kapitel 3 - vergangenheit

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Ry riecht nach allem, was ich gerne mag, als ich ihn das erste Mal sehe. Ich weiß das noch, weil ich mit meinem fünfzehnjährigen Ich nur Augen für Apfelkuchen, Bücher und ihn habe. Fünfzehn zu sein, ist nämlich echt blöd, man wird es eigentlich nur, um ein Jahr darauf endlich sechszehn zu werden. Von den Erwachsenen wird man nicht richtig ernst genommen, obwohl man sich doch so erwachsen fühlt und mit jüngeren Kindern will man sich nicht mehr abgeben, weil sie ja viel zu jung sind und nichts von den coolen Sachen verstehen, wie Jungs oder Nagellack. Dumm ist nur, dass die älteren Kinder dich in ihrem blöden Sweet-Sixteen-Club nicht aufnehmen wollen, weil du noch nicht sechszehn bist.

Deshalb und wegen der blöden Mädchen aus meiner Stufe sitze ich alleine an dem Lagerfeuer und versuche den nun angebrannten und vollkommen unförmigen Marshmallow von meinem Stock abzukratzen, stelle mich dabei nicht wirklich geschickt an und verliere die Hälfte der weißen Pampe auf dem, von kleinen Stöckchen übersäten, Boden.

"Mrs. Flemmings ist ausgerastet.", kommt es von meinem Bruder, der durch das Gebüsch tritt und seinen neugewonnenen Freund angrinst. Mein Bruder grinst ständig und hat immer irgendwelche Streiche geplant, die er sich früher meistens aus dieser Typisch Andy! Serie abschaute, nur ist er nicht ganz so cool wie Andy und auch dümmer als er. Ich sehe von meinem Marshmallow auf und reibe die klebrigen Überreste an meiner Jeans ab. "Hat's geklappt?", frage ich und mein Blick richtet sich zum ersten Mal auf den Jungen neben meinen Bruder, den ich noch nie gesehen habe. Es ist das erste Mal, dass ich Ry gesehen habe und sofort ist da was in seinen Augen, das mich magisch anzuziehen scheint. Es sind die ersten blauen Augen, die mich nicht sofort an das Meer, sondern an den Sternenhimmel erinnern. So dunkelblau, dass sie manchmal fast lila wirken, mit kleinen hellgrauen Sprenkeln, die mich an Sternschnuppen erinnern.

"Na ja, Voy muss heute spülen.", lächelt er und schiebt die Hände in seine Hosentaschen. Seine Haare hellbraun und dieses Lächeln... Es ist die Art von Lächeln, das ich mir immer vorstelle, wenn in Büchern steht, dass der Protagonist zu schmunzeln beginnt. Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden und schnell sehe ich wieder auf den Stock in meiner Hand, an dem noch die Marshmallow Reste von eben kleben.

"Halt die Klappe, Ryon. Du auch. Wir müssen beide spülen.", grinst Voy zurück und nimmt mir dann den Stock aus der Hand. "Woher hast du die?", wortlos reiche ihm die Marshmallowtüte, die ich mir heute morgen in meinen Rucksack gestopft habe. Ryon?

"Manchmal liebe ich dich, Schwesterlein.", er greift nach einem Marshmallow und hält Ryon dann die Tüte hin. "Er darf doch?"

Ich bringe nur ein Nicken zu Stande und sehe dann wieder kurz zu Ryon. Ich mag den Namen, irgendwie hört sich sein Name an, wie ein Wort, das ich noch nicht kenne und dessen Definition ich unbedingt herausfinden möchte. Allerdings möchte ich sie nicht irgendwo nachschlagen, sondern ich möchte selbst hinter die Bedeutung steigen. Ryon zieht eins von den weißen Kissen aus der Tüte, steckt es sich auf einen Stock, den er vom Boden aufliest und schenkt mir ein Lächeln. "Danke."

Er lächelt, ich sterbe.

Ich kann mir zwar nicht auch nur im Entferntesten vorstellen, wie es ist zu sterben, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich so anfühlt, wenn man stirbt. Außerdem mag ich es, dass es ihm egal zu sein scheint, dass noch etwas Dreck am Stock ist, nicht so wie mein Bruder, der drei Mal den Stock anpustet und dann erst das Marshmallow drauf steckt.

Um meine brennenden Wangen zu verstecken, greife ich nach dem Buch neben mir und starre auf die Zeilen, "Wir werden uns bald wiedersehen, vermute ich, Professor McGonagall", sagte Dumbledore und nickte ihr zu. Zur Antwort schnäuzte sich Professor McGonagall die Nase. Ich muss den Satz dreimal lesen, bis ich verstehe, worum es geht, so abgelenkt bin ich. Ich kann nur an das Lächeln denken, das er mir geschenkt hat. An sein leichtes Kinngrübchen und die Art, wie er mich angesehen hat, so als würde er nicht durch mich hindurchsehen, wie alle anderen es tun.

"Du magst also Harry Potter?", fragt er und lässt sich neben mich auf die Bank nieder, dreht sein Marshmallow in dem Feuer hin und her und zeigt kurz auf das Buch in meiner Hand, als ich nichts sage. Er riecht nach Nacht und Wald. Nach Sternen, dunklem Himmel, feuchten Gräsern und Bäumen.

Er riecht nach einem zu Hause, das ich bisher noch nicht kenne.

"Ja.", ich nicke wieder, ohne von meinem Buch aufzusehen.

"Sie liest die schon zum dritten Mal.", kommt es von Voy, der zu uns sieht und sich die Fingerspitzen an seinem Marshmallow verbrennt. Trottel. Er will sicherlich Ryons Bestätigung, dass es dumm sei, Bücher drei Mal zu lesen.

"Gute Bücher muss man drei Mal lesen.", Ryon lächelt wieder und ich sehe überrascht zu ihm, starre ihn an. Ich habe nicht gewusst, dass Augen in der Lage dazu sind, ebenfalls zu lächeln.

Er lächelt, ich lächle zögerlich zurück. "Hast du sie gelesen?"

"Drei Mal. Drei ist immer eine gute Zahl, das erste Mal zum Verstehen, das zweite Mal zum Lieben und das dritte Mal zum Leben.", plötzlich ist mein Bruder mir egal. Ich kann Ryon einfach nur breit angrinsen.

Er lächelt schon wieder und ich sterbe ein kleines bisschen mehr.















the girl made of shattered wordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt