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Mit offenen Augen liege ich auf meinem Bett und starre an die rissige Decke.

Brummende Autos fahren weit unter mir vorbei und eine kleine Spinne spinnt im nächtlichen Licht des Mondes ihr Netz in der linken Ecke des Zimmers.

Vergeblich warte ich darauf, dass die Schlafpillen wirken. Ich habe sie damals von zu Hause mitgehen lassen, als ich abgehauen bin, denn wenn die grauen Wolken eines können, dann mir den Schlaf stehlen.

Aber heute sind es nicht die grauen Wolken.

Heute ist es Jace.

Ich hätte ihn nicht küssen dürfen. Aber trotzdem bereue ich nichts.

Seine perfekten Lippen waren wie weicher Balsam auf den meinen.

Und für eine Sekunde blieb die Welt stehen und die grauen Wolken waren nicht nur weit weg, sondern vollkommen vernichtet. Er hatte sie mit seinen wunderbaren Lippen zerstört.

Und meine Seele lachte wie sie noch nie gelacht hat, als er für den Bruchteil einer Sekunde auch seine Lippen bewegte und den Kuss erwiderte.

Für einen Moment tanzte mein Herz und mein Körper spürte keinen Schmerz.

Doch dann waren da seine Hände, die mich vorsichtig von ihm wegschoben.

„Sorry, das geht nicht", hatte er gesagt. Genau so.

Ohne eine Möglichkeit für Interpretation.

Dabei ist er schwul, hatte er gesagt.

Er steht auf Männer.

Nur eben nicht auf mich.

Leidend schließe ich die Augen, doch die Gedanken werden dadurch nur noch lauter.

Immer wieder sehe ich den Moment, als ich aufstehe und zur Tür gehe.

„Ich sollte besser gehen."

Und er hat genickt, mit diesem undefinierbaren Gesichtsausdruck, der mir nicht verrät, ob er mich überhaupt jemals wiedersehen möchte.

Ich will mich auf die Seite drehen, lasse es aber sofort. Die aufgeplatzten Wunden brennen bei jeder Berührung mit dem Bettlaken.

Verdammt.

Der Schmerz ist nicht einmal halb so stark, wie der in meinem Inneren. Als würde jemand meinen Magen durchkneten und meinen Darm verknoten.

Verdammt.

Ich bin wieder alleine, ganz alleine. Wortwörtlich.

David ist im Knast.

Jace weit weg.

All meine Freunde feiern.

Und ich liege an einem Samstag um 23 Uhr schlaflos im Bett und bin voller Worte, die ich niemanden sagen kann.

Dabei fresse ich Dinge schon immer in mich rein, aber mein Verstand ist wohl davon verwöhnt, dass ich Jace all diese Informationen im Laberflash vor die Füße gekotzt habe.

Ein Wunder, dass ich ihm nicht gesagt habe, dass ich ihn toll finde.

Verdammt, wann wirkt diese dumme Pille?

Vielleicht sollte ich nachwerfen. Aber wenn ich eins gelernt habe, dann dass man das lieber lassen sollte.

Meine Gedanken schreien noch lauter durcheinander und drehen sich doch nur im Kreis um Jace.

Um seine voluminösen Haare, seine liebevollen Augen und seine vollen Lippen.

Steht der Job bei seinem Vater noch? Und will ich das überhaupt?

Wird er überhaupt jemals wieder mit mir sprechen?

Ich muss die Gedanken ersticken und erwürgen. Sie müssen endlich schweigen.

Entschieden greife ich nach der Packung neben meinem Bett, schütte zwei weitere Pillen heraus und spüle sie mit einem Schluck Wasser hinunter.

Die Welt ist einfach beschissen, denke ich, während meine Augenlider langsam wirklich schwerer werden.

Endlich.

Ich sehe noch die Spinne lebhaft durch ihr Netz zurück an die Zimmerwand klettern, dann ertrinken all meine Gedanken innerhalb weniger Sekunden hilflos in dem riesigen Teich der Traumwelt.

Endlich ist es ruhig.

Lächelnd überrennt mich die Wirkung der Tabletten und ich falle widerstandslos in einen tiefen Schlaf.

17.03.2019

Graue WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt