Kapitel 1

23 1 0
                                    

Der Schnee knirschte unter meinen Füssen, als ich wütend zum Wald hin stapfte. Ich hatte mich mit Vater gestritten. Schon wieder. Und auch wieder über das gleiche Thema. Die grosse Jagd. Eine Tradition, bei der, vor Winterbeginn, alle die genug alt sind, gemeinsam eine grosse Hetzjagd veranstalteten, um so genügend Vorräte für den Winter zu sammeln. Aber bei dem alt genug  sind Mädchen anscheinend ausgeschlossen. Für die meisten war das kein Problem, für mich jedoch schon. Ich konnte besser mit dem Bogen umgehen als die meisten anderen in unserem Dorf. Vater liess mich zwar damit schiessen, solange ich auf dem Übungsplatz blieb, aber glücklich war er darüber trotzdem nicht. "Nimm dir ein Beispiel an Kenna", sagte er immer. Kenna war meine ältere Schwester. Sie trug immer Kleider, war schon verlobt und extrem langweilig. Anscheinend die perfekte Tochter.

Ein paar Vögel flogen auf, als ich den Waldrand erreichte. Der Schnee, der über Nacht gefallen war, hatte alle Spuren verdeckt. Ich fröstelte ein bisschen und zog mir die Kapuze meines Umhangs über den Kopf. Als ich mein Ziel in der Mitte einer Lichtung erreichte, begann die Sonne schon langsam hinter den Bergen zu verschwinden und tauchte die Landschaft in ein rötliches Licht. Ich schaufelte den Schnee zu Seite und hob einen darunter hervorkommenden Stein hoch. Unter ihm war ein Loch im Boden und darin Pfeile und ein Bogen. Ich hatte sie schon vor längerer Zeit aus der Waffenkammer entwendet. Es war niemandem aufgefallen, da es einer der älteren Bögen war, welche man eigentlich nur den kleineren Kindern gab. Und als ich gesehen hatte, in was für einem guten Zustand dieser hier war, konnte ich einfach nicht anders.

Ich zog meine Handschuhe aus und stopfte sie in meine Taschen. Dann holte ich den Bogen aus seinem Versteck. Ich ging ein bisschen weiter Bergauf und stellte mich breitbeinig, mit dem Rücken zur Sonne, hin. Ich zog den ersten Pfeil aus dem Köcher und spannte ihn in den Bogen. Ich visierte mein Ziel an und liess los. Ein kleines Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich den Baum, der etwa 25 Schritte von mir entfernt stand, genau in die Mitte traf. Dann nahm ich den nächsten Pfeil.

Ich bemerkte erst, wie spät es war, als es zu dunkel wurde, um den Baum richtig zu sehen, auf den ich zielte. Ich rannte zu den Bäumen hinüber und riss die Pfeile aus der Rinde. Dann ging ich zurück zum Loch und verstaute alles wieder darin. Ich verschloss es mit dem Stein und schaufelte Schnee darüber. Meine Hände schmerzten vor Kälte, aber ich machte mir nicht die Mühe meine Handschuhe anzuziehen. Ich wandte dem Schneefeld den Rücken zu und rannte so schnell ich konnte nach Hause.

Blut im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt