ich hab ne Idee wie man die Aufgabe angehen könnte. Ich weiß nur noch nicht, ob das funktioniert. Dachte du könntest mir dabei helfen", sagte sie. Ich nickte und sie fing an mir ihre Idee zu erklären.
Nach einer halben Stunde hatten wir die Aufgabe gelöst und endlich hatte ich es auch verstanden.
Lucy legte auf und ich lehnte mich in meinem Schreibstuhl zurück. Ich schloss die Augen und dachte nach. Ich darüber nach, wie ich all das hier schaffe sollte.
In einem halben Jahr würde ich den letzten Schultag haben. Ich würde meinen Abschluss machen und dann... Dann Studiere ich oder mache eine Ausbildung oder so...
Was mache ich eigentlich nach der Schule? Was fange ich mit meinem Leben an? Was wird aus mir? Was will ich werden? Wohin mit mir? Was soll ich machen?
Ich öffnete wieder die Augen, eine träne lief mir die Wange hinunter. Ich hasste diese Gedanken, aber ich musste endlich anfangen. Ich musste mir darüber klar werden, was nach meinem Abschluss passieren sollte.
„Olivia, Isabelle", riss mich die Stimme meiner Mutter aus meinen Gedanken, „Kommt ihr? Es gibt essen." Ich sah auf die Uhr. Es war dreiviertel sieben. Ich stand auf, lief die Treppe runter und setzte mich auf meinen Platz im Esszimmer. „Hey Livi", sagte meine Schwester, als sie sich ebenfalls auf ihren Platz setzte. Wenige Augenblicke später kam mein Vater mit Ben im Arm zu uns. Er legte ihn in seinen Hochstuhl. Meine Mutter hatte inzwischen auch den Topf mit der Kürbissuppe auf den Tisch gestellt. Ich nahm die kleine Schüssel für Ben und tat ein wenig was auf. „Darf Ben das mitessen?", fragte mein Vater. „Ja natürlich, wieso nich. Er isst doch sonst auch Kürbis nur eben aus dem Gläschen", antwortete ihm meine Mutter.
Ich hielt ihr das Schälchen hin und sie begann zu pusten.
Das Essen begann sehr ruhig. Wirklich sehr ruhig. Niemand sagte etwas. Jedenfalls nicht zu mir oder meiner Schwester. Meine Mutter sprach mit meinem Bruder und auch mein Vater kümmerte sich um Ben.
„Hast du dich schon für eine Uni entschieden?", fragte mein Vater auf einmal. Ich schluckte. „Nein", sagte ich und aß weiter meine Suppe. „Wieso nich?", kam es schnippisch von ihm zurück. „Weil ich noch Zeit habe, die Prüfungen fangen erst in einem halben Jahr an", sagte ich. Er schnaubte nur als Antwort.
Und weiter ging die Stille. So wie jeden Tag.
Als ich gegen neun Uhr schließlich im Bett lag, beschloss ich noch eine Weile mit ein paar Leuten zu schreiben. Morgen war der letzte Tag vor den Weihnachtsferien, das heißt morgen gab es für uns die Zeugnisse für das 3. Semester. Wir hatten gestern erfahren, dass wir ab Mai im nächsten Jahr Tanzstunden für den Abschlussball nehmen konnten. Fast alle Mädchen in meinem Jahrgang sind ausgerastet. Sie haben sich Sorgen gemacht, dass sie keinen Tanzpartner abbekommen würden. Ich konnte das ganze Drama nicht verstehen. Es waren noch 5 Monate bis die Tanzstunden überhaupt beginnen würden.
Auch Lucy machte sich diese Gedanken. „Ich weiß nicht wen ich fragen soll. Ob ich überhaupt jemanden Fragen soll, oder ob ich warten soll bis mich jemand fragt", schrieb sie. Ich schüttelte nur den Kopf. „Warum macht ihr euch alle so einen Stress?", antwortete ich ihr. „Aber wenn du mich fragst, ich würde einfach fragen. Mit wem würdest du denn gerne hin gehen wollen?", schrieb ich weiter. „Ich weiß es nicht. Hatte an John gedacht", bekam ich als Antwort. „Dann frag ihn", schrieb ich.
Noch eine viertel Stunde hatten wir weiter geschrieben, dann meinte ich nur noch, dass ich gerne ins Bett gehen würde. So verabschiedeten wir uns und ich versuchte zu schlafen.
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Du bist Ich und Ich bin Du
Teen FictionEs geht um die junge Olivia-Beatrice Jones, oder kurz Liv, und wie sie zu sich selbst findet. Olivia versucht ihr Leben irgendwie auf die Reihe zu kriegen. Sie muss tagtäglich unter dem aggressiven und narzisstischen Verhalten ihres Vaters kämpfen...