Kontrollraum Henry Payton 04.01.69 n.S. - 4:32 Uhr

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Die vierte Schicht im neuen Jahr zog sich. Die Erwärmung und damit das langsame Hochfahren der Systeme verlief planmäßig. Etwas anderes hatte Henry aber nicht erwartet. Alles wäre in Ordnung, wenn nicht die Sache mit Station 1 wäre.Der Ping war während ihrer Schicht immer wieder abgesetzt worden. Bis heute blieben die Versuche erfolglos. Den anderen Teams gegenüber schwieg Henry und seinen Mitarbeitern legte er auf, diesem Beispiel zu folgen. Panik war niemals ein guter Ratgeber und solange keine Gewissheit herrschte, war es nicht klug, die Befürchtungen zu teilen. Es war möglich, dass es ein Fehler war, nur vertraute er Marge, Maggy, Jen und Bit nahezu blind, den anderen Mitarbeitern in den Schichten aber nicht. Er kannte sie kaum. Es genügte, wenn nur einer darüber redete und die gesamte Basis erfuhr sofort von den Problemen um Station 1. Die Folgen waren nicht absehbar und damit blieb ihm aus seiner Sicht keine andere Wahl. Sobald er Gewissheit hatte, galt es den Rat zu informieren und dann würde man sehen, was dieser entschied.Henry saß auf dem Stuhl des Leiters und stützte den Kopf in die Hand. Er rieb sich die Schläfen, um den sich ankündigenden Kopfschmerzen entgegenzuwirken. »Chris, was macht der Zugang zum Zentralarchiv und der V-Box?«Das Zentralarchiv diente als Speicher für alle Stationen. Man hatte es mehrfach redundant konstruiert und mit der damalig besten Speicherlösung ausgestattet. Um der Menschheit eine Chance zu geben, hinterlegte jede Basis ihre Erkenntnisse und Forschungen in diesem Archiv. Nebenbei bot die Technik die Gelegenheit, wichtige Botschaften in der sogenannten V-Box zu speichern.Bit arbeitete seit Mitternacht daran, die Verbindung stabil hinzubekommen. Henry hoffte, dass Station 1 etwas hinterlegt hatte. Eine kleine Meldung, dass es Probleme mit dem Funk gab, eine technische Störung. Es gab eine lange Liste von Komplikationen, die dazu führte, dass eine Basis nicht in der Lage war, sich zu melden.Klarheit. Solange es keine gab, blieb er nervös und spürbar angespannt. »Ich habe die Ursache lokalisiert und die Ausweichnetzwerkroute aktiviert. Dauert nicht mehr lang, Chief«, meldete Chris.»Marge, immer noch keine Reaktion auf den Ping?«»Nein Henry. Ich bezweifle auch, dass diese noch kommt.«Er nickte zustimmend. Sie hatte recht. »Nun gut, Kollegen«, sprach er jeden aus seinem Team an und stand auf. Er verschränkte die Arme und sah in die Runde.»Brainstorming. Ping und Funk funktionieren nicht. Mögliche Gründe?«»Die Prozeduren für den Nachteintritt schalten zumindest den Funk als erstes ab. Wenn ich berücksichtige, dass Station 1 eine gewisse Zeit in der Dämmerung liegt, würde dies zumindest die jetzige Funkstille erklären.«»Richtig, aber nicht, dass sie vor ein paar Tagen nicht geantwortet haben.«»Zu dem Zeitpunkt könnte es ein Defekt gewesen sein«, mutmaßte Jennifer. Henry zeigte mit dem Finger auf die junge Frau und notierte in seinem Gedächtnis ein kleines Plus. Es war selten genug, dass sie Treffer landete.»Warum funktioniert der Ping aber nicht?«, fuhr er fort.»Defekte Leitung?«, schlug Maggy vor. »Unwahrscheinlich. Mehrfach redundant.«»Lautsprecher kaputt?«, murmelte Jenny. Sie wurde mutig und schon endete ihre Siegessträhne in einer lächerlichen Idee. »Weitere Ideen?«, überging er den Gedanken.Ein paar Minuten schwieg die kleine Gruppe, ehe sich Chris zu Wort meldete.»Was wäre, wenn der Ping doch funktioniert?«Henry runzelte die Stirn und sah zu ihm hinüber.»Bit, ich bitte dich«, tadelte Marge den jungen Kollegen prompt, aber Henry hob den Arm. Chris hätte die Idee nicht geäußert, wenn sie unbegründet wäre.»Und warum reagieren sie nicht, Bit?«Chris steckte die Hände in die Hosentaschen, damit suchte er Sicherheit, um seine Idee vorzutragen.»Nun, wenn ein System mehrfach abgesichert ist und somit fast nicht ausfallen kann. So muss der Grund an der Stelle liegen, für die dieses System erdacht wurde.«Henry verstand nicht auf Anhieb. »Geht das nicht genauer, Bit?«»Ich bin nicht sicher, aber der Ping kommt im Kontrollraum an, richtig?«Einhellig nickte das Team.»Im großen und den kleinen?«, fragte er daraufhin. Henry horchte auf. »Im großen und nur dort!«Einige aus Station 8 kritisierten diese Tatsache, aber Henry verstand, was die Konstrukteure sich dabei gedacht hatten. Eine Basis im Nachtschlaf war für die anderen Stationen energetisch tot. Alle Energie war auf die Lebenserhaltung ausgerichtet. Man zehrte von den Reserven des Tages.»Wenn also der Ping im Kontrollraum angekommen ist, könnte es bedeuten, dass schlicht niemand vor Ort war, oder?«Marge und Maggy sahen sich an, dann nickten die beiden Frauen und Lady ergriff das Wort: »Warum sollte Station 1 den Kontrollraum am Tag nicht besetzt halten?«»Gute Frage, Lady«, sprach Henry. Die Idee von Bit war eine Spur, nur fehlten die richtigen Schlüsse.»Gut. Gehen wir davon aus, dass der Ping angekommen ist und der Kontrollraum menschenleer. Welche Optionen gibt es, dass dies am Tage nötig ist.«»Eine Epidemie. Man könnte nicht genug gesunde Mitarbeiter haben und weicht auf den kleinen aus, der auch mit einem Teil der normalen Besatzung führbar ist.«»Denkbar, Maggy. Richtig. Weitere Ideen?«»Der Kontrollraum ist zerstört worden. Oder beschädigt. Man hat ihn vielleicht abgeriegelt, um ihn nach der Nacht wieder zu reparieren«, versuchte es Jennifer nochmals. Henry blähte die Backen auf. Vollkommen abwegig war die Idee nicht.»Und die kostbare Technik in ihm lassen?«»Je nachdem wann das Unglück geschah, hätten sie noch Zeit gehabt, oder es war derart kurz vor Nachteintritt, dass sie ihn schnell versiegeln mussten.«»Das Protokoll sieht eine solche Verriegelung unter bestimmten Umständen tatsächlich vor, Chief«, sprang Marge der jungen Frau zur Seite. Henry atmete tief durch. Es gab deutlich zu viele Optionen. Marge lächelte ihm milde zu und er wandte sich an Jenny.»Was sieht das Protokoll außerdem noch vor?«Jennifer begriff zuerst nicht, dass er sie direkt ansprach, dann schrak sie auf.»Nun«, sprach sie zögerlich. »Im Falle eines Unglücks und einer Notverlegung in den kleinen Kontrollraum werden die Aufzeichnungen und Kameraaufnahmen automatisch ans Zentralarchiv übertragen und verschlüsselt.«»Wieso verschlüsselt?«, wunderte sich Chris.»Man ging von Beginn an davon aus, dass es Menschen geben wird, die außerhalb der Station leben wollten und unter Umständen einen Angriff versuchen würden, um an Nahrung und Kleidung zu kommen. Man wollte damit sicher stellen, dass die anderen Stationen auf jeden Fall informiert werden. Diese könnten das Zentralarchiv abkoppeln und die eroberte Station wäre auf sich allein gestellt«, erklärte Maggy sachlich. »Darum gibt es dafür auch kein festes Verzeichnis, sondern es würde in den Archiven versteckt. Man wusste, dass andere Stationen ausreichend Zeit haben würden, um diese Daten zu finden und dann zu entschlüsseln. Im Gegensatz zu den normalen Botschaften, die ein festes Verzeichnis haben.«Henry nickte. »Gut. Es ist ein Ansatz, der vor allem auch die Option eröffnet, dass es den Menschen dort gut geht.«Er wandte sich zu Chris.»Du sorgst für die Verbindung«, sprach er ihn an und schwenkte den Blick dann zu den Damen.»Sobald die Verbindung steht, schaltet ihr euch mit auf«, befahl er. »Maggy, du suchst nach Nachrichten. Marge, Jenny und Bit durchforsten das Archiv nach Hinweisen auf ein Unglück, Überfall, was auch immer das Protokoll dazu veranlasst haben könnte, Daten und Aufzeichnungen wegzuschreiben!«Er klatschte in die Hände. »Nun gut, an die Arbeit!«Sein Blick wanderte nach draußen. Zur Zeit suchte man vergeblich einen der Arbeiter, die die Felder dort im Freien in Ordnung brachten, aber in einer Stunde würde sich dies ändern. Unweigerlich dachte er damit an seine Tochter. Sie gehörte zu den ersten, die heute die Station verließen. Das Wetter wirkte beständig, nur der Wind wehte kräftig. Sogar die Außentemperatur erholte sich langsam. Es war aktuell zwar eisig kalt, aber die Sonne entfaltete mittlerweile ihre Kraft und der Schnee schmolz allmählich. Bis der Boden frei von Frost war, würde es dauern.»Chief. Ich brauch Ihren Schlüssel«, unterbrach ihn Bit in seinen Gedanken.»Verbindung hergestellt?«Bit nickte. Henry stieg von der kleinen Empore hinab und beugte sich zum Terminal von Chris. »Moment«, murmelte er und seine Finger flogen förmlich über die Tastatur. »So mein Schlüssel, versuch es jetzt!«Chris folgte dem Befehl und augenblicklich öffnete sich ein neues Fenster. »Wir sind drin!«, rief er erfreut. Henry nickte.»Dann mal los!«Die Menge der Daten im Archiv war gigantisch. Ehe man die Stationen bezogen hatte, hatte man nahezu das komplette Wissen der Menschheit dort abgelegt. Petabyte genügten nicht, um diese unendlich wirkende Masse an Dokumenten zu beschreiben.Henry kontrollierte die Zeit. Die Schicht endete um 7 Uhr und damit in knapp zwei Stunden. Er sah hinüber zu Marge. Von ihrem Terminal erhoffte er sich die erste Meldung und wie erwartet hob sie schon bald den Kopf. Das Blond ihrer Haare schimmerte mittlerweile leicht silbern, aber ihm erging es nicht anders. »Keine Nachricht von Station 1 gefunden«, meldete sie. Das war nicht ungewöhnlich. Wenn es nichts zu vermelden gab, hinterließ man keine Nachricht. Jedes Senden kostete Energie und die fehlte dann in der Nacht.»Kontrolliere die anderen Stationen bitte auch noch, vielleicht kam von denen noch etwas!«»Alles klar«, bestätigte sie.Henry wanderte die Terminalreihe entlang und hinüber zu Jenny. Sofort zitterten ihre Finger und sie vertippte sich immer wieder. Er legte eine Hand auf ihre Schulter.»Nur ruhig Jenny, wichtig ist, dass du etwas findest und nicht wann«, versuchte er, sie zu beruhigen. Zugegebenermaßen hatte sie heute erheblich dazu beigetragen, dass er eine Hoffnung hatte. Trotz seiner Worte entspannte sie sich erst und wurde konzentrierter, nachdem er weiter zu Maggy schritt.Die Zeit floss zäh dahin. Zur Sicherheit kontrollierte er immer wieder die Daten, die für den Betrieb der Station notwendig waren. Spätestens eine halbe Stunde vor Schichtübergabe blieb ihm keine Wahl mehr. Dann würde er die Nachforschung abbrechen. Ihm war bewusst, dass es einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen glich, aber er klammerte sich an diese Chance. Er brauchte die Sicherheit. Die Gewissheit. Immer wieder suchte er weitere Möglichkeiten. Es musste eine logische Erklärung geben. Nur welche? Er grübelte und spielte jedes erdenkliche Szenario durch. Das der Ping beschädigt war, blieb vorstellbar, dennoch weigerte er sich, diesen an anderen Stationen zu testen, zudem die Tatsache, dass er dort funktionierte, nicht automatisch bedeutete, dass er analog von Station 8 zu Station 1 seinen Zweck erfüllte.Die Szenarien in Henrys Gedankenwelt schwankten von Kleinigkeiten bis hin zu der Option, dass niemand mehr aus Station 1 lebte. Ein Schauer rann seinen Rücken hinab, als er sich vorstellte, wie die wenigen Menschen überall in der Station tot am Boden lagen. Er strich sich über den Mund und sah wieder auf die Uhr. 6:03 Uhr.»Ich glaube, ich habe etwas, Chief!«, rief Chris plötzlich. »Glaubst oder weißt du es?«»Ich habe Daten gefunden, die kurz vor Jahreswechsel abgelegt worden sind.«»Von Station 1?«Bit nickte. »Zweifellos.«»Verschlüsselt?«Chris nickte abermals. »Aber ein einfacher und schneller Algorithmus. Das Protokoll versteckte die Daten lieber in den Untiefen der Ordner.«»Wie bist du drauf gestoßen?«, wunderte sich Henry.»Glück, Sir. Einfach nur Glück. Im schlimmsten Fall hätten wir den gesamten Tag über gesucht.«»Wie weit ist die Entschlüsselung?«»Gleich fertig«, meldete Chris zurück.»Auf den Hauptschirm!«, befahl Henry und nahm auf seinem Leitstellensessel Platz.Einen Augenblick später tauchten die Dateien auf. Messwerte, Daten der Station, dazu eine große Filmdatei.»Das Video zuerst«, forderte Henry. Seine Finger schwitzen und er beugte sich vor, stützte die Hände auf die Knie. »Bitte Herrgott lass es ein Unfall sein«, bat er. Ein simpler Defekt kam nicht mehr in Frage. Sonst hätten sie keine Dateien gefunden.Gebannt starrten alle fünf auf den Schirm. Als das Bild auftauchte, sahen sie einen Kontrollraum, der nicht groß anders aussah, als ihrer. Es gab fünf Terminalplätze, an denen gearbeitet wurden und darüber wachten zwei Leiter. Der Raum besaß nicht die runde Form wie der in Station 8, sondern war rechteckig. Alles wirkte auf den ersten Blick nicht auffällig.»Bit, wie lang ist die Aufzeichnung?«»Moment Sir«, antwortete Chris und meldete kurz darauf: »Sechs Stunden und acht Minuten.«»Vorspulen auf eine Stunde vor Ende.«Das Bild fror einen Moment ein, änderte sich aber kaum merklich, nachdem es wieder abgespult wurde. »Vierfache Geschwindigkeit«, forderte Henry. Die Bewegungen der Personen wurde schneller. Alles wirkte unauffällig. Es gab Gespräche zwischen Teammitgliedern, man vertrat sich die Beine. Ein normaler Arbeitstag.»Wie lang noch?«»Fünfzehn Minuten«, antwortete Chris.Das war nicht ausreichend Zeit, um einen Kontrollraum zu zerstören. »Ich glaube, sie hatten nur extreme technische Probleme und das Protokoll hat fälschlicherweise ausgelöst«, resümierte er beruhigt.Plötzlich durchschnitt ein greller Lichtblitz das Bild. Panische Schreie tönten aus den Lautsprechern. Etwas detonierte. Henry riss die Augen auf und wurde bleich.»Bit, was ist das?«

Station 8Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt