1. Kapitel

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                              Sie

"Und vergiss die Tomatensoße nicht!", rief sie mir noch nach, bevor ich die Haustür hinter mir zuknallte. Sophie konnte echt anstrengend sein und damit meinte ich wirklich anstrengend! Das war mal wieder typisch! Weil sie ja unbedingt Mark beeindrucken wollte, durfte ich jetzt für sie einkaufen gehen! Ich glaube ihre Worte waren: "Wie sieht das denn aus, wenn die Gastgeberin von der eigenen Party verschwindet? Mal abgesehen davon, dass ich gesellschaftlich ruiniert wäre, redet Mark gerade mit der blonden Tussi von-ach-ich-bin-doch-aus-so-gutem-Haus, also nicht dass ich eifersüchtig wäre oder so, aber dieses kleine Flittchen kann ich wirklich überhaupt nicht ab! "
" Warum hast du sie dann eingeladen? ", fragte ich etwas gereizt. In diesem Moment kam Mark rüber geschlendert, von mir auch herzlich "Pissmark" genannt, und nahm Sophie bei der Taille. Er flüsterte etwas und sie kicherte albern bevor sie ihm ins Wohnzimmer folgte, dass zur Tanzfläche umfunktioniert worden war. War das jetzt respektlos oder was?? Wie waren gerade in einem Gespräch verdammt nochmal! Ich versuchte gar nicht erst die männliche Psyche zu verstehen, da mir Jungs wortwörtlich am Gesäß vorbei gingen.
Vorallem nach den letzten Vorfällen. Ich fand es generell schon immer doof verliebt zu sein, weil sie die Freundin dann doch öfter wechselten als ihre Unterhosen. Ich hatte einen großen Bruder... ich wusste wovon ich redete.
Das Haus meiner besten Freundin lag nah an der Landstraße, von wo aus es gut fünf Minuten bis zum Edeka waren. Kurze Zeit und ein Paar dreckige High-heels später stand ich vor dem Supermarkt an der Ampel und wartete auf Grün. Im Stillen bat ich die Ampel mal hinne zu machen, da es echt arschkalt draußen war und ich nur einen Bolero anhatte. Meine Idee war das nicht...
Sophie meinte, dass die dicke Winterjacke nicht zu Cocktailkleid passte.
Schönen Dank auch!
Auf einmal nahm ich einen warmen Atemzug in meinem Nacken wahr und spannte mich augenblicklich an.
'Wer auch immer da hinter dir steht Olivia, nicht zeigen dass es dir unangenehm ist', sprach ich mir in Gedanken zu.
Noch ein Atemzug, dieses Mal etwas aufgeregt und mir stieg ein Geruch in die Nase.
Nur, dass ich diesen Geruch leider sehr gut kannte, denn er roch immer gleich. Immer eine fein-herbe Mischung aus Nadelwald und Vanillekipferl.
Ich meine, wir kannten uns nun wirklich noch nicht lange, aber daran wie er roch merkte man immer, dass er es war.
"Hey."
Mehr sagte er nicht, doch sein Atem strich gemächlich über meinen Nacken, während die Ampel auf Grün schaltete. Er ging an mir vorbei und ich wollte ihm folgen, aber ich war einfach zu perplex, um mich in Bewegung zu setzten.
Ich blieb einfach stehen.
Heilige Mutter Maria, was wollte er denn hier?!?
"Ist was?"
Ich schaute zu ihm auf und folgte ihm über die Straße. Meine Reaktion war ohnehin schon peinlich genug gewesen.
"Hey", warf ich ein bisschen verspätet hinterher.
Er blieb stehen und wartete bis ich zu ihm aufgeholt hatte und mich ihm gegenüber stellte.
Ich räusperte mich, was aber leider nichts an meiner Nervosität änderte.
"W..wie bist du...also...warum...äh...?"
Oh man wie ich mich selber in diesem Moment hasste!
Dämlich, dämlich, dämlich!!
Es stahl sich ein dezentes Grinsen auf sein Gesicht.
"Warum ich hier bin?"
Ich glaube ich hatte genickt, aber sicher war ich mir da nicht.
Damit ich nicht wie beömmelt rumstand und ihn anstarrte drehte ich mich um und wir schlenderten in Richtung Edeka.
"Ich habe was für meine Mutter besorgt und das gibt es eben nur im Edeka und naja im Umkreis von 100 km ist das hier der Einzige... aber ich glaub das weißt du ja."
"Hm stimmt, unsere Stadt ist aber trotzdem erbärmlich klein."
Er lachte leise.
So... gar nicht süß!!!
Olivia!
Konzentration!
Nicht schon wieder mit dieser Gefühlsdusselei anfangen.
Du magst ihn gar nicht, Du hasst ihn doch!!
Ganz genau.
Du kannst ihn auf dein Leben nicht ausstehen.
" Und was machst du hier wenn ich fragen darf? Und dann auch noch in so einem Outfit?"
Er schaute amüsiert auf mich runter.
Ich sah an mir hinab und konnte mir irgendwie ein Grinsen nicht verkneifen. Tja, ich Volldödel hatte mich natürlich nicht vorher umgezogen und sah mit meinen High-heels und meinem rosa Cocktailkleid aus wie Lady Gaga höchstpersönlich.
Man wie peinlich!
"Meine Freundin gibt heute eine Party und ja... ich muss nur noch schnell Pizzateig besorgen.", gab ich belustigt zurück.
"Ah, ich versteh schon. Deswegen der Aufzug... sexy aussehen, Jungs beeindrucken und so hab ich recht?", sagte er, aber es klang angestrengt und auch das amüsiert Leichten war aus seinen Augen verschwunden.
Ich sah ihn für einen Moment ungläubig an, aber so etwas musste ich mir echt nicht gefallen lassen! Schon gar nicht von ihm!
" Kann schon sein... aber vielleicht hab ich es auch einfach nicht nötig sexy aufzusehen und Jungs zu beeindrucken!", gab ich bissig zurück.
Meine Güte! Da reden wir für zwei Minuten und schon streiten wir.
Aber hey, war ja nun wirklich nicht meine Schuld, wenn der so scheiße drauf war.
Er schaute mich noch einen Moment abschätzen an.
" Ne klar, die tolle Olivia hat es natürlich nicht nötig sexy auszusehen. Die ist sowie so schon toll genug."
NEIN, das hatte ich doch gar nicht damit sagen wollen!
"Das kann doch nicht dein Ernst sein! Außerdem habe ich das so doch gar nicht gesagt. Was ist dein verdammte Problem?"
Warum machte er mich so runter?
Er gab ein Schnauben von sich.
"Mein Problem ist, dass du dich jedem Jungen an den Hals schmeißt!", fuhr er wütend fort.
Ich setzte schon zu einer Antwort an, aber er unterbrach mich einfach.
"Ich hab dich gesehen, okay? Mit diesem schwarzhaarigen Typ." Bei diesen Worten funkelte er mich ziemlich zornig an, aber ganz unten drunter, unter dieser Wand aus Wut, sah ich noch etwas anderes. Etwas, was nicht so deutlich zu erkennen war, wer er es versuchte zu verbergen.
" Erstens ist das ein guter Freund aus der Schule, zweitens hat der eine Freundin und...warte mal!
Wieso rechtfertigte ich mich überhaupt? Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Mein Privatleben geht dich einen Scheißdreck an."
Ich war eigentlich nicht schnell gereizt, aber in diesem Moment schrie ich ihm fast ins Gesicht.
" Und außerdem sollte dich das alles auch gar nicht interessieren. Dir war ich schon immer völlig egal! ", setzte ich noch einen drauf aber fühlte mich daraufhin sofort unwohl. Der Klos in meinem Bauch, der schon seid Wochen da war, wurde aufgelöst. Ich hatte es ausgesprochen. Ob es ein gutes Gefühl war? Nö. Es hatte mir nur nochmal vor Augen geführt wie wenig wir uns kannten und dass nie etwas aus uns werden könnte.
Das Feuer brannte nun in seinen Augen auf und machte dem anderen Gefühl keinen Platz mehr.
"Du hast mir so viel von dir erzählt? Du denkst mich hat das nie interessiert?"
Er verstand aber auch wirklich nichts.
"Ganz genau das ist doch der Punkt.", setzte ich zu einer Erklärung an. "Ich erzähl dir mein halbes Leben und von dir weiß ich nichts! Ich hab dir vertraut okay? Ich dachte..."
Ich brach ab und versuchte meine Gedanken anders zu formulieren... weniger sentimental. Hatte nicht so geklappt. "Du vertraust mir nicht und hast es auch nie getan. Ich dachte... Ich weiß nicht was ich dachte! Verdammt, ich weiß ja nicht mal wo du wohnst!"
Der letzte Satz war geschrien und ich merkte das meine Hände zu Fäusten geballt waren. Nach meinem Mini-Ausraster wurde mir dafür aber viel mehr diese unangenehme Stille bewusst, die zwischen und lag. So dicht und so schwer, dass sie auf meinen Schultern lastete. Ich sah ihn jetzt nochmal genau an. Seine Augen zeigten keine Wut mehr sondern nur noch Entsetzten,das ein bisschen in Ungläubigkeit überging.
Als er mich nach gefühlt zehn Minuten wieder ansah und mich mit seinen blauen Augen fixierte, schaute ich schnell zu Boden. Ich hielt das nicht aus.
"Hast du eigentlich geweint?", fragte er so unvermittelt und doch so sanft, dass ich aufschaute. Ich sah ihn fest ihn die Augen und setzte mein bestes Pokerface auf. Oder zumindest etwas, dass so in die Richtung davon ging.
"Ich weine nicht."
Es entstand wieder eine Pause. Meine Wut und mein Elan hatten mich abrupt verlassen, doch trotzdem ließ mich eine Sache nicht los. Ich traute mich nur nicht so richtig es auszusprechen.
"Du hast doch eh schon längst ein anderes Mädchen gefunden, der du schöne Dinge an den Kopf werfen kannst", murmelte ich leise und das war auch mehr zu mir selbst.
"Wie bitte?"
Er klang alarmiert und schaute mich wieder so komisch an. Ich sah mir schnell wieder das Pflaster der Straße an, sonst erkannte er noch die Verletzlichkeit, die in meinem Blick geschrieben stand.
"Nichts", gab ich zum Besten und begutachtete nun meine Schuhe. Wie dumm ich mir vorkam so aufgebrezelt zu sein. Sonst war ich immer eher die Unauffällige.
Es fühlte sich im Moment alles falsch an.
Es gab keinen Grund mehr hier noch weiter zu stehen.
Ich wollte nicht bleiben.
Ich hatte gerade wieder ein Stück von etwas verloren... ich spürte es ganz deutlich, ohne zu wissen was es war oder wo es her kam. Ich wollte gerade gehen, weil ich dieses Gespräch offensichtlich für beendet hielt, als er mich plötzlich am Arm packte. Er hielt mich viel zu fest, aber ich ließ mir nichts anmerken.
"Was hast du gesagt?"
Sein Blick gin gar nicht und ich sprach meinen Beinen gut zu, damit sie nicht augenblicklich zusammen brachen.
"Lass mich los!", forderte ich, aber leider hatten diese Worte nicht so viel Wirkung, da er nur noch fester zupackte.
"Liv, sag's mir!"
Die Art wie er meine Spitznamen aussprach ließ mich zusammenfahren.
Früher hatte mein Vater mich so genannt.
Dieser Name war für alle Außenstehende verboten.
Das wusste sonst jeder.
Ich hatte keine Kraft mehr um weiter fegen ihn standzuhalten und sackte in mich zusammen. Ich war von diesen Gespräch auf einmal völlig erschöpft.
"Ich sagte, dass du wahrscheinlich eh schon ein anderes Mädchen gefunden hast, der du sagen kannst, wie viel sie dir bedeutet und wie besonders sie ist. Womöglich eins, das tausendmal hübscher ist als ich oder eins dieser Mädchen, deren Haare immer frisch gekämmt aussehen, egal wie lange sie unterwegs waren.
Eins dieser Mädchen mit denen ich nicht mithalten kann... "
Jetzt brach meine Stimme komplett und auch meine Beine zitterten vor Anstrengung.
Scheiß High-heels!
Ich sah zu Boden.
Ich wollte mir nicht die Blöße geben ihm in die Augen zu schauen und in allem, was ich gesagt hatte Bestätigung zu kriegen. Auf sein bescheuertes Grinsen konnte ich ernsthaft verzichten.
"Sieh mich an", sagte er auf einmal überraschend sanft und ich ließ meine Blick an ihm hochgleiten, bis wir uns in die Augen sahen.
Ungefähr eine halbe Minute verstrich bis ich auf einmal merkte, dass er immer noch meinen Arm festhielt und dieser langsam fast taub geworden war.
"Kannst du mich jetzt bitte loslassen?", fragte ich mit letzter Kraft.
"Ich lass dich nicht los."
Er Bahn meine eiskalte Hand in seine und umfasste mit der anderen meine Wange. Ich war unfähig zu reagieren, obwohl ich ihn eigentlich hasste. Unter anderen Umständen wäre ich ganz sicher weggerannt oder hätte ihm eine geklatscht.
Ich nahm seinen speziellen Geruch wahr. Den, der nach Nadelwald und Vanillekipferl roch und spürte seinen Atem, der über meine Lippen strich.
"Ich lass dich nicht los", flüsterte er dann noch einmal leise und zog mich gleich darauf vollständig an sich.
Mir war klar, dass ich das hier irgendwann bereuen würde, aber es war mir egal. Ich ließ es einfach geschehen und es umfasste mich eine wundervolle Wärme. Im Nachhinein hätte ich es wahrscheinlich besser lassen sollen, aber dieser Kuss war es Wert. Ich dachte nicht an gestern, später oder morgen, sondern nur ans Hier und Jetzt. Und vor allem dachte ich nur an ihn.
Leon.

ich lass dich nicht los... Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt