Viele Leute glauben immer, dass Menschen, die psychisch etwas verkorkst sind, durch die Straßen herumlaufen, wie die letzten Menschen. Sie glauben, dass wir mit fettigen Haaren, alten Klamotten und einem ungepflegten Äußeren herumgeistern. Und ja, vielleicht tun wir das auch so an unseren schlechten Tagen, an denen wir uns nicht um unser Äußeres scheren. Aber wenn es nach draußen gehen muss – wenn kein Weg daran vorbeiführt, der Öffentlichkeit entgegenzutreten, dann sorgen viele von uns dafür, dass man uns nicht ansieht, wie dreckig es uns geht. Wir halten an unserer äußeren Hülle fest, damit niemand bemerkt, dass sie das einzige ist, das uns noch zusammenhält. Also machen wir uns zurecht, tragen etwas auf, das die schlaflosen Nächte verdeckt, überschminken Wahrheiten, die nur uns selbst vorbehalten sind. Wir schlüpfen in Rollen, die wir uns sorgfältig durchdacht zusammengelegt haben, um der Welt zu zeigen, dass es uns immer noch irgendwo gibt und dass es uns gut geht.
Das ist auch der Grund, wieso ich vor dem Spiegel stehe und mein Make Up auffrische. Ich ziehe die Umrisse meiner Augenbrauen etwas nach und trinke ab und an einen Schluck von dem Scotch, den Voy letztes Jahr aus Schottland mitgebracht hat und seitdem wie ein Freak in seinem alten Zimmer hortet. Aber nichts entgeht meinen Adleraugen, es ist einfach sinnlos, etwas vor mir versteckt zu halten und meine Lust, es demjenigen wegzunehmen, wird dann nur umso größer. Mich leicht zu der Musik in meinem Zimmer bewegend, lege ich den Kajalstift zur Seite und stecke meinen Lockenstab an den Strom. Während dieser vor sich hin heizt, verlasse ich kurz mein Badezimmer und sehe, in Unterwäsche stehend, auf die vielen Klamotten auf meinem Bett herab. Heute war die Release Party von Willson Miller, einem Freund von Voy, der nun in die Fußstapfen seines berühmten Vaters, Harry Miller, stapft und sein erstes Soloalbum heute Abend veröffentlicht. Allerdings ist heute ebenfalls Halloween, weshalb Willson sich dazu entschieden hat, eine Konstümpflicht für den Abend einzuführen. Es ist ein riesen Event, die Presse wird Schlange stehen und alle Augen werden sich auf jeden Fauxpas, auf jedes Kostüm oder jeden Nippelblitzer richten. Zwei Modemarken hatten mir angeboten, mich für den Abend einkleiden zu lassen, aber ich habe dankend abgelehnt. Es ist Zeit, dass das Kleidchen endlich einmal jemand zu Gesicht bekommt, besonders sie. Und Halloween scheint mir dafür die beste Möglichkeit zu sein.
Ich öffne den Reißverschluss und ziehe das weiße Kleid aus dem Plastikschutz, fahre mit meinen Händen kurz über den weichen Stoff und öffne die weißen Posamenten Knöpfe an der Seite, damit ich reinschlüpfen kann. Als ich einen Blick in den Spiegel werfe, zeichnet sich ein kleines Lächeln auf meinen Lippen ab. Oh, du süße Rache.
Das einst wunderschöne weiße Kleid, hängt nun teilweise in Fetzen an mir herab und da wo einst schöne, reine Spitze gewesen ist, prangt nun ein riesiger blutiger Fleck. Die Spitzenärmel sind ebenfalls teilweise eingerissen und komplettieren den gewollten Look. Ich habe mit Schminke meine Schlüsselbeine stärker hervortreten lassen, mir blaue Flecken und Bissspuren auf die Arme gemalt und lege nun den durchlöcherten Brautschleier auf mein Haupt. Das kleine silberne Diadem ist ebenfalls blutig und der Schleier sieht so aus, als wäre ich mit ihm einen Marathon durch den Wald gelaufen. In dem Kleid drehe ich mich um – was mit dem Blut etwas morbide aussieht - und gehe zurück ins Bad, um mein Kostüm zu vollenden und etwas Kunstblut an meine Schläfe, meine teilweise freigelegten Beine und an meinen Mundwinkel aufzutragen. Mit einem Schulterzucken gieße ich mir noch den Rest der kleinen Plastikflasche auf das Loch in der Bauchregion und verteile es mit der Hand, entscheide mich in letzter Sekunde auch dagegen, mir die Hände zu waschen. Je blutiger, desto besser.
"Heilige scheiße, was machst du denn hier?", höre ich meinen Bruder hinter mir sagen.
"Keine Angst, ich habe niemanden getötet.", ich werfe ihm Beweisstück A (die kleine Flasche Kunstblut) in die Hand und greife dann nach meinem Lockenstab, um mir noch ein paar Locken in die Haare zu machen.
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the girl made of shattered words
Romance›Deine Augen sind nicht einfach nur blau, sie sind dunkelblau, wie der Sternenhimmel und wenn man ganz genau hinschaut, sind sie von grauen Sprenkeln durchsetzt, die an Sternschnuppen erinnern, die so schön sind, dass man bei ihrem Anblick vergisst...