Kapitel 4

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Die Ferien waren vorbei und es waren jetzt nur noch wenige Wochen bis zu meinem letzten Schultag.

Ich war froh, dass Niemand über Weihnachten sprach. Schließlich waren die Ferien lang genug, so war das Thema nicht mehr aktuell.

Ich saß völlig übermüdet auf meinem Platz und konnte gar nich richtig folgen. Auf einmal hörte ich meinen Namen. "Miss Jones, sie werden zu nächster Stunde einen kleinen Vortrag vorbereiten", sagte die Lehrerin. Ich nickte und schrieb mir das Thema und den Termin in meinem Kalender ein. Wenigstens noch eine leicht verdiente eins.

Der restliche Tag verlief sehr ereignislos. Wir hatten nicht mehr viel zu tun außer Wiederholungen zur Vorbereitung auf die Prüfungen. Meine begleitende Tutorin für meine Präsentationsprüfung hatte den Termin nach dem Unterricht abgesagt, also konnte ich 13 Uhr Nachhause fahren.

Mein Vater war arbeiten und nur meine Mutter war mit Ben zuhause. Dieser hatte heute seinen ersten Tag in der Kita verbracht. Ich setzte mich zu ihnen ins Wohnzimmer. "Hallöchen", begrüßte ich die Beiden fröhlich. Ich mochte es mal nur Zeit mit meiner Mutter zu haben. Früher hatte ich sie viel zu selten gesehen, erst seit der Schwangerschaft ist sie regelmäßig zuhause. "Hallo meine Süße", antwortete mir meine Mutter.

Wir unterhielten uns eine Weile darüber, wie es in der Schule lief und auch darüber wie Bens erster Tag in der Kita war. Währenddessen bekam ich eine Nachricht von unserem Kurssprecher. "Wir sollen jetzt schon sagen, wen wir alles zum Abschlussball mitbringen", sagte ich. "Und wen willst du alles mitnehmen?", fragte meine Mutter. "Na es gibt ja mehrere Tickets. Einmal die für das Festliche und danach die Aftershowparty", erklärte ich, "Also ihr kommt fürs festliche mit und ich dachte noch an Victoria und Jasper."

Victoria war meine beste Freundin. Ich kannte sie seit dem Kindergarten, doch ich bin vor ihr auf das Gymnasium gewechselt, weswegen wir uns nicht mehr so oft sehen konnten. Außerdem hatte ich nicht so viele gute Freunde auf der Schule und eigentlich hätten Victoria und ich diesen Tag zusammen erleben müssen, ich wollte sie an diesem wichtigen Tag also unbedingt dabei haben.

Und Jasper war mein Onkel, wir hatten seit einigen Monaten sehr viel Zeit miteinander verbracht und da ich wusste, dass mein Leiblicher Vater nich kommen könnte wollte ich ihn dabei haben. Vor allem, da er auch bei der Aftershowparty eine bessere Volljährige Begleitung abgibt als meine Eltern.

Meine Mutter nickte, sie war anscheinend einverstanden. "Gut, dann meld uns doch alle an. Ab wann müssen wir die Karten kaufen?", wollte meine Mutter noch wissen. "Die Karten müssen ab März bestellt werden. Aber auch nur die für den zeremoniellen Teil. Die von der Aftershowparty können direkt an dem Tag gekauft werden", sagte ich.

Auf einmal meldete sich Ben, der die ganze Zeit geschlafen hatte. Dies nutzte ich als Gelegenheit, um in mein Zimmer zu gehen. Ich musste schließlich einen Vortrag vorbereiten.

Ich war relativ schnell fertig mit dem Vortrag, schließlich war es auch nur ein Kurzvortrag. So konnte ich mich in mein Bett legen und ein wenig auf Insta rumscrollen und mit ein paar Leuten schreiben.

Plötzlich kam mein Vater in mein Zimmer gestürmt. "Handy her und beweg dich", schrie er. Ich sah ihn verwirrt an. "Den ganzen Tag zuhause und nichmal in der Lage auch nur einen Finger zu bewegen um deiner Mutter zu helfen", schrie er weiter. Ich konnte gerade noch mein Handy ausschalten, da riss er mir das schon aus der Hand. "Los jetzt", schrie er weiter. Ich stand auf und versuchte die Tränen zu unterdrücken. "Ich hab doch schon Hausaufgaben gemacht. Ich wollte mich nur mal kurz ausruhen", wollte ich ihm erklären, doch er hörte gar nicht zu. "Ausruhen kann man sich nicht mit dem Handy", meckerte er weiter. Ich ging nicht darauf ein. Ich hatte zu sehr Angst vor den Konsequenzen. Als ich an ihm vorbeiging hob er die Hand und ich zuckte zusammen. Er tat nichts. Diesmal.

Ich lief die Treppe herunter und ging in die Küche. Dort stand meine Mutter. Immer noch die Tränen unterdrückend stand ich nun neben ihr und fragte was ich helfen kann. Sie zeigte auf die Pfanne in der gerade ein paar grüne Bohnen mit Speck vor sich hin brutzelten. Ich stellte mich daneben und nahm den Kochlöffel. Ich musste mich konzentrieren nicht zu weinen. Du schaffst das. Zeig ihm nicht, dass du schwach bist. Dann hat er wieder gewonnen. Ich konzentrierte mich so gut es ging auf das Essen vor mir. Atmete langsam und tief. "Kannst du mir noch eine Zwiebel von draußen holen?", bat mich meine Mutter. Ich nickte. Ich ging nach draußen zu unserer Gartenküche, in dieser lagerten wir diverse Getränke und eben auch Zwiebeln und Kartoffeln. Draußen versuchte ich ein paar Minuten meine Atmung komplett zu normalisieren.

Ich hasse ihn! Ich hasse ihn! Ich hasse ihn!

Den kompletten Abend hatte er nur noch so getan als wäre ich gar nicht da. Er hatte über mich gesprochen, als wäre ich der letzte Dreck. Ich hatte es versucht so gut es geht zu ignorieren, doch es tat einfach nur weh. Und niemand tat etwas dagegen.

12 Tage war es her. Vor zwölf Tagen hatte ich mich selbst das letzte mal gesehen. Ich hatte vor 12 Tagen an meinem Schreibtisch gesessen und mich geritzt. Und danach hatte ich ein Mädchen auf meinem Bett sitzen sehen, welches fast genauso aussah wie ich.

Und jetzt, jetzt sitze ich wieder an meinem Schreibtisch. Vor mir lag mein Tagebuch. Ich hatte einen neuen Eintrag geschrieben und mir die alten Einträge durchgelesen. Neben dem Stift lag die kleine Schachtel mit den Klingen. Ich wehrte mich gegen die Stimme in meinem Kopf. Seit einer Stunde unterdrückte ich das Verlangen. Ich wollte nicht, doch ich hatte das Gefühl ich musste.

"Nein", sagte jemand. Da war sie wieder. Da war ich wieder. Ich drehte mich um. "Aber ich muss", sagte ich verzweifelt. "Du musst gar nichts. Erst recht nicht das", sagte sie. Ich fing an zu weinen. Ich konnte einfach nicht anders. Die Tränen liefen mein Gesicht runter. "Aber es geht nicht anders. Ich muss diesen Schmerz loswerden", sagte ich. "Lass mich Dir helfen", versuchte mein anderes ich mich zu beruhigen. Ich schüttelte den Kopf. "Verschwinde", schrie ich.

Und weg war sie. Mein ganzer Körper zitterte und ich konnte nicht aufhören zu weinen. Die Tränen wollten nicht aufhören. Ich nahm die Klinge und begann erneut. Der Schmerz durchzog meinen kompletten Körper. Du hast zu tief geschnitten. Das Blut lief meinen Arm entlang und ich nahm ein Taschentuch um die Blutung zu stillen. Die Narbe bleibt auf jeden Fall für immer...

Du bist Ich und Ich bin DuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt