Prolog

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In der Ratshalle der Stadt Varlinskron, die sich an den Hängen des Klayvar-Gebirges erhebt und den Drei-Klingen-Pass schützt, herrscht unheilvolle Stille. Die mächtigsten Männer und Frauen des Stadtstaates sitzen auf ihren reich geschnitzten Eichenstühlen und blicken mit der Überheblichkeit auf die gerüstete Frau in der Mitte des Saales, die Menschen vorbehalten ist, deren Wort über Krieg oder Frieden in den Grenzlanden entscheidet. Einer der Räte, ein Mann von geschätzten dreißig Sommern mit markantem Kinn und blauen Augen, deren Blick jedem Gegenüber bedingungslosen Respekt abnötigt, erhebt sich langsam. Doch die in rotes Leder gewandete Frau erwidert den Blick ungerührt. In dem Braun ihrer Augen ist sicherlich bereits mehr als ein Mann versunken, doch in diesem Augenblick wirkt dieses Braun kälter als das nördliche Eismeer.

„Ergeben?", fragt der Mann mit unterdrücktem Groll in der Stimme. „Wir sollen uns eurem Meister ergeben und die Truppen vom Pass abziehen? Ohne jede Gegenleistung?" Er lächelt geringschätzig. „Mir scheint, ihr habt nicht die geringste Ahnung, wie Verhandlungen dieser Art von Statten gehen. Nicht, dass wir es nötig hätten mit euch zu verhandeln, schon gar nicht über die Räumung des Passes, der bereits von unseren Ahnen verlässlich verteidigt wurde." Mit einer betont lässigen Bewegung streicht er den Stoff seiner cremefarbenen Tunika glatt. „Das Aufgebot eures Meisters wird, wie so viele andere auch, an unseren Befestigungen scheitern. Auf den Spießen und in den Käfigen vor der äußeren Ringmauer könnt ihr die Unglücklichen betrachten, die es das letzte Mal gewagt haben, den Pass zu überqueren. So wird es auch Euch und euren Leuten ergehen, solltet ihr der Versuchung nicht widerstehen können und einen Sturmangriff führen. Ihr habt uns nichts zu bieten, also nehmt euer Heer und geht. Wir haben eurem Meister nichts mehr zu sagen."

Beifälliges Gemurmel erklingt, als er sich wieder setzt. Die Frau in Rot lächelt nur und neigt leicht das Haupt. Dabei fallen Melior einige feine Symbole auf, die in die Haut ihres Halses eintätowiert sind, direkt neben der Pulsschlagader „Eine beeindruckende Ansprache Rat Melior." Ihre schlanken Finger spielen mit einer ihrer schwarzen Locken. „Doch wie kommt ihr darauf, dass wir euch nichts anzubieten hätten?"

Meliors Augen werden schmal und er beugt sich vor. „Während eurer gesamten Forderungen, die an Unverschämtheit kaum zu überbieten waren, habt ihr nicht mit einem Wort erwähnt, was die Gegenleistung dafür anbelangt."

„Ich dachte das wäre offensichtlich.", sagt sie in einem sanften Tonfall wie eine Mutter, die mit ihrem unartigen Sohn spricht. „Mein Meister bietet euch euer Leben und das Leben eurer Bürger, wenn ihr ihm die Stadt überlasst."

Einen Moment lang bleibt es still. Die Blicke der Räte ruhen im stummen Unglauben auf der Schwarzhaarigen. Dann bricht Melior in Gelächter aus. Das Lachen zerreißt die Stille und hallt von den marmornen Wänden wider, die Gardisten, die an der Wand neben dem Portal und hinter den Stühlen der Räte stehen, treten unruhig von einem Fuß auf den anderen.  Magier Jerun steht unbeweglich wie immer rechts neben Melior und beobachtet die Szenerie schweigend.

Unser Leben bietet er?" Melior wischt sich die Tränen der Heiterkeit aus dem Gesicht und blickt zu seinen Nebensitzern, denen ebenso anzusehen ist, dass sie das eben Gehörte kaum glauben können. „Sagt, wie kann er uns etwas anbieten, über das er nicht verfügt?"

Die Frau hat ihr Lächeln nicht abgelegt. Im Gegenteil, mit jedem von Meliors Worten wird es breiter. „Oh, euer Leben liegt durchaus in seiner Hand." Sie macht einen Schritt auf die Räte zu, die Gardisten hinter den Stühlen senken ihre Hellebarden und formieren sich vor ihnen, hinter den metallenen Parademasken ist keine Regung zu erkennen. „Das Leben von jedem hier." Sie hebt die schlanke Linke und beginnt mit tanzenden Fingern Muster in die Luft zu zeichnen. Jerun zuckt zusammen und hebt die Hände, hält jedoch mitten in der Bewegung inne. Seine Finger zittern.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 06, 2022 ⏰

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